Ein Atlas fürs Gehirn soll gegen Parkinson und Co. helfen

    Digitale Gehirnforschung:Mit dem Hirnatlas gegen Parkinson und Co.

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    Hunderte Forschende haben Gehirne untersucht und Daten vernetzt. Das entstandene Computermodell könnte helfen, Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer zu bekämpfen.

    Modell eines menschlichen Gehirns
    Mehr als 500 Forschende haben an dem zehnjährigen EU-Projekt teilgenommen. Nun ist zu Ende. Ziel war es, die menschliche Gehirnaktivität vollständig als Computermodell nachzubauen. 28.09.2023 | 6:02 min
    Fast 100 Milliarden Nervenzellen, verbunden durch Millionen Kilometer von Nervenfasern. Das menschliche Gehirn als Computermodell nachzubauen, ist eine architektonische Herausforderung. Doch genau das war ein großes Ziel des Human-Brain-Projekts, einem europäischen Forschungsprogramm mit über 500 beteiligten Wissenschaftlern.

    Wir haben es geschafft, eine neue Art von digitaler Hirnforschung voranzubringen und zu etablieren, die es vorher so noch nicht gab.

    Katrin Amunts, Forschungszentrum Jülich, leitete das Human-Brain-Projekt

    Karte des Gehirns angelegt

    Mit das wichtigste Ergebnis: der Gehirnatlas. Eine ultra-hoch aufgelöste Karte der Hirnorganisation. Dafür wurden Dutzende Spendergehirne in Tausende haardünne Schichten zerschnitten, dann eingescannt und miteinander verrechnet. Der Atlas zeigt so die Zellverteilung, deren Verbindung und Funktion der einzelner Hirnareale.
    Bereits seit 20 Jahren werden die Verbindungen im Gehirn mittels MRT untersucht. Die dadurch errechneten Modelle können sagen, welche Gehirnregionen wahrscheinlich miteinander verbunden sind. Jedoch haben diese Bilder eine zu geringe Auflösung.
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    Bilder sollen bei Parkinson, Epilepsie und Alzheimer helfen

    "Was wir lernen wollen von den individuellen Bildern, die wir hier sehr hoch aufgelöst machen, ist, wie man die Signale, die man beim Magnetresonanztomografen gewinnt, interpretieren kann", erklärt Markus Axer, Leiter der AG Faserbahnarchitektur.
    Dies könnte dann noch besser bei der Bekämpfung von neurodegenerativen Erkrankungen helfen, wie zum Beispiel Parkinson, Epilepsie, oder Alzheimer. Die Gehirne erkrankter Menschen ließen sich dann mit dem gesunden Gehirnmodell vergleichen. Derzeit werden so neue Therapien in klinischen Studien erprobt, die bereits auf die Daten des Human-Brain-Projekts zugreifen.

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    Auch KI-Forschung profitiert

    Diese Daten helfen außerdem bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Sogenannten neuromorphen Computern kann man damit beibringen, Informationen zu verarbeiten, wie es Nervenzellen tun. Also wie der Mensch mit allen Sinnen zu lernen. Eine Verbesserung zum bisherigen Deep-Learning-Verfahren.
    "Viele künstliche neuronale Netzwerke stoßen jetzt an ihre Grenzen bei Fragestellungen, die wir als Menschen eigentlich nicht nachvollziehen können", berichtet Amunts.

    Wir haben das als Ausgangspunkt genommen und haben die Architektur von künstlichen neuronalen Netzwerken geändert.

    Katrin Amunts, leitete das Human-Brain-Projekt

    Das habe einen Rieseneffekt gehabt, so Amunts. "Weil diese künstlichen Netzwerke auf einmal schneller lernen konnten, viel schneller konvergiert waren und weniger Fehler gemacht haben."
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    Projekt steht auch in der Kritik

    Doch das Projekt war in der Vergangenheit auch deutlicher Kritik ausgesetzt. Gleich zu Beginn stieg eine Reihe Wissenschaftler aus dem Verbund aus. Man habe sich für viel Geld zu hohe Ziele gesteckt, bestimmte Fachbereiche ausgegrenzt, eine unbewältigbare Datenmenge gesammelt.
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    Die Grenze eines Modells zeigt sich vor allem in der Anwendung von Simulationen. Denn ein Modell ist immer vereinfacht und wird nie die Wirklichkeit in all ihren Variablen abdecken können - auch wenn es dem realen Gehirn nahe kommt.
    "Wir wissen von vielen anatomischen Studien, auch von bildgebenden Studien, dass Gehirne sehr, sehr variabel sind. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt, gerade wenn wir daran denken, dass wir Patienten helfen wollen", erklärt Projektleiterin Katrin Amunts. Ob das Modellgehirn eine Forschungsfrage beantworten kann, hängt also davon ab, wie grundlegend sie beantwortet werden soll.
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    Individualität des Gehirns ist Herausforderung

    Gehirn ist also nicht immer gleich Gehirn. Unsere Nervenzellen verändern sich ständig, passen sich laufend unseren Erfahrungen an. Die Aufgabe eines exakten Nachbaus ist also nicht leicht. Das Projekt liefert dennoch neue Werkzeuge für die Hirnforschung. Und: ein gemeinsames Netzwerk, ein länderübergreifendes Gehirn-Lexikon. Forschungsergebnisse aus aller Welt werden darin gebündelt. So kann das Wissen vielerorts besser und schneller in die Praxis fließen.
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    Quelle: ZDF

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