Tunesien: Was Saïed mit der rassistischen Gewalt zu tun hat

    Angriffe auf Migranten:Tunesien: Der Präsident, der Rassismus schürt

    von Moez Elbey, Lukas Nickel
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    In Tunesien greift eine Welle aus Gewalt gegen Migranten um sich. Ausgelöst wurde die Eskalation durch Äußerungen von Präsident Kais Saïed. Über ein Land, das nicht zur Ruhe kommt.

    Junge Männer aus Subsahara-Afrika spielen Fußball vor der Zentrale der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Tunis.
    Junge Männer aus Subsahara-Afrika spielen Fußball vor der Zentrale der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Tunis.
    Quelle: epa

    William Gnazallé traut sich nicht mehr, sein Haus zu verlassen. Nicht einmal, um Lebensmittel zu kaufen oder zur Arbeit zu gehen. Der 27-Jährige hat zu viel Angst davor, überfallen oder verhaftet und mit seinem Sohn abgeschoben zu werden.
    Im Jahr 2017 ist Gnazallé von der Elfenbeinküste nach Tunesien eingereist. Hier, in einem Badeort in der Nähe von Tunis, hat er sich ein Leben aufgebaut. Gnazallé arbeitet als Wachmann. Sein Chef, erzählt er, habe ihn gebeten, zu Hause zu bleiben. Zu gefährlich sei es sonst für ihn auf der Straße.

    Einwanderer aus Subsahara-Afrika betroffen

    Damit ist Gnazallé nicht allein: Überall im Land hört man derzeit von Fällen, in denen Einwanderer aus Subsahara-Afrika im Alltag zurückgewiesen oder sogar angegriffen und von der Polizei festgenommen werden. Dem Außenministerium der Elfenbeinküste zufolge haben sich bisher 1.300 Ivorer gemeldet, weil sie aus Tunesien weg und in ihre Heimat zurückkehren wollen.
    Angefacht wurde die Welle aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durch eine Rede von Staatspräsident Kais Saïed Ende Februar. Darin schimpft er über "Horden illegaler Migranten", die für Gewalt und Verbrechen in seinem Land verantwortlich seien. Diese ausländischen Gruppen hätten zum Ziel, so der Präsident, Tunesien in ein "afrikanisches Land" zu verwandeln.

    Menschenrechtsorganisationen verurteilen Saïed

    In der Hauptstadt Tunis gehen die Menschen seitdem auf die Straße, um ihrer Empörung Luft zu verschaffen. "Wir sind alle Afrikaner" und "Nieder mit dem Polizeistaat" steht auf ihren Schildern.
    Nationale Verbände wie das Tunesische Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte (FTDES), die Tunesische Liga für Menschenrechte und 16 weitere tunesische NGOs verurteilen in einem Statement die Rede des Präsidenten.

    Der Präsident der Republik muss internationale Gesetze und Konventionen einhalten. Wir sind schockiert von seinen eindeutig rassistischen Aussagen.

    Romdhane Ben Amor, Sprecher des FTDES

    Auch die Afrikanische Union verurteilte Saïeds Äußerungen. Der tunesische Vertreter wurde umgehend einbestellt, um ihm "den Schock und die tiefe Besorgnis" über die Äußerungen des Präsidenten auszudrücken.

    Weltbank stellt Unterstützung ein

    Die Weltbank hat ihre Unterstützungsprogramme vorübergehend gestoppt und als Grund die von der Bank propagierten Werte der Integration von Migranten genannt. Das stellt Tunesien nun vor große Schwierigkeiten: Die Weltbank gilt als einer der größten Geldgeber, ohne die das hoch verschuldete Land schon bald Probleme beim Import von Nahrungsmitteln bekommen könnte.
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    Die Folgen des russischen Einmarschs in der Ukraine für die globale Lebensmittelversorgung sind in Tunesien besonders stark zu spüren.27.10.2022 | 7:17 min
    Auch der Internationale Währungsfonds hat einen anvisierten Kredit für Tunesien bis auf Weiteres pausiert. Die tunesische Regierung weist alle Verurteilungen zurück und versichert, dass alle Angriffe auf Migranten juristisch verfolgt werden würden.

    Verschiebung in Richtung Autokratie

    Seit Jahren reißt Saïed eine Kluft zwischen seinen Anhängern und Gegnern. Im Sommer 2021, mitten in der Covid-19-Pandemie, kündigte Saïed unter dem Vorwand, die Korruption und angebliche Ineffizienz von Parlament und Regierung bekämpfen zu wollen, Notmaßnahmen an. Damit löste er das Parlament auf und setzte die Verfassung außer Kraft. Die Landesverfassung war erst 2014 verabschiedet worden - nach der tunesischen Revolution gegen die Diktatur des Regimes von Zine El Abidine Ben Ali.
    Nun hat Saïed diese Woche auch noch die Auflösung der Gemeinderäte angekündigt. Sie gelten als eine der letzten demokratischen Bastionen im Land. Saïed wird mehr und mehr zum Alleinherrscher des Landes und geht immer härter gegen seine Gegner vor.

    Protest gegen Präsident Saïed wächst

    Allein in den vergangenen Wochen wurden der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge mehrere Regierungskritiker, Oppositionspolitiker und Richter angeblich wegen Korruption und Verschwörung gegen die Staatssicherheit festgenommen.
    Gleichzeitig bröckelt die Unterstützung für den Präsidenten im Inland weiter. Vor Kurzem verlor er einen der letzten und wertvollsten Partner: die Union Générale des Travailleurs Tunisiens (UGTT), die größte und mächtigste gewerkschaftliche Gewerkschaft in Tunesien. Die UGTT war Mitorganisatorin einer Großdemo am vergangenen Sonntag. Etwa 3.000 Menschen haben dabei gegen Saïed demonstriert.

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