Häusliche Gewalt: Ein Verbrechen, das Bulgarien aufrüttelt

    Häusliche Gewalt:Ein Verbrechen, das Bulgarien aufrüttelt

    von Wolf-Christian Ulrich
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    Gewalt gegen Frauen führt derzeit zu Protesten in Bulgarien. Tausende fordern, dass Polizei und Justiz härter durchgreifen.

    Gewalt gegen Frauen
    Nach einem brutalen Messerangriff auf eine 18-Jährige hat das Gericht den Täter laufen lassen. Daraufhin protestierten tausende Menschen im ganzen Land gegen Gewalt gegen Frauen.15.08.2023 | 2:11 min
    "Nicht noch mehr Opfer", rufen sie - sechs Jahre nach dem Beginn der weltweiten #MeToo-Bewegung regt sich in diesen Wochen in Bulgarien landesweit lautstarker Protest dagegen, dass Polizei und Justiz Gewalt gegen Frauen oft nicht entschieden genug verfolgen. Unter ihnen auch Ekaterina Velcheva. Sie erzählt dem ZDF:

    Mein Kind und ich sind Opfer von häuslicher Gewalt. Aber der Täter kommt ohne Strafe davon.

    Ekaterina Velcheva, Protestierende

    Ihr Freund hatte sie regelmäßig geschlagen. Ein Gericht untersagte ihm deshalb, sich ihr zu nähern. Doch er kam trotzdem und entführte das gemeinsame Kind. Polizei und Jugendamt hätten Vater und Kind inzwischen ausfindig gemacht - dennoch bliebe der Täter unbehelligt.

    Das System funktioniert nicht. Die Gesetze werden nicht geachtet. Die Polizei hält sich nicht an die Anordnungen des Gerichts.

    Ekaterina Velcheva, Protestierende

    Jüngstes Verbrechen erschüttert Bulgarien

    Dass jetzt so viele Frauen offen über ihr Leid sprechen, liegt an einem Verbrechen, das Bulgarien jüngst aufgeschreckt hatte: Ein Mann soll seine Freundin mit einem Messer angegriffen und ihr dann noch den Kopf geschoren haben.
    Mit hunderten Stichen nähten die Ärzte ihre Wunden. Doch das Gericht wollte nur geringe Verletzungen erkennen. Als das bekannt wurde, gingen Tausende vor Wut auf die Straße. Es gab eine beispiellose Resonanz in den sozialen Medien. "Wie soll man ruhig schlafen, wenn die Täter frei herumlaufen?", schreibt eine Demonstrantin mit Kreide auf die Straße
    Bulgarien im Polit-Chaos
    Am 2. April wählt das Land zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren. Für die Einwohner ist das frustrierend.31.03.2023 | 2:12 min
    Erst im April herrschte Polit-Chaos in Bulgarien, weil gewählt wurde - zum fünften Mal innerhalb von nur zwei Jahren:
    Die Proteste haben nun dazu geführt, dass das Parlament die Sommerpause unterbrach und die Strafen für Täter bei häuslicher Gewalt verschärfte. Doch vielen Frauen reicht das nicht. So zählt etwa als Beziehung derzeit nur eine Beziehung zwischen Mann und Frau, die mindestens 60 Tage lang währt.

    Die Proteste zeigen: Dass die Geduld bei vielen am Ende ist, wenn es um häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen geht.

    Nadejda Yordanova, Abgeordnete Demokratisches Bulgarien

    Frauenfeindliche Äußerung im Parlament

    Wie dringend die Debatte über Gewalt gegen Frauen in Bulgarien geführt werden muss, zeigt die Äußerung eines ehemaligen Abgeordneten der GERB-Partei im bulgarischen Parlament:

    Was soll der Blödsinn? Jede Hure wacht jetzt auf und sagt, die sei vor zwei Jahren vergewaltigt worden.

    Vezhdi Rashidov, ehemaliger Abgeordneter der GERB-Partei

    Der Satz wurde öffentlich, weil ein Mikrofon nicht abgestellt war. Vezhdi Rashidov verlor umgehend sein Mandat - ein weiterer Hinweis darauf, dass sich in der politischen Kultur Bulgariens etwas ändert.
    Maler und Drag Queen beim Malen vor Selbstportrait
    In Bulgarien gibt es Menschen, die für Veränderung in Sachen Hass gegen und Ablehnung von Homosexuellen einstehen. Künstler*innen treiben den Wandel als Vorbilder voran.13.07.2021 | 1:59 min
    Yasen ist Künstler und queer, mit Drag hinterfragt er traditionelle Rollenbilder in Bulgarien:

    Dunkelziffer zu Gewalt wohl hoch

    Der große Protest zeigt, dass sich auch die Diskussion im Land verändert: Dies hatte mit den Debatten um die Annahme der Istanbul-Konvention in Bulgarien begonnen.

    Die Istanbul Konvention ist ein Maßnahmen-Paket, das Frauen besser gegen Gewalt schützen soll. Bulgarien hat es bis jetzt nicht ratifiziert, weil Nationalisten, Sozialisten und einige Rechts-Parteien fürchten, dass auch homosexuelle Beziehungen durch die Annahme der Konvention legitimiert werden könnten. Immerhin hat die Debatte offenbar viele Menschen aufgerüttelt.

    Laut einer Studie des Nationalen Statistischen Instituts aus dem Jahr 2022 sagt jede dritte Frau in Bulgarien im Alter zwischen 18 und 29 Jahren, sie sei von einem aktuellen oder ehemaligen Partner missbraucht worden.
    Offizielle Statistiken über Fälle häuslicher Gewalt gibt es jedoch nicht. Allein von Januar bis April 2023 wurden amtlichen Angaben zufolge elf Frauen von Männern aus ihrem Umfeld getötet. Die Dunkelziffer ist nach Auffassung von Aktivisten weit höher.

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