Verkehrswende: Deutschlandtakt der Bahn auf 2070 verschoben

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    Verkehrswende stockt:Deutschlandtakt der Bahn auf 2070 verschoben

    von Maik Gizinski
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    Pünktliche Züge, kürzere Aufenthalte, kürzere Fahrzeiten: Der Deutschlandtakt sollte ab 2030 das Bahnfahren revolutionieren. Jetzt wird daraus ein Jahrhundertprojekt.

    Reisende auf dem Berliner Hauptbahnhof.
    Runter von der Straße, rein in die Bahn. Um massiv CO2 einzusparen, brauchen wir klimafreundliche Mobilität. Aber immer noch wird in Deutschland zu wenig in die Schiene investiert.01.03.2023 | 29:32 min
    Doppelt so viele Menschen wie bisher sollen in der Zukunft Bahn fahren und so mithelfen, dass Deutschland die Klimaziele erreicht. Damit das klappt, hatte die alte Bundesregierung bereits 2018 das "Zukunftsbündnis Schiene" geschmiedet. Gemeinsam mit dem DB-Konzern, privaten Bahn-Unternehmen und der Industrie wollte man die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene stärken.

    Deutschlandtakt 2030: Fahrplan nach Schweizer Vorbild

    Zentraler Teil dieser Offensive ist der sogenannte Deutschlandtakt, ein Fahrplan-Modell nach Schweizer Vorbild. Das Bahnfahren soll damit pünktlicher, schneller und die Anschlüsse direkter und verlässlicher werden. Es gab auch ein Zieldatum für all das: 2030.
    Jetzt räumt das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium eine Verspätung um Jahrzehnte ein. Michael Theurer (FDP), Staatsekretär und gleichzeitig Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr sieht den Deutschlandtakt "in den nächsten 50 Jahren als Jahrhundertprojekt" umgesetzt. Es sei "immer völlig klar gewesen, dass das Jahrzehnte dauert", sagt er dem ZDF.

    Große Pläne rasch gestutzt

    Tatsächlich war der ursprüngliche Zeithorizont von zwölf Jahren äußerst ambitioniert. Schließlich handelt es sich bei der umfassenden Erneuerung des maroden Schienennetzes und beim Strecken-Neubau um große Infrastrukturprojekte, deren Planung, Genehmigung und Fertigstellung nicht selten Jahrzehnte dauern.
    Dennoch ist erstaunlich, wie das Verkehrsministerium die einst großen Pläne nun stutzt. Schließlich hatte sich die Ampel-Regierung zur Verkehrswende bekannt, das heißt zu mehr klimafreundlicher Mobilität und weniger Straßenverkehr.
    "Die Bahn muss zum Rückgrat der Mobilität werden – auch im ländlichen Raum", steht im Koalitionsvertrag. Und noch vor einem guten halben Jahr hatte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Bahn zur "Chefsache" erklärt.

    Deutschlandtakt 2070: Klimaziele in Gefahr

    Nun ist der Deutschlandtakt offenbar bis mindestens 2070 verschoben. Für Marissa Reiserer, Verkehrsexpertin bei Greenpeace, ist die Sache ziemlich einfach:

    Wer Handlungsmacht hat und die nicht nutzt, der begeht Klima-Verbrechen.

    Marissa Reiserer, Verkehrsexpertin Greenpeace

    Gesetzesbruch – das ist ein starker Vorwurf. Tatsächlich macht das deutsche Klimaschutzgesetz, seit Ende 2019 in Kraft, eindeutige Vorgaben: Bis 2030 müssen wir die CO2-Emissionen runter, um 65 Prozent gegenüber 1990.
    Der Verkehrssektor hinkt dem ambitionierten Ziel besonders drastisch hinterher: Um die Klimaziele zu schaffen, müsste die Emissionen hier 14 Mal so schnell sinken wie bisher. 2022 wurde das CO2-Spar-Ziel aber im Gegenteil um elf Millionen Tonnen verfehlt.

    Politischer Streit um die Bahn

    Von "Chefsache" also kann aktuell offenbar keine Rede sein: Die finanziellen Mittel für die Bahn wurden allenfalls sachte angehoben. Im Wesentlichen habe sich an der mittel- und langfristigen Finanzplanung für die Bahn seit dem Regierungswechsel nichts verändert, kritisiert Enak Ferlemann (CDU), von 2018 bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr. Mit Blick auf Baukostensteigerungen und Inflation "reichen die Etats um Längen nicht mehr aus".
    Gleisarbeiten an einer Bahnstrecke.
    Rund 60 Milliarden müssen laut Deutsche Bahn ausgegeben werden, um das Schienennetz in Deutschland auf den neusten Stand zu bringen. Die jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur der Bahn verursacht jetzt große Probleme.13.12.2022 | 1:42 min
    Michael Theurer (FDP) verweist auf laufende Gespräche über die künftige Finanzierung der Bahn – und spielt den Schwarzen Peter zurück:

    CDU/CSU haben dieses Haus und auch die Infrastruktur nicht in tadellosem Zustand übergeben. Und da kommt eigentlich so eine Kritik jetzt fast einer retrograden Amnesie gleich.

    Michael Theurer, FDP-Politiker

    Die Politik streitet. Auch innerhalb der Regierung gehen die Positionen weit auseinander. Die Grünen wollen endlich Vorfahrt für die Bahn. Die FDP mahnt, zu deutliche Einschnitte beim Auto würden der deutschen Wirtschaft schaden.
    Unter Verkehrs- und Mobilitätsexperten herrscht unterdessen weitgehend Konsens, dass sich die Klimaziele nur mit einer vollständigen Neuausrichtung der Verkehrspolitik auf die Schiene verwirklichen lassen.

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