Projekt in Frankreich: Mit Solidarität gegen den Ärztemangel

    Pilotprojekt in der Provinz:Frankreich: Mit Solidarität gegen Ärztemangel

    von Nancy Brandt
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    Der Ärztemangel auf dem Land wird zu einem immer gravierenderen Problem. In Frankreich kämpft Martial Jardel gemeinsam mit einer Bürgerinitiative erfolgreich dagegen an.

    Das Dorf Bellegarde-en-marche im französischen Departement Creuse
    Ihren Traum vom Landleben geben viele auf. Arbeitsplätze und ärztliches Personal sind rar, Busse und Züge selten, kulturell ist wenig los. Doch so mancher Ort findet sich nicht damit ab.25.11.2023 | 29:45 min
    Als der junge Allgemeinarzt Martial Jardel 2021 als Vertretungsarzt in mehreren ländlichen Regionen Frankreichs Dienst tut, wird ihm schnell das Ausmaß des Mangels in der medizinischen Versorgung bewusst. So kann das nicht bleiben, beschließt der 32-Jährige und kommt auf eine Idee. Diese wird - trotz aller Widerstände - Realität.

    Am Anfang hat man mich und meine Mitstreiter für verrückt erklärt und gesagt: "Das wird niemals funktionieren! Unmöglich!"

    Martial Jardel, Arzt

    Gesundheitszentrum als Pilotprojekt

    Martial Jardel nennt sein Projekt "Médecins Solidaires" - solidarische Ärzte. In Ajain, einem Örtchen mit einer Bevölkerung von gerade einmal 1.000 Menschen mitten in der französischen Provinz, startet er vor einem Jahr sein Pilotprojekt: ein Gesundheitszentrum mit rund 50 Ärzten und Ärztinnen.
    Thumbnail "plan b: Rezepte gegen Ärtzemangel" - Ein Ärzt hält eine Arzttasche in der Hand
    "Wir können nicht einfach zumachen!", sagt Wolfgang Stunder. Der 70-jährige Mediziner weiß, wie dramatisch der Ärztemangel auf dem Land aussieht. Seit Jahren sucht er einen Praxisnachfolger.07.09.2023 | 29:50 min
    Der Clou: Sie arbeiten dort nacheinander, nicht gleichzeitig. Jede Woche wird gewechselt. So muss niemand seine eigene Praxis lange vernachlässigen und sich nicht dauerhaft auf dem Land ansiedeln. Gleichzeitig ist die Bevölkerung trotzdem medizinisch versorgt.
    "Chapeau", sagt Patrick Carton, der in einer Nachbargemeinde wohnt.

    Hut ab vor den Leuten, die sich darum gekümmert haben, dass Ärzte hierherkommen.

    Patrick Carton

    In Ajain hatten sie zwei Jahre lang vergeblich gesucht. Niemand wollte die Praxis ihres Arztes übernehmen, als dieser in Rente ging. Bis zur nächsten mussten die Einwohnerinnen und Einwohner eine zweistündige Autofahrt in Kauf nehmen. Bis die solidarischen Ärztinnen und Ärzte kamen.  

    Plan B
    Quelle: ZDF

    Mehr zu "Power für die Provinz" sehen Sie am Samstag, 25. November, um 17:35 Uhr im ZDF im TV. Weitere Dokumentationen von plan b und die Hintergründe dazu finden Sie jederzeit in der ZDF-Mediathek.

    Freiwillige aus ganz Frankreich melden sich 

    Zusammen mit einer Bürgerinitiative namens "Bouge Ton Coq" hat Martial Jardel Gegenden im Blick, die als "medizinische Wüsten" bezeichnet werden. In Frankreich hat fast ein Viertel der Bevölkerung sehr weite Wege zurückzulegen, um medizinisch versorgt zu werden.
    Rund 6.000 Allgemeinärzte und -ärztinnen fehlen. "Die Ärzte von heute haben ja grundsätzlich nichts dagegen, auf dem Land zu arbeiten", sagt Jardel.

    Sie möchten sich nur nicht mehr 30 Jahre lang binden. So kam ich auf die Idee, wenig von vielen zu verlangen, anstatt viel von wenigen.

    Martial Jardel

    Seine Idee weckt bei vielen Freiwilligen ihren Sinn für Solidarität: 300 haben sich inzwischen gemeldet. Sie kommen aus ganz Frankreich - Ärzte und Ärztinnen, die keine eigene Praxis haben, sich für eine Woche unbezahlten Urlaub nehmen, sich in ihrem Heimatort vertreten lassen oder bereits in Rente sind.
    Eine Karte an einer Wand zeigt mit Fotos die vielen Ärzte und Ärztinnen, die aus ganz Frankreich gekommen sind, um in der Landarztpraxis in Ajain eine Woche zu arbeiten.
    Ärzte und Ärztinnen aus ganz Frankreich sind gekommen, um in der Landarztpraxis in Ajain eine Woche zu arbeiten.
    Quelle: Andre Straub

    Kostenlose Unterkunft und Zeit für Patienten

    Für ihre Arbeit bekommen die solidarischen Ärztinnen und Ärzte ein Gehalt: 1.000 Euro. Das entspricht nicht ihrem normalen Einkommen, ihr Engagement ist also weitgehend ehrenamtlich. Dafür aber werden ihnen eine kostenlose Unterkunft und ein Fahrzeug gestellt. Auch ihre Familie dürfen sie mitbringen.
    Ein weiterer Pluspunkt: Sie können sich für jeden Patienten und jede Patientin 40 Minuten Zeit nehmen - ein Luxus, den die wenigsten in ihrem Alltag noch haben. Die Médecins Solidaires erhalten finanzielle Unterstützung vom Département sowie von der Regierung in Paris. Die Gemeinde stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung.
    "Wenn zehn Prozent aller Ärzte in Frankreich beim Projekt mitmachen, also 7.000, dann könnten wir 150 Gesundheitszentren im ganzen Land eröffnen", kalkuliert Martial Jardel.

    Landleben blüht dank der Ärzte auf

    Der Visionär läuft offene Türen ein. Die Pilotpraxis in Ajain lief so gut an, dass nur acht Monate später das zweite Ärztezentrum in 40 Kilometern Entfernung eröffnet werden konnte. Mittlerweile fanden dank der solidarischen Ärzte bereits mehr als 7.000 Patientenkonsultationen in den beiden Praxen statt.
    An einem Holzhaus wird ein Schild mit der Aufschrift Centre de Santé, Bellegarde&Saint-Silvain angebracht - das zweite Gesundheitszentrum des Projekts.
    Ein Schild wird am neuen und zweiten Gesundheitszentrum der solidarischen Ärzte im Dorf Bellegarde-en-Marche angebracht.
    Quelle: Nancy Brandt

    Das Ganze hat zudem eine - durchaus beabsichtigte - Nebenwirkung: "Ich denke, wir haben jetzt viele Gründe hierzubleiben", sagt Lola Caulier, eine junge Dorfbewohnerin. Und ihre Freundin Laura Demargne ergänzt: "Es gibt mehr Gründe zu bleiben als zu gehen." Das Landleben blüht auf, dank der solidarischen Ärzte und Ärztinnen.

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