Salman Rushdie: "Am Ende zählen nur die Bücher im Regal"

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    Autor Salman Rushdie:"Am Ende zählen nur die Bücher im Regal"

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    Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an Salman Rushdie. In New York City traf ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen den weltberühmten Autor.

    Salman Rushdie im Interview mit Elmar Theveßen.
    Am 22. Oktober erhält Salman Rushdie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der Autor ist seit der Messerattacke 2022 selten in der Öffentlichkeit.19.10.2023 | 7:00 min
    Unbekümmert wirkt Salman Rushdie, als er aus dem Auto steigt. Wir hatten gedacht, er wäre nervös oder beunruhigt, schließlich ist der feige Mordanschlag auf ihn doch gerade mal ein Jahr her. Ein 24-jähriger gebürtiger Libanese hatte Rushdie im August 2022 bei einer Lesung mit einem Messer angegriffen und dabei schwer verletzt. 
    ZDFheute: Alle Menschen fragen sich, wie sicher Sie sich in New York fühlen.
    Salman Rushdie: Ich fühle mich ok. Nicht schlecht. Es ist New York. Und ich weiß ziemlich gut, wie ich mich sicher fühlen kann.

    … wurde 1947 im indischen Mumbai (damals Bombay) geboren und als Jugendlicher auf ein englisches Internat geschickt. Später studierte er Geschichte an der Elite-Universität Cambridge. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm 1981 mit seinem zweiten Roman "Mitternachtskinder".

    1989 wurde Rushdie per Fatwa vom damaligen iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini zum Tode verurteilt. Anlass der Fatwa war Rushdies Bestseller "Die satanischen Verse". Nach Ansicht radikaler Muslime beleidigt das Buch den Propheten Mohammed. In den Jahren danach lebte der Schriftsteller in ständiger Todesgefahr und unter Polizeischutz der britischen Regierung an wechselnden Orten. Im Jahr 2007 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen.

    Rushdie schrieb Sachbücher, Romane und Kurzgeschichten. Sein Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Sein höchstes Gebot ist dabei stets die Verteidigung der Freiheit.

    Seit mehr als 20 Jahren lebt der Schriftsteller nun in den USA.

    ZDFheute: Nachdem Sie die Satanischen Verse geschrieben hatten, wollten Fanatiker Sie vernichten. Ihr Leben hat sich damals dramatisch verändert. Was hat das mit Ihnen gemacht?
    Rushdie: Das war eine sehr schwierige Zeit. Aber seit ich in den Vereinigten Staaten bin, also in den jetzt 23 Jahren, habe ich mein Leben größtenteils zurückbekommen. Und dann war da dieser Zwischenfall vor einem Jahr
    ZDFheute. Das war am 22. August 2022. Können Sie darüber sprechen, was da in New York passiert ist?
    Rushdie: Nein, ich möchte nicht wirklich darüber reden. Wir wissen ja alle, was geschehen ist. Und wie Sie sehen, nach all diesen Monaten, bin ich weitgehend wiederhergestellt. Mir ist das wichtig: Mich wieder aufrappeln und weitermachen, statt mich mit diesem Thema aufzuhalten.
    ZDFheute: In Ihrem neuesten Buch "Victory City" über Aufstieg und Fall eines Königreiches in Südindien scheinen Sie die gesamte Menschheitsgeschichte in eine Erzählung voller Magie einzubeziehen?
    Rushdie: Mir hat mal jemand gesagt, dass ich Alles-drin-Bücher schreibe, in denen alles in der Welt drin ist. Das ist vermutlich wahr. Als Schriftsteller bin ich kein Minimalist, sondern ein Maximalist. Ich will so viel wie möglich aus dem menschlichen Leben auf eine Seite packen.
    Szene aus "Victory City" von Salman Rushdie: Junge Frau mit einem rot-weiß gemusterten Kopftuch steht vor einer dunklen Wand.
    "Victory City" von Salman Rushdie: Epischer Roman über Macht und Liebe30.04.2023 | 3:58 min
    ZDFheute: Werfen wir einen Blick auf die USA, wo wir Donald Trump als Präsidenten gesehen haben. Wie besorgt sind Sie um die amerikanische Demokratie?
    Rushdie: Wir leben in einer Welt, die von Unwahrheit und Lügen heimgesucht wird - immer je nachdem, auf welcher Seite der Politischen Kluft man steht. Das ist ziemlich gefährlich auch heute, weil es diesen - wie soll man sagen - Angriff auf die Wahrheit gibt. […] In New York wissen wir alles über Donald Trump. Wir wussten schon sehr, sehr lange, dass er ein Gauner und Scharlatan war. Amerika hat das zu spät erkannt.
    ZDFheute: Wie besorgt sind Sie?
    Rushdie: Jetzt fühlt sich jede Wahl in Amerika an wie die wichtigste Wahl, die es je gab.
    ZDFheute: Die Ukraine ist derzeit in aller Munde. Die russische Aggression hat Existenzängste bei den Menschen und Qualen auf der ganzen Welt ausgelöst. Wie tief berührt Sie dieser Krieg?
    Rushdie: Ich denke jeden Tag daran. Da wir auf dieser Seite des Atlantiks leben, sind wir nicht so nah dran. Für euch in Deutschland ist es ja gleich nebenan. Wir müssen der Ukraine helfen, es bis zum Ende durchziehen, und das Ende muss Russlands Rückzug sein, nichts anderes.
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    ZDFheute: Es scheint klar, dass wir als Menschen das Potential haben, die gesamte Menschheit durch unser Handeln zu vernichten. Glauben Sie, dass die Menschheit am Ende überleben wird?
    Rushdie: Ich bin kein Prophet. Deshalb kenne ich die Antwort nicht. Aber die Gattung Mensch hat einen sehr mächtigen Überlebensinstinkt. Und wenn sie in Gefahr ist, schaltet der sich ein. Ich gehe mal davon aus, dass es uns noch eine Weile geben wird.
    ZDFheute: Und Sie hoffentlich auch?
    Rushdie: Ich plane schon meinen 100. Geburtstag.
    ZDFheute: Und was soll die Welt irgendwann - hoffentlich in sehr ferner Zukunft - von Salman Rushdie in Erinnerung behalten?
    Rushdie: Oh, nur die Bücher, sonst nichts. Mir ist es völlig egal, was in meinem Leben passiert ist. Es war bedauerlich, ich wünschte, ich hätte ein gewöhnliches Leben als Schriftsteller gehabt, anstelle dieses irgendwie seltsamen Lebens. Aber am Ende zählen nur die Bücher im Regal.
    Das Interview führte Elmar Theveßen, ZDF-Studioleiter in Washington.

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