Wie die AfD im internen Chat über Russland spricht

    Exklusiv

    Geleakte Chat-Nachrichten:Wie die AfD intern über Russland spricht

    David Gebhard
    von David Gebhard
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    "Mongolensturm" und "Tag der Schande": Die Partei, die vorgibt gegen Russlandfeindlichkeit und für gute Beziehungen mit Moskau zu sein, klingt in einer Chatgruppe ganz anders.

    Ein Blick in die Bundestagsfraktion der AfD
    Abgeordnete der AfD-Fraktion im Bundestag (Archiv)
    Quelle: Jens Gyarmaty/laif

    Am nächsten Morgen sind alle Spuren beseitigt. Der "Tatortreiniger" hat sauber gemacht. So nennen die Bundestagsabgeordneten der AfD den Administrator ihrer fraktionsinternen Chatgruppe "Quasselgruppe". Brisante Diskussionsbeiträge und Posts sollen rechtzeitig gelöscht werden, bevor sie die Runde machen. Aber ein AfD-User hat den "Tatortreiniger" überlistet und rechtzeitig Screenshots gemacht. Sie liegen ZDF Frontal exklusiv vor.
    Alice Weidel sitzt mit verschränkten Armen im Bundestag und blickt verärgert zur Seite
    10 Jahre AfD: Von den einstigen Gründungsmitgliedern will kaum jemand noch mit der AfD in Verbindung gebracht werden. Über Jahre hat die Partei erfolgreich den rechten Rand im politischen Spektrum besetzt.31.01.2023 | 13:31 min

    Die AfD im Kleinen: Kabale und Hass

    Es sind Dokumente, die tief blicken lassen in die Diskurs- und Gedankenwelt der AfDler. Die Partei gibt seit dem Abgang von Ex-Chef Jörg Meuthen ein deutlich geschlosseneres Bild nach außen ab. Graben- und Richtungskämpfe werden öffentlich wahrnehmbar nur noch von kleinen versprengten Grüppchen verbliebener Meuthenianer geführt. Doch es brodelt noch immer im Inneren der AfD, vor allem wenn es um zwei Reizthemen geht, die an diesem Dienstag im Gruppenchat zusammen kommen: Russland und Erinnerungspolitik.
    Auslöser ist ein Artikel der "Berliner Zeitung". Es geht um den Besuch von Fraktions- und Parteichef Tino Chrupalla und dem AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in der russischen Botschaft angesichts des "Tags des Sieges" der Sowjetarmee über Nazi-Deutschland am 8./9. Mai 1945. Auf einem Foto sieht man Chrupalla, wie er dem russischen Botschafter ein Geschenk überreicht. Nun entspinnt sich in der AfD-Chatgruppe eine Diskussion. Im Minutentakt melden sich AfD-Bundestagsabgeordnete zu Wort. Es hat etwas von einem digitalen Kammerspiel - die AfD im Kleinen: Kabale und Hass.

    Chrupalla wegen Botschaftsbesuch in der Kritik

    Über den Link zum Artikel "Jahrestag des Sieges über die Nazis: Empfang in der russischen Botschaft", der über Chrupallas und Gaulands Teilnahme berichtet, schreibt ein AfD-Abgeordneter:

    Ich brech ins Essen!!! Langsam frage ich mich, ob ich hier noch richtig bin.

    AfD-Abgeordneter

    Ein Fraktionsvize antwortet. "Muss ein Witz sein. MUSS." Ein anderer AfDler aus Bayern findet: "Diese Verharmlosung der millionenfachen systematischen schweren Kriegsverbrechen (Mord, Vergewaltigung, Vertreibung) der Sowjets kann man Patrioten nicht erklären. Die Unterstützung Russlands kann man 85% der Westdeutschen nicht erklären."
    Der Abgeordnete fragt rhetorisch: "Wen gewinnt man damit als Unterstützer? Ah, im Artikel steht es ja: Egon Krenz und Klaus Ernst, Mauermörder und deren geistige Nachfolger. Sind unsere Umfragewerte wieder zu gut, dass wieder so eine Aktion sein musste?" Da ist er wieder, der alte AfD-Ost-West-Konflikt in der Russlandfrage.
    Auf dem Bild ist der Moderator Ralph Szepanski in einem Schaltgespräch mit Hauptstadtkorrespondent Bernd Benthin zu sehen.
    Die AfD-Jugend, die "Junge Alternative", wurde vier Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet. Jetzt steht fest, dass die Organisation rechtsextremistische Bestrebungen und verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.26.04.2023 | 1:27 min
    Die öffentlich-vertretene russland-freundliche Haltung, für die insbesondere Ost-AfDler wie Tino Chrupalla oder Björn Höcke stehen, kommt im Westen deutlich schlechter an. So schreibt etwa ein Niedersachse in die Gruppe: "Geht gar nicht… tut mir leid aber genug ist genug!!!" In Schutz genommen wird der Besuch dagegen von seinem Kollegen aus Brandenburg: "Hallo? Gerade bei uns in LOS (Anmerk.: Landkreis Oder-Spree) kommt das bei unseren Wählern gut an oder wird ohne Probleme toleriert - jetzt mal unabh. vom Westen gesehen".

    Ton in AfD-Chatgruppe rassistisch

    Doch aus dem Westen kommt Widerspruch. Ein Volksvertreter aus NRW präsentiert der Gruppe sein Russland-Bild. Die Geschenkübergabe von Chrupalla an den russischen Botschafter kommentiert er so: "Ihr habt uns 1/3 unseres Staatsgebiets geraubt, Millionen Deutsche vertrieben, unzählige Frauen vergewaltigt und das Land ausgeplündert. Wir wollen das mit euch feiern. Unsere Wähler in LOS finden das auch gut. Hier ein kleines Präsent für euch!" Überhaupt ist der Ton scharf in der Gruppe, persönlich und mitunter rassistisch.
    Alice Weidel im ZDF-Sommerinterview
    Laut Verfassungsschutz sind die Extremisten in der AfD gestärkt. Alice Weidel im ZDF-Sommerinterview zu den Extremismus-Vorwürfen.07.08.2022 | 1:48 min
    Ein Abgeordneter schreibt von seinem Vater, der in der Wehrmacht bis zum Schluss dafür gekämpft habe, dass Flüchtlinge noch heil zurückkamen, seine "vertriebene" Mutter und das Schicksal der Frauen. Er folgert: "… nein, wir müssen keine Soldateska ehren, das waren keine Soldaten, das waren barbarische Mongolenstürme..." "Mongolensturm" ist ein Begriff der NS-Propaganda für die Rote Armee, den auch Joseph Goebbels gebrauchte im April 1945, wenige Tage vor der Niederlage Hitler-Deutschlands am 8. Mai, dem "Tag der Befreiung".
    Doch in der AfD-Chatgruppe fällt eine andere Formulierung für das Datum. Der Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt schreibt in die Gruppe: "Am Tag der Schande vor den Vergewaltigern zu knien geht gar nicht!" Statt Widerspruch zu üben, kommentiert ein Kollege die Äußerung so: "Ein Deutscher sollte nur vor Gott und seiner Frau knien."

    Druck auf Chrupalla: Rücktritt wird ins Spiel gebracht

    Der Unmut richtet sich vor allem gegen Chrupalla. Rufe nach einer Sonderfraktionssitzung werden laut. "Tino und Herr Gauland mögen sich erklären. Ich habe den Eindruck, wir haben hier grundverschiedene Ansichten, warum wir das hier alles eigentlich machen", schreibt einer aus NRW. Ein Kollege aus Baden-Württemberg greift Chrupalla persönlich an: "Ich bin fassungslos ob solcher Selbstverleugnung oder alternativ solcher Naivität."

    Die Russen haben dich schon beim letzten Mal am Nasenring durch die Manege gezogen, zumindest daraus sollte man doch lernen.

    AfDler aus Baden-Württemberg

    Der stellvertretende Fraktionschef Norbert Kleinwächter ergänzt: "Jeder, Freund wie Feind, würde Tinos Rücktritt von allen Ämtern begrüßen. Ich fordere ihn nicht, hielte ihn aber für einen Segen für unsere Partei und Fraktion."
    Tino Chrupalla
    "Man hatte uns schon nach zwei oder drei Jahren totgesagt, und unser Erfolg geht weiter", sagte Chrupalla zu 10 Jahren AfD.06.02.2023 | 6:25 min

    Verachtung für die Rote Armee, die Hitler besiegte

    Der Druck auf Chrupalla wächst, um 12:50 Uhr am Mittwoch schreibt er auf Twitter: "Gestern war ich beim Empfang von @RusBotschaft anlässlich des Kriegsendes. Nicht um für Befreiung zu danken, wie die #BZ schreibt, sondern um die deutsche Sicht auf Geschichte und Gegenwart zu erläutern. Mein Geschenk: eine Tasse mit preußischem Adler. Für Frieden und Aussöhnung!"
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    Frieden und Aussöhnung, während seine Parteifreunde von "Tag der Schande" und "Mongolenhorden" schreiben. Die AfD ist die Partei, die öffentlich am meisten Verständnis für Putins aktuellen Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt. Und intern am meisten Verachtung für die Rote Armee, die Hitler besiegte.
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