Wie Macron in Frankreich Drogenkriminalität bekämpfen will

    Bandenkriminalität:Frankreichs XXL-Plan gegen Drogenhandel

    von Lukas Nickel
    |

    Immer mehr kleine und mittelgroße Städte in Frankreich kämpfen mit Drogenkriminalität. Mit "XXL"-Razzien versucht die Regierung jetzt, das Problem in den Griff zu bekommen.

    Vier Hochhäuser ragen in den blauen Himmel.
    Pissevin gilt als eines der Problemviertel von Nîmes. Im vergangenen Jahr sind hier drei Menschen durch Schusswaffen gestorben.
    Quelle: ZDF

    Pascale Thoirey-Bouyahmed führt durch die Hochhaussiedlung in Pissevin, einem Randbezirk von Nîmes in Südfrankreich. Die meisten Geschäfte hier stehen leer, die öffentliche Bibliothek ist seit fast einem Jahr geschlossen. Die Lehrerin arbeitet in Pissevin und ist für die Gewerkschaft tätig. Sie kann offen sprechen. Viele in dem Viertel trauen sich das nicht.
    An den Eingängen der grauen Wohnblöcke hängen Jugendliche herum, die "Guetteurs". Meist junge Männer, sie warnen ihre Banden vor unerwünschten Eindringlingen in das Viertel. Jeder kennt sie, jeder sieht sie. Angst, Probleme mit der Polizei zu bekommen, scheinen sie nicht zu haben.
    Graffiti
    Gewalt, Rassismus und Drogen prägen ganze Stadtteile in der französischen Metropole Marseille. Und das schon seit Jahrzehnten – die Menschen kämpfen um ein Leben in Sicherheit.04.10.2023 | 13:02 min
    Die allermeisten Menschen im Viertel aber, sagt Thoirey-Bouyahmed, wollen einfach in Ruhe leben.

    Wir haben hier ein paar Verbrecher, ein paar Dummköpfe, die alles Mögliche machen und das Leben der 15.000 anderen Einwohner hier behindern.

    Pascale Thoirey-Bouyahmed, Lehrerin

    Nîmes hat in letzter Zeit Aufsehen erregt mit Schießereien zwischen rivalisierenden Gangs. Es geht und um die Oberhand im Drogengeschäft, und um viel Geld. An einem einzelnen Verkaufspunkt können die Banden mehrere zehntausend Euro pro Tag verdienen.

    Polizei in Nîmes oft machtlos gegen Gangs

    Im vergangenen Jahr sind drei Menschen in Pissevin durch Schüsse gestorben. Darunter ein 10-Jähriger, der von einer verirrten Kugel getroffen wurde. Viele Familien hatten Angst und wollten umziehen, sagt die Lehrerin. Doch bezahlbarer Wohnraum sei knapp in Nîmes, also bleiben sie in Pissevin.

    Drogenkonflikt in Südfrankreich
    :Schüsse in Nîmes: Junge tödlich verletzt

    Bei einem Vorfall im Drogenmilieu in Nîmes ist ein zehn Jahre alter Junge nach einem Schuss ums Leben gekommen. Frankreichs Innenminister kündigte Konsequenzen an.
    Ein französischer Polizist steht am 22. August 2023 im Viertel Pissevin in Nîmes, Südfrankreich, Wache.
    Rund 150.000 Menschen leben insgesamt in der Stadt. Immer mehr kleinen und mittleren Städten in Frankreich ergeht es wie Nîmes, berichtet Rémy Alonso von der Polizeigewerkschaft Alliance Police Nationale. Ein Phänomen, gegen das die Polizei oft nicht ankomme: "Im Moment stehen wir Polizeibeamten der Situation etwas hilflos gegenüber, weil es nicht genug von uns gibt, um diesen Drogenhandel zu bekämpfen."

    Egal, wie viele Dealer verhaftet werden, am nächsten Tag stellen sie zwölf weitere ein, sie werden sofort ersetzt.

    Rémy Alonso, Polizeigewerkschaft Alliance Police Nationale

    Ein Hochhaus mit über 14 Etagen vor blauem Himmel.
    Das Viertel ist in schlechten Zustand. Viele würden gerne umziehen, doch können sich das nicht leisten, berichtet Lehrerein Thoirey-Bouyahmed.
    Quelle: ZDF/Lukas Nickel

    XXL-Plan soll Drogenbanden das Leben schwer machen

    Um gegen die zunehmende Drogenkriminalität vorzugehen, hat der französische Präsident Emmanuel Macron im März eine Spezialaktion "XXL" ausgerufen. Seitdem gibt es medienwirksam verstärkt Groß-Razzien in Städten wie Marseille, Dijon und Clermont-Ferrand. "Das Ziel ist es, die Netzwerke und die Händler zu zerstören", so der Präsident beim Auftakt der Aktion in Marseille Mitte März.
    Innenminister Gérald Darmanin lobte sich am Mittwoch selbst, bisher seien im Rahmen der Groß-Razzien gut 3.800 Menschen verhaftet worden. Außerdem seien mehr als 500 Waffen und vier Tonnen Drogen sichergestellt worden.
    Frankreich: Razzien gegen Drogendealer
    Frankreich versucht der Drogenkriminalität mit gezielten Polizei-Großaktionen Herr zu werden.19.04.2024 | 2:19 min

    Zweifel an Effektivität

    Hilft das, die Drogenkriminalität einzudämmen? Polizeigewerkschaften und Expert*innen kritisieren, dass ein großer Teil des Drogengeschäfts sowieso nicht über feste Drogenumschlagsplätze geht. Seit der Corona-Pandemie läuft der Verkauf zum Beispiel auch zunehmend über Online-Bestellungen zum Beispiel über Whatsapp oder Telegram, die direkt nach Hause gebracht werden.
    Die Stadt Nîmes hat nicht auf ZDF-Anfragen reagiert. Eine der zentralen Figuren der politischen Opposition in Nîmes aber will sprechen: Kommunalpolitiker Vincent Bouget von der Parti Communiste. Auch er bezweifelt, dass die Razzien langfristig Wirkung zeigen: "Wir haben mit Problemen in diesem Viertel zu tun, die viel tiefer gehen." Auf der einen Seite stünden die Drogenbanden, international vernetzt und angelockt von einem lukrativen Geschäft. Und auf der anderen Seite die sozialen Schwierigkeiten in Pissevin, das in den letzten 20 Jahren von der Politik vernachlässigt worden sei.
    Auch im Problemviertel Pissevin gab es eine Razzia im vergangenen März. Doch nur einen Monat später lauern die Guetteurs wieder auf ihren Posten.
    Lukas Nickel arbeitet im ZDF-Studio Paris.

    Mehr zu Frankreichs Vororten

    Mehr News aus Frankreich