Stiller Massenexodus: Kolumbien blutet aus

    Stiller Massenexodus:Kolumbien blutet aus

    von Tobias Käufer
    |

    Seit zwei Jahren gehen die Migrationszahlen aus dem Land steil nach oben. Auch in Europa ist das längst zu spüren. Es gibt für die Menschen viele Gründe, Kolumbien zu verlassen.

    Die Grenzpatrouille wählt die nächste Gruppe von Migranten aus, die in das Verarbeitungszentrum gebracht werden sollen am 12.05.2023.
    Die Zahl der Kolumbianer in den Einwanderungsgruppen Richtung USA wächst rapide.
    Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com

    Eigentlich trat Gustavo Petro als neuer Hoffnungsträger einer leidgeprüften Nation im August 2022 an. Der erste linke Präsident des südamerikanischen Landes hat seine Mission klar umrissen: Der ehemalige Guerillero will die Andennation auf dem Verhandlungswege befrieden.

    Polit-Erfolge stoppen nicht die Migration

    Tatsächlich gelangen Petro einige Erfolge. So ging im abgelaufenen Jahr die Zahl der Ermordungen von Sozialaktivisten leicht zurück, zudem gelangen Waffenstillstandsabkommen mit den beiden größten noch aktiven Guerilla-Bewegungen im Land: der ELN und den sogenannten Farc-Dissidenten, die sich dem 2016 abgeschlossenen Friedensvertrag zwischen Regierung und Farc verweigern.
    Doch zeitgleich schnellen die Migrationszahlen nach oben: Sowohl aus den USA als auch aus Europa gibt es Berichte über eine deutliche Zunahme von Migration aus Kolumbien.
    "Gib Frieden eine Chance - Drei Menschen im Einsatz für Verständigung": Ulrike steht neben Jugendlichen aus der Theatergruppe ihres Jugendzentrums.
    In Kolumbien herrscht ein Teufelskreis von Leid und Gewalt. Eine Deutsche hilft Jugendlichen in einem Armenviertel aus der Spirale auszubrechen.26.12.2023 | 44:01 min

    Flüchtlingsstrom in die USA mehr als verzehnfacht

    Das Innenministerium in Madrid teilte auf Anfrage von ZDFheute mit: Im Jahr 2023 wurden insgesamt 163.218 Asylanträge registriert, eine Steigerung von 37 Prozent. Das sei die höchste Zahl seit der Gründung des Büros im Jahr 1992. Die überwiegende Mehrheit der Anträge kam vom amerikanischen Kontinent.

    Fast 80 Prozent der Antragsteller kommen aus drei lateinamerikanischen Ländern: Venezuela (60.534 Anträge), Kolumbien (53.564) und Peru (14.306).

    Innenministerium Spanien

    Eine ähnliche Entwicklung ist aus den USA zu beobachten. Auch dort geht die Zahl der Migranten aus Kolumbien steil nach oben. Auch wenn der Anteil der an der Grenze festgesetzten Migranten ohne gültige Einreisepapiere aus Kolumbien nur sieben Prozent ausmacht, ist der Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren historisch.
    Im Jahr 2021 - dem bisherigen Rekordhoch - verzeichneten die USA die Festsetzung von etwa 10.000 Kolumbianern. Diese Zahl stieg aber zuletzt sprunghaft auf 130.000 im Jahr 2022 und fast 170.000 im Jahr 2023.

    Fluchtursachen: Vor allem Gewalt und fehlende Chancen

    Diego Chaves-Gonzalez, leitender Direktor für Lateinamerika und Karibik beim Migration Policy Institute, sagte der Tageszeitung "El Tiempo":

    Vertreibungsfaktoren wie Gewalt und Mangel an Entwicklungschancen in Kolumbien sowie die Anziehungskraft von Stabilität und Sicherheit in den Vereinigten Staaten sind bedeutende Gründe für diese Entwicklung.

    Diego Chaves-Gonzalez, Migration Policy Institute

    Darüber hinaus halte die venezolanische Migration nach Kolumbien seit einigen Jahren an, was auf eine mögliche Neuordnung der Familienstruktur durch die Zusammenführung von Kolumbianern und Venezolanern hindeute und die Migrationsstatistiken beeinflusse, so Chaves-Gonzalez. Anders ausgedrückt: Inzwischen verlassen Venezolaner und Kolumbianer gemeinsam das Land.
    "Ein weiterer Faktor ist die Pandemie und der daraus resultierende Mangel an Möglichkeiten. Er veranlasst Familien aus der Mittelschicht, die viele familiäre Verbindungen in die USA haben, zur Migration", fügt Chaves-Gonzalez hinzu.
    Members of the rescue team search for people trapped at the area of a landslide in the road between Quibdo and Medellin, Choco department, Colombia on January 13, 2024.
    Mindestens 33 Menschen sind bei einem Erdrutsch in Kolumbien ums Leben gekommen. Ein Gebäude, in dem die Menschen Schutz vor Schlammlawinen suchten, wurde verschüttet.14.01.2024 | 0:18 min

    Korruptionsvorwürfe, Drogen und hohe Inflation

    Trotz erster Erfolge bei seinem Friedensprojekt sind die Zustimmungsraten für die Regierung Petro im Keller. Das liegt auch an hausgemachten Skandalen wie den Korruptionsvorwürfen gegen den Präsidentensohn Petro, einer zunehmenden Alltagskriminalität und hohen Inflation. Und dem Gefühl zahlreicher Kolumbianer, die bewaffneten Banden würden den ausgehandelten Waffenstillstand nutzen, um ihre Machtpositionen in den Territorien auszubauen, weil das Militär nicht mehr eingreift.
    Tatsächlich ist die Kokainproduktion in Kolumbien deutlich angestiegen. Viele Kolumbianer sehen deshalb offenbar keine Zukunft mehr in ihrem Heimatland und treten die gefährliche und ungewisse Reise in die USA und nach Europa an.

    Mehr aus Kolumbien und Südamerika