Was hinter der Gewalteskalation in Ecuador steckt

    Analyse

    Sturm auf TV-Sender in Ecuador :Was hinter der Gewalteskalation steckt

    von Anne-Kirstin Berger, Rio de Janeiro
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    Fernsehzuschauer in Ecuador werden Zeuge, wie Bewaffnete die Mitarbeiter eines Senders bedrohen. Was steckt hinter der Gewalteskalation in dem südamerikanischen Land?

    EIn bewaffneter Polizist steht auf einer Straße im Zentrum.
    In Ecuador eskaliert die Gewalt rivalisierender Banden.10.01.2024 | 1:18 min
    Die Nachrichtensendung hat gerade begonnen, als Jorge Redón Schreie auf dem Flur hört. "Ich dachte erst, es sei ein Streit", sagt der ecuadorianische Journalist Stunden später. "Aber dann hat uns die Regie gesagt, dass wir gerade überfallen werden. Und wir sahen, wie von draußen jemand versuchte, die Studiotür aufzubrechen."

    Vermummte Bewaffnete stürmen Studio

    Fernsehzuschauer können am Dienstagnachmittag live verfolgen, wie vermummte Männer mit schweren Waffen das Studio stürmen, Mitarbeiter auf den Boden zwingen. Einer der bewaffneten Männer wendet sich direkt in die Kamera:

    Wir sind live, damit Sie wissen, dass die Mafia keinen Spaß versteht!

    Angreifer des TV-Studios

    Hinter dem Angriff steckt mutmaßlich eine der zahlreichen Drogen-Gangs, die in Ecuador seit Monaten für Angst sorgen. Seit 2019 hat sich die Mordrate mehr als versechsfacht, immer wieder gibt es Anschläge und tödliche Aufstände in Gefängnissen.
    Im vergangenen August wurde der Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio mitten im Wahlkampf erschossen. Er hatte um ein hartes Vorgehen gegen die Drogenmafias geworben.
    Ecuador, Quito: Angehörige umringen den Sarg des getöteten Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio vor seiner Beerdigung auf dem Friedhof Camposanto Monteolivo in Quito, Ecuador.
    Der Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio ist nach einer Wahlkampfveranstaltung erschossen worden.12.08.2023 | 0:19 min

    Drogengewalt schwappt von Kolumbien über die Grenze

    Dabei war Ecuador, gelegen an der Westküste Südamerikas, bis vor wenigen Jahren eins der sichersten Länder Südamerikas. In den letzten Jahren aber ist die Drogengewalt vom Nachbarland Kolumbien über die Grenze geschwappt.
    Ecuador bietet dem organisierten Verbrechen logistische Vorteile: es grenzt an die beiden größten Koka-Anbauländer, Peru und Kolumbien, und verfügt über Seehäfen in der Stadt Guayaquil. Dass der Dollar Landeswährung ist, erleichtert obendrein die Geldwäsche.
    Seit das Monopol der kolumbianischen Guerilla-Gruppe Farc über den Drogenhandel bröckelt, konkurrieren mehrere Kartelle um die Macht über das Kokain, darunter Gruppen aus Mexiko, Albanien und Kolumbien.

    Wir haben es mit einem Kampf dieser zersplitterten Organisationen um die Kontrolle über das Gebiet zu tun.

    Renato Rivera von der ecuadorianischen Beobachtungsstelle für organisiertes Verbrechen im ZDF-Interview

    "Aber was in den letzten Wochen passiert ist, ist nicht mehr nur ein Krieg der Banden untereinander, sondern ein Krieg des organisierten Verbrechens gegen die staatlichen Institutionen", so Rivera.

    Ecuador von Kriminellen unterwandert

    Denn kriminelle Organisationen haben den ecuadorianischen Staat Schritt für Schritt geschwächt und unterwandert. Vor wenigen Wochen erst rückten Polizisten im ganzen Land mit Haftbefehlen gegen Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Gefängniswärter aus.
    Als sie am Gebäude des Justizrates ankamen, fanden sie dort abgeschaltete Aufzüge und leere Büros. Unter Verdacht stehende Beamte waren vor der Operation gewarnt worden.
    Dennoch galt der Einsatz der Staatsanwaltschaft als Erfolg, mehrere hohe Beamte wurden festgenommen. Auch die Regierung von Präsident Daniel Noboa, erst seit November im Amt, zeigt Härte.

    Regierung reagiert auf Gefängnisausbruch von Drogenboss

    Zwei Tage vor dem Überfall auf den Fernsehsender hatte die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen und damit auf den Ausbruch des berüchtigten Drogenbosses Adolfo Macías "Fito" aus dem Gefängnis reagiert.
    Ecuadors Präsident Daniel Noboa verhängt den Ausnahmezustand in einer Videobotschaft
    Wegen chaotischer Zustände in Gefängnissen hat Ecuadors Präsident Noboa den Ausnahmezustand verhängt. 09.01.2024 | 0:19 min
    Nun hat der Präsident die Maßnahmen noch einmal verschärft und den "internen bewaffneten Konflikt" ausgerufen. Das Militär patrouilliert in den Straßen, soll die Drogengangs aktiv bekämpfen. Nachts gilt eine Ausgangssperre.
    "Das ist eine durchaus harte Antwort des Staates, die als Eskalation des Konflikts bewertet werden könnte", sagt Johannes Hügel, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ecuador. "Aber sie hilft doch, den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben."

    Experte: Ecuador kann Konflikt nicht alleine lösen

    Lösen könne das Militär allein den Konflikt aber nicht, sagen Beobachter. "Um kriminelle Organisationen zu zerschlagen, muss ermittelt werden, wer die Drogen transportiert, wer sie finanziert, wer Geld erpresst, woher die Waffen kommen. Das erfordert eine Ermittlungslogik, die weit über die Logik, das Militär auf die Straße zu schicken, hinausgeht", so Renato Rivera.
    Und noch ein Faktor sei relevant, sagt Rivera:

    Das Geschäft mit den Drogen ist für das organisierte Verbrechen so attraktiv, weil die Nachfrage steigt. Es gibt immer mehr Drogen zu lagern und zu verschicken, und das führt zu Machtkämpfen und Gewalt.

    Renato Rivera

    Auch deshalb werde Ecuador diese Krise nicht allein lösen können, sondern nur mit internationaler Zusammenarbeit.

    Zehn Menschen bei Anschlägen gestorben

    Bei Anschlägen am Dienstag starben in Ecuador zehn Menschen, über 70 wurden festgenommen, auch die Angreifer auf den Fernsehsender. Die Geiselnahme dort ging glimpflich aus, es gab nur leicht Verletzte. Wenige Stunden nach dem Angriff waren die Journalisten wieder auf Sendung.

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