Hohe Verluste: Verschleudert die Ukraine ihr Kriegsgerät?

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    Hohes Risiko, hohe Verluste:Verschleudert die Ukraine ihr Kriegsgerät?

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Die ukrainischen Streitkräfte stehen massiv unter Druck. Russland konnte mehrere vom Westen gelieferte Waffensysteme zerstören. Warum Schlussfolgerungen daraus schwierig sind.

    Ein ukrainischer Panzer der 17. Panzerbrigade feuert auf die russischen Stellungen in Chasiv Yar am 29.02.2024.
    Ein ukrainischer Panzer der 17. Panzerbrigade feuert auf die russischen Stellungen. (Archivbild)
    Quelle: AP

    Flugabwehr-Stellungen, Kampfhubschrauber, westliche Raketenartillerie - all das sind für die ukrainischen Streitkräfte essenzielle und nur begrenzt verfügbare Waffensysteme. Jedes einzelne bietet Fähigkeiten, die die Wirksamkeit der restlichen Truppen deutlich erhöhen und die nicht so einfach ersetzt werden können.
    Seit einigen Tagen sickern von den Frontlinien in der Ukraine Videos ins Netz, die zeigen sollen, wie Russland mit Artillerie- und Drohnenschlägen mehrere solcher kritischen Waffensysteme ausschaltet.
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    Um welche Verluste geht es?

    Im Zentrum stehen insbesondere Verluste der ukrainischen Flugabwehr. Ein Video von vergangener Woche zeigt, wie zwei in unmittelbarer Nähe zueinander geparkte Startfahrzeuge bei einem Bombardement zerstört werden.
    Das Oryx-Projekt, das seit Kriegsbeginn russische und ukrainische Verlustmeldungen sammelt, identifizierte beide anhand von Bilddateien als M901-Abschussrampen für Patriot-Flugabwehrsysteme. Die sind besonders wichtig für die Abwehr ballistischer Raketen aus Russland.
    Zerstörung mehrerer ukrainischer Flugabwehrsysteme
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    Der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations merkt in der Sendung ZDFheute live an, dass es noch keine offizielle Bestätigung für den Verlust von Patriot-Systemen gebe. "Die Russen sagen, es war S-300. In der Ukraine gibt es einige Stimmen, die sagen, es war ein Patriot-Werfer."

    Für die Ukraine ist es natürlich bitter; solche Langstrecken-Fliegerabwehr-Raketen hat sie wenige, da hat sie wenige Werfer. Wenn es S-300 war, dann ist es natürlich leichter verkraftbar, bei Patriot wäre es super bitter.

    Gustav Gressel, European Council on Foreign Relations

    Gustav Gressel vor Ukraine Karte
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    Haben die Verluste an westlichen Waffensystemen zugenommen?

    Belastbare Zahlen zu ukrainischen Verlusten sind wie während des gesamten Krieges kaum verfügbar. Der aktuelle Kriegsverlauf und der langsame russische Vormarsch in den letzten Wochen deutet jedoch auf relativ hohe ukrainische Verluste hin - die Russlands werden nicht minder hoch sein.
    Neben Patriot-Systemen nennt das Oryx-Projekt eine ganze Reihe weiterer auffälliger ukrainischer Verluste, die seit Februar hinzugekommen sind. Darunter etwa vier von den USA gelieferte M1A1 Abrams-Kampfpanzer und zwei M142 Himars-Reketenwerfer.
    Es ist nicht das erste Mal, dass eine Häufung von zerstörtem westlichen Gerät Schlagzeilen macht. Im Sommer und Herbst 2023 gab es bereits eine Reihe von Verlustmeldungen bei Kampf- und Schützenpanzern vom Typ Leopard 2 und Bradley. Das spiegelt vor allem wider, was der Ukraine zuletzt geliefert wurde und ist ein Beleg, dass diese Waffensysteme unmittelbar zum Einsatz kommen. In einem Krieg dieses Ausmaßes sind Panzer automatisch Verschleißobjekte.
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    Wie glaubwürdig sind Russlands Behauptungen?

    Das russische Verteidigungsministerium vermeldete in den letzten zwei Jahren bereits deutlich mehr Abschüsse westlicher Waffensysteme, als die Ukraine je erhalten hat. Moskau verkaufte den Beschuss eines Mähdreschers als zerstörten Leopard-Panzer. Zweifel an solchen Meldungen, insbesondere wenn sie nicht durch Videos untermauert werden, sind also mehr als angebracht.
    In diesem Fall liegen jedoch Videos russischer Beobachterdrohnen vor. Experten halten sie für authentisch. Trotzdem ist Vorsicht wichtig, denn Propaganda-Kanäle verbreiten immer wieder alte Videos als neu oder erfinden Details hinzu. Aktuell geht es solchen Kanälen vor allem um politischen Spin: "Schaut her, die Ukraine kann mit den westlichen Systemen gar nicht umgehen; sie verheizt sie; wir sollten nichts mehr liefern", so sinngemäß die verküzte Darstellung prorussischer Accounts in den sozialen Medien.
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    Warum stehen kritische Systeme so nah an der Front?

    Raketenartillerie und Flugabwehr innerhalb der Reichweite russischer Geschütze abzustellen ist tatsächlich ein Risiko. Und mancher Verlust durch bessere Ausbildung tatsächlich vermeidbar. Doch hinter vielen Verlusten stehen teils auch valide militärische Überlegungen - etwa versuchten ukrainische Soldaten Hinterhalte für russische Flugzeuge zu legen.

    Die russische Luftwaffe wird seit einem halben Jahr immer aktiver wird und wirft immer mehr Gleitbomben auf die ukrainischen Stellungen.

    Gustav Gressel, European Council on Foreign Relations

    Ukrainische Jagdflugzeuge könnten das immer weniger verhindern, also müssten bodengestützte Systeme diese Aufgabe übernehmen. "Man fährt in der Nacht in eine Stellung, lässt das Radar ausgeschaltet, bis man eine Frühwarnung bekommt, dass russische Kampfflugzeuge aktiv sind. Wenn die dann in Reichweite sind, dann schaltet man blitzartig das Radar auf, schießt die Raketen schnell ab und (…) packt alles wieder zusammen", beschreibt Gressel das Vorgehen.
    Damit mache man sich aber verwundbar gegenüber der russischen Drohnenaufklärung. "Zu einem gewissen Teil war es natürlich auch Pech", so Gressel.

    Russland profitiert von besserer Drohnenüberwachung, um das zu verhindern fehlt es der Ukraine an ausreichend Flugabwehr. So wird das Zeitfenster zwischen der Entdeckung einer Stellung und dem folgenden russischen Angriff wird immer kürzer. "Die Russen lernen dazu", sagt Experte Gressel. Die russische Kommandoinfrastruktur sei deutlich weniger schwerfällig geworden.

    Vor wenigen Tagen etwa zerstörte ein Artillerieschlag auf einen frontnahen Nachschubpunkt gleich zwei ukrainische Mi-8/Mi-17 Hubschrauber, die zum Be- oder Entladen am Boden waren. Werden solche Missionen künftig unmöglich, kann die Unterstützung von Bodentruppen ganz wegbrechen, wenn auch Fahrzeuge am Boden nicht mehr durchkommen.

    Was sagt das über die ukrainische Kriegsführung aus?

    Weitreichende Schlussfolgerungen über vermeintliche Inkompetenz von Kommandeuren oder über schlechten Ausbildungsstand der Truppen sind allein auf Basis kurzer Videoclips schwierig. Sie zeigen nie den gesamten Kontext einer Operation, etwa wie ein Fahrzeug in eine missliche Lage geraten ist.
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    Grundsätzlich gibt es aktuell viele Berichte über nach Monaten ununterbrochenen Fronteinsatzes abgekämpfte ukrainische Einheiten. Unter solchem Druck geschehen Fehler. Sie verdeutlichen, unter welchen prekären Umständen die Ukraine aktuell ihren Verteidigungskampf durchführen muss. Und wie riskante Notlösungen immer wieder für unter anderen Umständen vermeidbare Verluste bei Mensch und Material sorgen.
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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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