Wirtschaft: Industriestandort Deutschland in Gefahr
Wirtschaft in Sorge:Industriestandort Deutschland in Gefahr?
von Frank Buchwald, Berlin
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Die Wirtschaft warnt: Teure Energie, hohe Steuern und zu viel Bürokratie schaden dem Standort Deutschland. Die Sozialpartner fürchten Spaltung und Radikalisierung.
Ist der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr?
Quelle: dpa
"Wir sind gerne hier", sagt Anna Ruhland und lächelt. Deutschland sei ein schönes Land mit einem Wohlstand, einer Infrastruktur und einer intakten Umwelt. Viele andere Regionen der Welt träumten genau davon und unternähmen große Anstrengungen, das deutsche Niveau zu erreichen.
Wachsende Bürokratie als Hindernis
Die sportliche junge Frau aus Olching bei München weiß, wovon sie spricht: Innerhalb von zehn Jahren hat Ruhland gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Schwager ein Familienunternehmen aufgebaut. Ihr grafischer Betrieb beschäftigt mittlerweile rund vierhundert Menschen und erwirtschaftet etwas mehr als hundert Millionen Umsatz.
Quelle: ZDF
Mehr über die Krise der Automobilindustrie sehen Sie heute um 19.10 Uhr bei Berlin direkt - mit Diana Zimmermann.
"Wir arbeiten hier im Unternehmen als Team und versuchen, die Dinge voranzubringen", sagt die Chefin im Interview mit Berlin direkt, und wünscht sich einen ähnlichen Spirit auch beim Staat. Stattdessen müsse sie sich mit einer wuchernden Bürokratie beschäftigen: Berichtspflichten, Datenschutzbestimmungen und vielem anderen. Das alles koste Kraft und trage nicht zur Wertschöpfung bei, sagt sie, und manchmal ärgere sie das.
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So wie Ruhland denken viele Unternehmer, einige ziehen Konsequenzen. Miele etwa machte in den letzten Wochen Schlagzeilen: Das Familienunternehmen aus Gütersloh will Haushaltswaschmaschinen nach 2027 nur noch in Polen montieren. Kein deutscher Standort sei gefährdet, heißt es bei Miele, auch die Komponenten kämen nach wie vor aus heimischer Produktion.
Das Signal aber war klar: Ein deutsches Traditionsunternehmen expandiert außerhalb Deutschlands. Kein Einzelfall. Auch andere Firmen mit klangvollen Namen sehen ihre Zukunft eher jenseits der deutschen Grenzen.
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"Ein Warnsignal", sagt Rainer Kirchdörfer von der "Stiftung Familienunternehmen und Politik". Anders als Aktiengesellschaften in breitem Streubesitz seien familiengeführte Unternehmen traditionsbewusst und standorttreu. Wenn solche Firmen ihre Investitionstätigkeit nun langsam und diskret immer stärker ins Ausland verlagerten, komme ein schleichender Prozess in Gang, der mit enormen Verlusten einhergehen könne.
Es sei die Summe der Probleme am Standort Deutschland, die Investition hemme: neben teurer Energie und hohen Steuern drücke vor allem die Trägheit der Bürokratie. Im Länderranking der Stiftung stürzte Deutschland innerhalb weniger Jahre von Platz neun auf Platz achtzehn ab - unter 21 Industrienationen.
Den Kanzler haben solche Warnungen bisher nicht besonders beeindruckt. Olaf Scholz (SPD) verweist auf beschleunigte Planungsverfahren, erleichterte Einwanderungsbestimmungen für ausländische Fachkräfte und darauf, dass die Energiepreise wieder das Niveau von 2022 erreicht hätten. Zum Beruf des Kaufmanns gehöre nun mal die Klage.
Die Bundesregierung hat weitere Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie auf den Weg gebracht.
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Wirtschaft: Lage wird vom Kanzleramt "unterschätzt"
Die Spitzen der deutschen Wirtschaft sehen das weit weniger gelassen: "So kann man unsere Analysen auch abkanzeln", donnert BDI-Präsident Russwurm im Zeitungsinterview und attestiert der Ampel-Koalition zwei verlorene Jahre. Im Kanzleramt werde der Ernst der Lage offenbar unterschätzt.
Mitte April luden die führenden Wirtschaftsverbänden den Kanzler zum Spitzengespräch, eine gemeinsame Pressekonferenz, wie sonst üblich, gab es diesmal nicht.
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Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) tourt derweil durchs Land und treibt seinen Plan der Transformation mit Subventionen voran: Milliarden für grünen Stahl im Ruhrgebiet, neunhundert Millionen für eine Batteriefabrik in Dithmarschen.
Um das Rückgrat der deutschen Wirtschaft kümmere der zuständige Minister sich dagegen kaum, monieren Kritiker - nicht nur aus der Opposition. Und eine Expertenumfrage des angesehenen Münchener ifo-Instituts kommt zu dem wenig optimistischen Ergebnis, in den nächsten zehn Jahren werde der Standort Deutschland kaum attraktiver werden.
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Sozialpartner fordern Gegensteuern der Regierung
Mittlerweile schlagen sogar die Sozialpartner Alarm, und dass ausgerechnet in Deutschlands wichtigstem Industriezweig: der Metall- und Elektroindustrie. In einer sehr seltenen, gemeinsamen Erklärung warnen IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der Industriestandort Deutschland sei in Gefahr. Energisches Gegensteuern sei gefragt, "sonst drohen eine verheerende Deindustrialisierung, eine weitere gesellschaftliche Spaltung und eine zunehmende Radikalisierung politischer Debatten und Proteste".
Ein Hilferuf, der einen sozialdemokratischen Kanzler eigentlich nicht kalt lassen kann, schon gar nicht wenige Tage vor dem ersten Mai, dem Tag der Arbeit.