Die AfD, der Verfassungsschutz und 210 Beweisanträge

    Oberverwaltungsgericht Münster:AfD, Verfassungsschutz und 210 Beweisanträge

    von Ann-Kathrin Jeske
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    Das Verfahren der AfD gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz dürfte noch Monate weiter gehen. Die Anwälte der AfD setzen in ihrer Prozess-Taktik aufs Verzögern.

    Oberverwaltungsgericht NRW
    Einzel-Entgleisungen oder gesamte Parteilinie? In Münster verhandelt das Oberverwaltungsgericht über Einstufung und Beobachtung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall.13.03.2024 | 2:30 min
    Wenn man den Anwälten der AfD eines nicht vorwerfen kann, dann, dass sie sich keine Gedanken darüber gemacht hätten, wie das Oberverwaltungsgericht möglichst viele Sitzungstage ansetzen muss: 210 Beweisanträge hatten sie vorbereitet. Allein das Verlesen der Anträge würde 25 Stunden dauern, so AfD-Anwalt Michael Fengler.
    Die 25 Stunden wurden nach den ersten beiden Prozesstagen zwar nicht ausgeschöpft, doch das Verfahren wird weitergehen und somit voraussichtlich auch der Antragwust. Denn das Oberverwaltungsgericht Münster vertagte den Prozess heute und kündigte an, weitere Verhandlungstage anzuberaumen.
    Wohl auch, weil die Prozesstaktik der Rechtsaußen-Partei dem Gericht keine andere Möglichkeit ließ: Verzögern, so weit es rechtlich möglich ist.
    Ein Überblick über den Gerichtssaal des Oberverwaltungsgerichtes NRW, welches darüber entscheidet ob die AfD als extremistischer Verdachstfall eingestuft werden darf.
    Vor dem OVG Münster wird verhandelt, ob die AfD und ihre Jugendorganisation als Verdachtsfälle geführt werden dürfen. Zuvor hatte die Partei gegen ein Urteil Berufung eingelegt.12.03.2024 | 1:40 min

    Verlesung der Anträge dauerte Stunden

    Antrag für Antrag verlasen die AfD-Anwälte, was die Partei forderte: Von der Ladung von Zeugen über die Vertagung des Prozesses bis hin zur mehrfachen Forderung, die Richterinnen und Richter zu befangen zu erklären.
    Gegen die Anträge an sich war juristisch nichts einzuwenden. Das Prozessrecht schreibt das Verlesen in der mündlichen Verhandlung vor. Doch die Art, wie die AfD-Anwälte die Anträge stellten sorgte dafür, dass sich das Verfahren schon an diesen beiden ersten in die Länge zog: Jeder Antrag wurde einzeln verlesen, auch wenn sich beim darauffolgenden Antrag nur der Name des Zeugen änderte.
    Selbst der Name von Thomas Haldenwang wurde ausbuchstabiert, obwohl die Schreibweise des Verfassungsschutzpräsidenten spätestens an Prozesstag Nummer zwei bekannt gewesen sein dürfte.
    jeske
    "Das Verfahren ist geprägt von vielen Unterbrechungen", so Ann-Kathrin Jeske (ZDF-Redaktion Recht & Justiz). 12.03.2024 | 2:48 min

    Vorwurf der Prozessverschleppung

    Mehrfach warf der Anwalt des Bundesamts für Verfassungsschutz Wolfgang Roth den AfD-Vertretern deshalb "Prozessverschleppung" vor.
    Zu den relevanten inhaltlichen Fragen kamen das Gericht und die Vertreter von Verfassungsschutz und AfD deshalb kaum, dabei geht es für die AfD um viel: Solange das Gericht der AfD nicht Recht gibt, darf der Verfassungsschutz die Partei weiterhin mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, die das Gesetz erlaubt. Vor allem darf die Behörde V-Leute in die AfD einschleusen, sodass die Partei Spitzel in ihren eigenen Reihen vermuten muss.
    Darum, wie intensiv der Verfassungsschutz das aktuell schon tut, ging es wegen der vielen Formalien nur am Rande. Eine der wenigen Erkenntnisgewinne: Aus menschlichen Quellen, sprich: beispielsweise von V-Leuten, sollen nur zwei Belege in den über tausend Seiten dicken Gerichtsakten stammen, erklärte der Verfassungsschutz auf Nachfrage.
    Marietta Slomka im Schaltgespräch mit Nicole Diekmann
    Beim AfD-Prozess gegen den Verfassungsschutz nutze die Partei neue Taktiken. Der Verfassungsschutz solle als "politisch missbraucht" dargestellt werden, so Nicole Diekmann.13.03.2024 | 2:57 min

    Darf der Verfassungsschutz die AfD beobachten?

    Wenigstens kurz ging es auch um eine Frage, die für das Oberverwaltungsgericht Münster bei der Entscheidung zentral sein dürfte: Wann genau vertritt eine Partei ein ethnisch-homogenes Volksverständnis? Und: Ist das bei der AfD der Fall?
    Die Idee, deutsche Staatsbürger unterschiedlich zu behandeln je nach dem, ob sie beispielswiese weiß oder schwarz sind, verstößt laut dem Bundesverfassungsgericht gegen die Menschenwürde und somit gegen die Verfassung.
    Vertritt eine Partei also ein derartiges Volksverständnis, ist das ein Zeichen für eine verfassungsfeindliche Tendenz und macht den Weg frei für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

    Drei Fragen sind ausschlaggebend für die Entscheidung, eine Partei zum Beobachtungsobjekt zu erklären:

    1. Richtet sie sich gegen Menschenwürde und Demokratie?
    2. Wie groß ist der Einfluss extremistischer Strömungen innerhalb der Partei auf die Partei als Ganzes?
    3. Und wie steht es um Verbindungen zu extremistischen Organisationen oder gar um personelle Überschneidungen, also etwa Doppelmitgliedschaften?

    Die Behörde meint, für so ein Volksverständnis bei der AfD zahlreiche Belege gefunden zu haben. Beispielsweise in der Unterscheidung zwischen "Passdeutschen" und "Deutschen".

    Migrantische AfD-Mitglieder als Zeugen

    Die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Köln, hatte mit Blick auf solche Aussagen vor gut zwei Jahren gebilligt, dass der Verfassungsschutz die AfD sowie die Jugendorganisation Junge Alternative und den inzwischen aufgelösten "Flügel" als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen durfte und beobachten darf.
    Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster versuchte die AfD nun mit Migranten aus den eigenen Reihen dagegen zu halten: Drei AfD-Parteimitglieder mit Migrationsgeschichte erklärten, in der Partei trotz ihrer nichtdeutschen, ethnischen Abstammung nicht diskriminiert zu werden.
    SGS Dorthe Ferber in Berlin
    Die AfD wird als rechts-extremistischer Verdachtsfall geführt, die Landesverbände in Sachsen und Thüringen sind sogar als gesichert rechts-extremistisch eingestuft. Das könnte auch bald für die bundesweite Partei gelten.26.02.2024 | 1:59 min

    Dauert noch bis Urteil fällt

    Das allein dürfte das Gericht zwar noch nicht überzeugen. Doch tatsächlich wirkte es so, als hätten die Richterinnen und Richter zu diesem Punkt mehr kritische Fragen, als das Verwaltungsgericht in Köln.
    Wann es mit diesen Fragen weitergeht, ist noch offen. Bis ein Urteil fällt, wird es jedenfalls noch dauern. Von den 210 vorbereiteten Anträgen, hat die AfD noch nicht einmal 20 gestellt.

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