Rechnungshof: Neues Bundeswehr-Gewehr womöglich ungeeignet

    Rechnungshof rügt G36-Nachfolge:Neues Bundeswehr-Gewehr womöglich ungeeignet

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Der Bundesrechnungshof kritisiert Präzisionsprobleme beim neuen Sturmgewehr der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium weist die Kritik zurück. Wurden Anforderungen gelockert?

    Soldaten des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr sichern mit dem neuen Sturmgewehr G95 der Firma Heckler & Koch bei einem Übungsszenario die Landebahn.
    Testkriterien abgeschwächt: Der Bundesrechnungshof kritisiert Beschaffungsvorgänge rund um das neue Sturmgewehr G95A1 der Bundeswehr. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Erneut gibt es Ungereimtheiten bei der Beschaffung der neuen Standardwaffe für die Bundeswehr. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten über die Nachfolge des Sturmgewehrs G36 ist es nun der Bundesrechnungshof (BRH), der neue Unstimmigkeiten bei dem Großvorhaben kritisiert.
    In einem ZDFheute vorliegenden internen Bericht an den Bundestag heißt es, das in der Bundeswehr für Beschaffung zuständige Amt (BAAINBw) in Koblenz habe wichtige Schießtests nachlässig durchgeführt. Etwa sei Prüfern erlaubt worden, zivile Munition anstelle von Gefechtsmunition zu verwenden. Das Beschaffungsamt habe so "die Nachweispflichten des Waffenherstellers zum Nachteil der Bundeswehr vereinfacht", beklagt der Bundesrechnungshof.

    Es ist nunmehr nicht mehr sichergestellt, dass die Präzisionsanforderungen der Truppe erfüllt werden.

    Bericht des Bundesrechnungshofs

    Das Bundesverteidigungsministerium wies die Vorwürfe am Freitag als falsch zurück. "Die Anforderungen an den Hersteller, damit er die Vorgaben erfüllen kann, wurden nicht gesenkt", sagte ein Sprecher am Freitag in Berlin. Auch falle das Gewehr - das sogenannte G95 des Herstellers Heckler & Koch - bei der Präzision nicht durch. Das Ministerium bestätigte jedoch, dass es "Abweichungen" bei Tests gegeben habe, weshalb auf die zivile Munition zurückgegriffen worden sei, um Unsicherheitsfaktoren im Testverfahren auszuschließen. Derzeit stelle die Bundeswehr auf einen neuen Munitionstyp als Gefechtsmunition um - mit dieser würde das G95 die Präzisionsanforderungen erfüllen, so ein Sprecher. Zunächst hatte der "Spiegel" über die Kritik des BRH berichtet.
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    Um welche Präzisions-Anforderungen geht es?

    Insgesamt hat die Bundeswehr 120.000 neue Sturmgewehre vom Typ G95A1 bestellt. Die Auslieferung sollte ursprünglich 2026 beginnen, die Bundeswehr drängte aber auf ein früheres Datum, Ende 2025. "Die Zeitenwende erfordere die schnellstmögliche Schließung von Fähigkeitslücken", so die Argumentation des Verteidigungsministeriums im Bericht.
    Um das zu erreichen, ging das BAAINBw am 23. Januar 2023 einen Änderungsvertrag mit dem Hersteller ein, der nach Darstellung des BRH diverse Prüfkriterien abschwächte. Das neue Gewehr muss seine Leistung unter Laborbedingungen nachweisen. Heckler & Koch habe durchgesetzt, dass präzisere, zivile Munition eingesetzt und längere Feuerpausen eingelegt werden durften - sechs Sekunden zwischen jedem Schuss anstelle von drei, was das Erhitzen der Waffe vermindert. Auch die Munition durfte nicht mehr zwischen -30 und 52 Grad Celsius temperiert sein, sondern musste Zimmertemperatur haben.
    "Aktuelle Untersuchungen der Bundeswehr unter Laborbedingungen zeigen, dass das Sturmgewehr Bw Präzisionsanforderungen der Nutzern mit der eingeführten Gefechtsmunition nicht erfüllt. Diese erreicht es allerdings mit der zivilen Präzisionsmunition", heißt es in dem als Verschlusssache eingestuften Bericht. Im Kriegseinsatz hätten die Soldaten womöglich eine ungenauere Waffe als die jüngsten Zulassungstests glauben machen. Jedoch ist die Prüfung der neuen Waffe noch nicht abgeschlossen, bis zur regulären Einführung der Waffe folgen weitere Tests.
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    Zudem nutzen bereits mehrere Streitkräfte und auch kleine Teile der Bundeswehr bereits das G95 - ohne große Probleme. Möglich ist, dass die Prüfkriterien zunächst vergleichsweise streng angesetzt waren. Durch die Anpassung der Prüfkriterien im Änderungsvertrag könnte die Bundeswehr bei mangelhafter Leistung des Gewehrs jedoch keine Nachbesserung durch den Hersteller verlangen - das müsste auf eigene Kosten erfolgen.

    Mit Festhalten an der bisherigen Vorgehensweise wird das BMVg weitere Zeit und Haushaltsmittel verlieren.

    Bericht des Bundesrechnungshofs

    Rechnungshof: Keine Garantie, dass neues Gewehr präziser ist als das alte

    Die Diskussion um die Standardwaffe aller Bundeswehr-Soldaten reicht zurück ins Jahr 2012. Damals war festgestellt worden, dass das bisherige Sturmgewehr G36 des Herstellers Heckler & Koch unter bestimmten extremen Hitze- oder Belastungsbedingungen an Treffergenauigkeit verliert. Zwar betonten Experten und Soldaten über die Jahre immer wieder, dass das G36 seine Aufgabe angemessen erfülle: Ein Sturmgewehr sei eben nur begrenzt für Dauerfeuer ausgelegt - dafür gebe es andere Waffen, war etwa ein Argument. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) entschied dennoch 2015, nach Ersatz zu suchen.
    Ein etwa durch Hitze verändertes Trefferbild stand also damals wie heute im Zentrum der Affäre. Und nach vielen Jahren des Ringens um einen besseren G36-Nachfolger fällen die Haushaltsprüfer ein besonders vernichtendes Urteil: "Das Ziel des Projektes, ein präziseres Gewehr als das G36 zu beschaffen, kann mit dem Änderungsvertrag wie dargestellt nicht mehr sicher erreicht werden." Ob das teuer beschaffte neue Gewehr also besser als das, welches nun ausgemustert wird, weiß man noch nicht.

    Es besteht das Risiko, dass das BAAINBw ungeeignete Systeme Sturmgewehr Bw beschafft.

    Bericht des Bundesrechnungshofs

    Auf dem Bild sieht man Soldaten.
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    Drohen Probleme bei anderen Beschaffungsprojekten?

    Der Bundesrechnungshof bereitete der Bundeswehr mit seinem Pochen auf das Einhalten verschiedenster Vergaberegeln in der Vergangenheit immer wieder Kopfzerbrechen. Auch dieses Papier könnte eine Wirkung über die G36-Nachfolge hinaus haben. Denn der BRH betont: "Der Verweis auf einen möglichen Rechtsstreit mit Herstellern oder Lieferverzögerungen rechtfertigen einen Leistungsverzicht nicht."
    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte nach seiner Amtsübernahme den Beamten des Beschaffungswesens mehr Tempo und Kreativität verordnet, um die Zeitenwende voranzubringen. Eine womöglich mangelhafte Rechtssicherheit zu kreativer Beschaffungsentscheidung galt damals schon als mögliche Achillesferse und so mancher Bedenkenträger in der Bundeswehr-Verwaltung dürfte sich bestätigt fühlen.
    Anstatt Turbo-Beschaffung könnte nun bei verschiedensten Projekten vorsorglich auf die Bremse getreten und genauer geprüft werden. "Projekte beschleunigen zu wollen, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Dies darf jedoch nicht zu Lasten der Funktionalität und de Nutzbarkeit der Ausrüstungsgegenstände gehen", schreibt der BRH. Es sei aktuell nicht absehbar, wie die Bundeswehr ein voll den Anforderungen entsprechendes Sturmgewehr erhalten wolle, so das Fazit.
    Hinweis 26.01.2024, 19 Uhr: Der Artikel wurde nachträglich um die Stellungnahme des Bundesverteidigungsministeriums ergänzt.

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