Bundeswehr: Kommt der Pistorius-Turbo bei der Beschaffung?

    Neue Regeln für die Beschaffung:Kommt der Pistorius-Turbo für die Bundeswehr?

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    von Nils Metzger
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    Träge und teuer ist die Beschaffung von neuem Bundeswehr-Gerät. Minister Boris Pistorius wagt die Revolution und verordnet seinen Beamten Tempo und Kreativität. Funktioniert das?

    Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, sitzt im Cockpit in einem A400M auf dem Flug nach Mali
    Boris Pistorius (SPD) sieht bei der Bundeswehr lange aufgeschobene Probleme. So will er die Beschaffung reformieren. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Wenige Bundeswehr-Probleme sind so komplex wie die der Beschaffung von neuem Material: ausufernde Verwaltungsstrukturen, überteuerte Goldrandlösungen und jahrelange Verzögerungen.
    Umso ambitionierter scheinen nun die Reform-Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Er möchte beim Thema Beschaffung fast alles auf den Kopf stellen und Tempo machen: "Oberste Priorität ist für uns alle künftig der Faktor Zeit", heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Tagesbefehl des Ministers.

    Was sehen die Pläne von Pistorius vor?

    Nur knapp vier Seiten hat der Erlass von Beschaffungs-Staatssekretär Benedikt Zimmer, der nun die Marschrichtung vorgibt. Handstreichartig werden unzählige zeitraubende Vorgaben und Regularien außer Kraft gesetzt. Um Vorgänge zu beschleunigen, sollen die Bürokraten kreativ werden:

    Ausnahmeregeln für die Bundeswehr in gesetzlichen Regelwerken sind konsequent zu nutzen. (…) Soweit bundeswehrinterne untergesetzliche Regelwerke die gesetzlichen Regelungen verschärfen, sind diese hiermit ausgesetzt.

    Erlass von Staatssekretär Benedikt Zimmer

    Die Regeln sollen künftig "eigenständig und eigenverantwortlich" ausgelegt werden - es ist, als ob die Auftragstaktik, die Kern des soldatischen Denkens der Bundeswehr ist, nun auch in der Verwaltung Einzug hält. Ein radikales Gegenmodell zur bisherigen Praxis, Verantwortung möglichst breit zu streuen.

    Kann die Bundeswehr-Verwaltung das schaffen?

    Die Veränderungen treffen vor allem das weithin als "Beschaffungsamt" bekannte BAAINBw in Koblenz. Dort und in nachgelagerten Dienststellen arbeiten aktuell 11.100 Beschäftigte - ein Bürokratie-Ungetüm mit etwa sechsmal so vielen Mitarbeitern wie das Verteidigungsministerium (BMVg).
    Das BAAINBw war stets ein leichtes Ziel für Kritik. "Das heutige BAAINBw ist nahezu immer der Prügelknabe, wenn Beschaffung angeblich nicht läuft", schrieb die von Pistorius in den Ruhestand versetzte Behördenchefin Gabriele Korb Mitte April in ihrem Abschiedsbrief.
    Wie viel frischer Wind jetzt im BAAINBw einzieht, ist fraglich. Nachfolgerin von Korb wird keine Kraft von außen, sondern ihre bisherige Stellvertreterin Annette Lehnigk-Emden. In einem für BAAINBw-Vertreter seltenen Medienauftritt bliebt Lehnigk-Emnden hölzern und wenig konkret mit Blick auf ihre Vision für die Behörde.

    Wir haben Fesseln von internen Vorschriften abgeworfen. Wir können jetzt freier und flexibler arbeiten und das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu früher.

    Annette Lehnigk-Emden, designierte BAAINBw-Chefin

    Welches Militärgerät soll künftig gekauft werden?

    Ausschlaggebend soll künftig sein, was am Markt verfügbar ist. Sonderwünsche und Eigenentwicklungen zu hohen Stückpreisen sollen seltener werden.
    Bei vielen laufenden, verzögerungsgeplagten Großprojekten greifen die neuen Regeln noch nicht. Die milliardenteure Beschaffung des neuen schweren Transporthubschraubers etwa soll weiter nach den alten Regeln laufen, heißt es aus Bundeswehrkreisen. Auch multinationale Vorhaben wie das deutsch-französische Panzer-Projekt MGCS sollen weiterlaufen.
    Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, spricht bei der Veranstaltung in Madrid.
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    Welche Beschaffungs-Baustellen gibt es weiterhin?

    Militärexperten reagierten positiv auf die bisher bekannten Details zur Beschaffungs-Neuordnung. "Guter Anfang - ich hoffe, Ministerium, Bundeswehr, Parlament und andere Teile der Regierung ziehen mit", so Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
    Angesichts der radikalen Tempo-Vorgabe gibt es jedoch auch die Sorge, die Rechtssicherheit der Verfahren könnte leiden. Schon jetzt klagen unterlegene Anbieter häufig gegen Vergabeverfahren, was jahrelange Verzögerungen nach sich ziehen kann. Eine flexiblere Regelauslegung könnte weitere Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.

    Sind weitere Beschaffungs-Reformen geplant?

    Hinter den Kulissen soll Minister Pistorius bereits weitere Schritte vorbereiten. Dabei soll es um die sogenannten 25-Millionen-Euro-Vorlagen gehen. Jeder Beschaffungsvorgang über mehr als 25 Millionen Euro muss vom Haushaltsausschuss des Bundestages abgenickt werden.
    Es ist ein zentrales Kontrollinstrument für die Parlamentsarmee. So werden Rüstungsprojekte an einen konkreten Bundeshaushalt geknüpft - Verzögerungen können aber dazu führen, dass bewilligte Gelder nicht abgerufen werden und für den nächsten Haushalt erneut beschlossen werden müssen. Diese fehlende Planungssicherheit wurde immer wieder zum Problem.

    25-Millionen-Schwelle seit 1981 nicht angepasst

    Auch wurde die 25-Millionen-Schwelle seit Einführung 1981 nie angepasst. Aus dem BMVg ist nun zu hören, dass man zumindest eine Inflationsbereinigung erreichen möchte. Haushaltspolitiker von Regierung und Opposition geben sich jedoch zurückhaltend. Der Ausschussvorsitzende Helge Braun (CDU) sagt ZDFheute:

    Bei den großen Schwierigkeiten in der Beschaffung ist die parlamentarische Kontrolle durch den Haushaltsausschuss von größter Bedeutung. Deshalb wurde die Beteiligung des Haushaltsausschusses bei Beschaffung von mehr als 25 Millionen Euro Volumen im Gesetz über das Sondervermögen sogar gesetzlich verankert. Das ist gut so!

    Helge Braun, CDU, Vorsitzender des Haushaltsausschusses

    Braun: Haushaltsausschuss kein Problem bei Geschwindigkeit

    "Der Haushaltsausschuss war und ist niemals das Problem bei der Geschwindigkeit von Beschaffungsverfahren. Wir entscheiden in der Regel innerhalb von zehn Tagen", so Braun weiter. In Einzelfällen habe er Minister Pistorius persönlich sogar Entscheidungen innerhalb von 48 Stunden zugesichert.
    Auch für Dennis Rohde, SPD-Obmann im Haushaltsausschuss, habe sich die bisherige Praxis bewährt: "Es ist noch keine sinnvolle Beschaffung am Deutschen Bundestag gescheitert", sagt er ZDFheute. Schon jetzt sei der Verteidigungshaushalt "extrem flexibel ausgestaltet".

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