Bundeswehr: Braucht Deutschland eine Kriegswirtschaft?

    Ausrüstung der Bundeswehr:Braucht Deutschland eine Kriegswirtschaft?

    Mathis Feldhoff
    von Mathis Feldhoff
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    Die Forderung nach einer Art Kriegswirtschaft, um die Misere der Bundeswehr zu bewältigen, klingt nach Kaltem Krieg, ist aber ganz real. Doch ist sie auch realistisch?

    Leopard 2 der Bundeswehr
    Leopard 2 der Bundeswehr
    Quelle: reuters

    Damit macht man Schlagzeilen, hat sich wohl auch André Wüstner, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, gedacht, als er in der letzten Woche in der Talk-Runde bei Maybrit Illner für "eine Art Kriegswirtschaft" plädierte. Schlagzeilen, die er bewusst so wollte. Und er war nicht allein.
    Auch der ehemalige Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, hatte diese Forderung erhoben. "Kriegswirtschaft", das erinnert an den Zweiten Weltkrieg, als die US-Regierung von Franklin D. Roosevelt nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor und den amerikanischen Kriegseintritt alle Anstrengungen auf die Produktion von Militärmaterial konzentrierte.
    Im Grunde ist es eine ökonomische Mobilmachung, um die Bedürfnisse einer Armee zu stillen. Nun wissen sowohl Wüstner als auch Ischinger, dass Deutschland sich nicht im Krieg befindet, aber die Lage der deutschen Armee dennoch ziemlich desolat ist.

    Wüstner: "Lage der Bundeswehr so prekär wie nie"

    "Die Formulierung Kriegswirtschaft habe ich bewusst gewählt", so Wüstner im Interview mit dem ZDF-Magazin Berlin direkt. Es gehe darum, "dass verstanden werden muss, dass wir Krieg in Europa haben und das die Lage in der Bundeswehr so prekär ist, wie nie zuvor."
    Tatsächlich kann man an nahezu allen Standorten und in allen Waffengattungen ablesen, mit welchen Lücken die Truppe inzwischen zu kämpfen hat. In den sechs Panzer-Bataillonen der Bundeswehr sowie beim dem deutschen Anteil der Nato Response Force ist das größte Waffensystem, der Leopard 2, im Grunde zu großen Teilen Schrott.
    Von 290 Leo 2 sind Stand heute nur 89 einsatzbereit. Nur beim Bundeswehr-Kontingent in Litauen ist man voll einsatzfähig. "Es ist so", beschreibt die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, die Situation, "dass die Truppe schon immer von allem zu wenig hatte." Und die Unterstützungslieferungen an die Ukraine machen es nicht besser.

    Rüstungsindustrie will die Truppe unterstützen

    Militärisches Gerät kann man aber nicht einfach aus dem Schaufenster kaufen. Allein das Ersetzen der 14 Leopard-2-Panzer, die jetzt an Kiew geliefert werden, wird Jahre dauern. Eine Armee, der in den letzten 30 Jahren mit Einsparprogrammen das "Rückgrat gebrochen" wurde, wie es der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius letzte Woche formulierte, muss sich beim Lieferanten mitunter hinten anstellen.
    Aber die deutsche Rüstungsindustrie will keinesfalls den Eindruck erzeugen, dass man jetzt die Bundeswehr im Stich lasse: "Wir müssen eng zusammenstehen", so Armin Papperger, Chef von Rheinmetall und Präsident des Bundesverbandes Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV).

    Wir sind jetzt eine Einheit. Politik und Wirtschaft muss zusammenarbeiten.

    Armin Papperger, Rheinmetall-Chef

    Papperger, der die deutsche Politik in der Vergangenheit auch schon hart kritisiert hatte, lobt inzwischen insbesondere die Haltung des Bundeskanzlers. Er sei "dankbar, dass er den Mut gehabt hat, das 100-Milliarden-Paket bekannt zu geben".

    Schnelle und bessere Ausstattung der Bundeswehr

    Nahezu unstrittig ist inzwischen in der Berliner Politik, dass die Bundeswehr schnell und besser ausgestattet werden muss. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dazu vor einem Jahr nicht das 100-Milliarden-Paket angekündigt, sondern auch die sofortige Einhaltung des sogenannten Zwei-Prozent-Zieles.
    Doch auch ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine passiert real wenig. Von den 100 Milliarden sind bisher wenige Millionen ausgegeben und auch in diesem Jahr werden es wahrscheinlich nicht mehr als acht Milliarden Euro sein.

    Es geht alles noch viel zu langsam.

    André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes

    Und auch die versprochene Anhebung des Wehretats ist nicht umgesetzt. Diese Umsetzung würde bedeuten, dass Deutschland seinen Rüstungshaushalt von derzeit rund 50 Milliarden auf über 62,5 Milliarden Euro steigern müsste.
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    Reformen notwendig

    Geld allein löst aber weder eine Bestellung aus, noch beantwortet es die offenen Fragen bei den bürokratischen Hemmnissen. Komplizierte Ausschreibungsvorschriften, endlose Prüfverfahren, militärische Spezialwünsche, parlamentarische Kontrolle und haushaltsrechtliche Einschränkungen stehen oft gegen schnelle Beschaffungen.
    "Wir brauchen eine anderen Rechtsrahmen, eine andere Haushaltsgesetzgebung, ein anderes Vergaberecht", fordert Wüstner, wenn er seine "Art Kriegswirtschaft" definiert. Und er erhält Unterstützung, etwa für die Reform des Budgetrechts.

    Wenn Sie heute fünf bis zehn Jahre Planungssicherheit haben wollen, brauchen Sie natürlich auch für fünf bis zehn Jahre Geld.

    Armin Papperger, Rheinmetall-Chef

    Das sei im heutigen Haushaltsrecht noch nicht vorgesehen. Und auch die Wehrbeauftragte Högl, die zwar beim Begriff "Kriegswirtschaft" ein "Störgefühl" hat, sagt: "Das, was sich dahinter verbirgt, teile ich absolut."

    Keine Militarisierung des Denkens und Handelns

    Widerstand kommt vor allem aus dem Parlament. CDU-Mann Helge Braun, ehemals mächtiger Kanzleramtsminister und heute Vorsitzender des Haushaltsausschusses, ist zwar sehr für Reformen im Vergaberecht bei Rüstungsaufträgen, aber dass "weniger Parlamentsbeteiligung zu einer besseren Mittelverwendung führt", glaubt er nicht.
    Was er freundlich formuliert, bedeutet im Klartext, dass der mächtige Haushaltsausschuss, der jedes Rüstungsprojekt bewilligen muss, nicht freiwillig auf seinen Einfluss verzichten wird.
    Und noch grundsätzlicher ist die Kritik derjenigen, die schon immer ein Problem mit dem Militärischem haben. Ralf Stegner, linkes Urgestein der Sozialdemokraten, will dem Nachholbedarf der Bundeswehr nicht im Weg stehen, aber "eine Militarisierung von Denken und Handeln sollten wir nicht machen".

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