Cannabis-Legalisierung: Amnestie und neue THC-Grenzwerte

    Amnestie und Haftentschädigung:Cannabis-Gesetz: Warum die Justiz ächzt

    von Peter Böhmer, Düsseldorf
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    Für die einen ist die Cannabis-Legalisierung Freiheit, für viele in der Justiz eher ein Albtraum. Wie rückwirkende Amnestie und unklare Regelungen im Verkehr für Ärger sorgen.

    Frau am Steuer eines PKWs mit Joint im Mund
    Fahren unter Einfluss von Betäubungsmittel ist nach wie vor nicht erlaubt. Eine sogenannte "Grenzwertkommission" empfiehlt einen neuen Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum.
    Quelle: obs

    Zu schnell, zu hektisch, zu wenig durchdacht - die Urteile von Justiz und Polizei etwa in NRW über das neue Cannabis-Gesetz sind eindeutig. Da sind etwa die Staatsanwaltschaften, Beispiel Duisburg: Oberstaatsanwalt Jens Hartung ist dort Abteilungsleiter, er und seine 70 Kollegen müssen alte Cannabis-Verfahren überprüfen, die vor dem 1. April zwar rechtskräftig, aber deren Strafen noch nicht vollständig vollstreckt wurden - seien es Haft- oder Geldstrafen.
    Ein Mann zündet einen Joint an
    Die Legalisierung von Cannabis ist beschlossen. Dass die Freigabe rückwirkend gelten soll, stellt Strafbehörden vor ein Problem: Altfälle müssen juristisch geprüft werden.13.03.2024 | 1:51 min

    Prüfung von Cannabis-Fällen: Mit Software und Handarbeit

    Denn das Cannabis-Gesetz gilt rückwirkend: Was vom 1. April an nicht mehr strafbar ist, muss neu beurteilt und gegebenenfalls erlassen werden. "Für uns sind das viele hundert Arbeitsstunden mehr", sagt Hartung. Für den groben Überblick haben sie eine Software, die ihnen die Betäubungsmittel-Fälle herausfischt. Dann kommt Handarbeit: jede Akte wird durchgeschaut, geht’s um Ecstasy, Amphetamine oder Cannabis?

    Wir hatten rund 5.100 Vorgänge, davon haben wir 2.863 abgearbeitet, die restlichen, insbesondere bereits angeklagte und offene Ermittlungsverfahren, sind noch zu prüfen.

    Jens Hartung, Oberstaatsanwalt

    Bei 254 Verfahren ging es dann bisher tatsächlich um Cannabis, die Bilanz:
    • 19 Fahndungen zur Festnahme wurden gelöscht,
    • 6 Haftbefehle zurückgenommen,
    • 3 Personen wurden auf freien Fuß gesetzt.
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    Staatsanwalt: Überhastete Legalisierung wegen Wahlkampf

    Warum, fragen sich Hartung und Kollegen, gab es bei diesem Gesetz keine Übergangsfristen wie sonst üblich? Warum galt die Rückwirkung nicht erst ab kommendem September, wie es in Berlin auch diskutiert worden sei? Seine Antwort, und die gibt er in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Bunds der Richter und Staatsanwälte in NRW:

    Bald sind Europawahlen, es ist Wahlkampf - man wollte das in Berlin wohl schnell über die Bühne bringen.

    Jens Hartung, Vorstandsmitglied des Bunds der Richter und Staatsanwälte NRW

    Hunderttausende Betäubungsmittel-Urteile zur Prüfung

    Was in Duisburg gilt, gilt auch anderswo: auf 60.000 Fälle schätzt der Bund der Richter und Staatsanwälte die Zahl der Verfahren, die neu begutachtet und neu beurteilt werden müssen - allein in NRW. "Bundesweit dürften es hunderttausende sein. Das wird noch Wochen und Monate dauern", sagt Geschäftsführer Gerd Hamme, selbst Richter. Sein Verband befürchtet eine massive Beeinträchtigung der Justiz, ihren sonstigen Aufgaben nachzukommen.
    Mann raucht Cannabis
    Seit erstem April ist der Besitz und Konsum von Cannabis teilweise legal. Das Gesetz bleibt jedoch umstritten. Das zeigen die ersten Tage nach der Legalisierung.05.04.2024 | 1:32 min
    Die Richter müssen die von den Staatsanwälten gelieferten Fälle bewerten und neu beurteilen. Problem: ist ein Straftäter wegen fünf verschiedener Delikte verurteilt, und nur zwei davon betrafen Cannabis, muss ein neues Urteil ergehen - per richterlichen Beschluss. Das kann kompliziert werden:
    • Welche Menge Cannabis, die früher verboten war und heute erlaubt ist, hatte die Person dabei? Hat sie sich drinnen (50 Gramm erlaubt) oder draußen (25 Gramm erlaubt) aufgehalten?
    • War sie in der Nähe einer Schule oder eines Kindergartens? Letzteres ist kaum herauszufinden, da dieses Kriterium früher gar keine Rolle spielte. Da müsste der Richter schon zum Stadtplan greifen und nachmessen.
    • "Im Zweifel entscheiden wir für den Angeklagten", sagt Hamme, "wenn wir es nicht genau wissen, wird die Vollstreckung des Urteils gestoppt." Theoretisch hat ein Häftling, der nun schon auf freiem Fuß sein könnte, auch Anspruch auf Haftentschädigung.
    Cannabis
    Seit dem 1. April 2024 ist in Deutschland der Konsum von Cannabis für Erwachsene legalisiert. Doch mit der Freigabe des Kiffens drohen neue Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum.02.04.2024 | 2:26 min

    Polizei: Welche Regeln gelten für THC im Verkehr?

    Auch die Polizei in NRW hat viele Fragen angesichts der neuen Rechtslage: "Gründlichkeit vor Schnelligkeit wäre besser gewesen", sagt Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Beispiel THC im Verkehr: unklar, was da künftig gelten wird vor Gericht.
    Denn eine "Grenzwertkommission" in Berlin hat einen neuen Grenzwert empfohlen: 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum. Das aber ist nur eine Empfehlung, laut Rechtsprechung ist nur ein Wert von 1 Nanogramm erlaubt. "Woran orientiert sich ein Richter in Zukunft", fragt Mertens: "Ist für ihn die Empfehlung höher zu bewerten als die Rechtsprechung?"

    Cannabis im Verkehr
    :Warum ein THC-Grenzwert schwierig ist

    Die Cannabis-Legalisierung soll kommen. Noch ist nicht klar, was das für Konsumenten im Straßenverkehr bedeutet - die Suche nach einem Grenzwert ist kompliziert.
    Polizeikelle
    mit Video

    Polizeigewerkschaft: Schwarzmarkt für Kiffer bleibt

    Und dann die Grundsatzfrage: Wird der Schwarzmarkt eingedämmt? Mertens glaubt das nicht: Nicht jeder würde nun in einen kostenpflichtigen Cannabis-Club eintreten, zudem würde es noch Monate dauern, bis die ersten Clubs überhaupt ihre Pflanzen ernten können. Und: "Weil der Besitz von Haschisch erlaubt ist, denken die Leute doch nun, auch der Schwarzmarkt sei legal, dann kaufe ich das Zeug eben weiter dort ein."
    Ärger in NRW, Nachfrage in Berlin: Warum das Gesetz so schnell verabschiedet worden sei und es etwa keine Übergangsfristen gegeben habe. Die Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium: "Die Bundesregierung hat den Entwurf des Cannabisgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Dort hat man sich für die Verabschiedung des Gesetzes in der vorliegenden Fassung entschieden."  

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