Interview
Klimaklagen vor dem EGMR:Deutschland streitet Klima-Verantwortung ab
von Nathan Niedermeier
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Deutschland steht wegen seiner Klimapolitik vor Gericht, streitet dort aber eine Mitverantwortung für Klimaschäden ab. Das zeigen Gerichtsdokumente, die ZDF frontal vorliegen.
Auch Deutschland muss sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für seine Klimaschutzpolitik verantworten (Archivfoto).
Quelle: dpa
Sechs junge Menschen aus Portugal haben Deutschland und 31 weitere Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Sie werfen den Staaten vor, mit ihrer bisherigen und aktuellen Klimapolitik die Menschenrechte zu missachten. Für diesen Dienstag wird das Urteil vor der großen Kammer des Gerichtshofs erwartet.
Der Klimawandel habe bereits heute schädliche Auswirkungen auf ihre körperliche und geistige Gesundheit, sagen die jungen Klägerinnen und Kläger, und das werde sich in Zukunft massiv verschärfen. Die von ihnen verklagten Staaten und damit auch Deutschland seien mit ihren Emissionen mitschuldig an bisherigen und zukünftigen Klimaschäden und würden nicht genug unternehmen, um diese zu verhindern.
Gerichtsdokumente, die ZDF frontal vorliegen, zeigen, wie Deutschland diese Mitverantwortung abstreitet.
Bundesregierung sieht deutsche Emissionen ohne Einfluss auf Portugal
In einer schriftlichen Stellungnahme der Bundesregierung im August 2021 an das Gericht heißt es: Deutschland sei es mit seiner Klimapolitik nicht möglich, "Einfluss oder Kontrolle" auf die Lebensbedingungen der Klägerinnen und Kläger in Portugal zu nehmen. Die in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase hätten "nicht direkt und unmittelbar zur Folge, dass es tausende Kilometer entfernt zu Waldbränden oder Stürmen kommt".
Sind Deutschlands Treibhausgasemissionen also nicht mitverantwortlich für Klimaschäden in Portugal? Wolfgang Lucht sieht das anders - er ist Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung:
Auf Anfrage von ZDF frontal räumt das Bundesjustizministerium ein, dass Emissionen "vom Gebiet der Bundesrepublik auch Einfluss auf das Klima in einem anderen Staat haben können". Dies genüge aber nicht für eine juristische Zuordnung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Bundesregierung zieht Zusammenhang in Zweifel
Auslöser für die Klage waren die heftigsten Waldbrände in der Geschichte Portugals im Jahr 2017, bei denen zwischen Juni und Oktober insgesamt 117 Menschen starben und über 500.000 Hektar Wald abbrannten, eine Fläche etwa zehnmal größer als der Bodensee.
In ihrer ersten schriftlichen Stellungnahme an das Gericht zieht die Bundesregierung einen Zusammenhang dieser Brände mit dem Klimawandel in Zweifel: "Der Zusammenhang des Klimawandels mit den Waldbränden in Portugal ist nicht hinreichend geklärt", heißt es in dem Papier, das ZDF frontal vorliegt.
Der spanische Forscher Marco Turco widerspricht. Er hat die Brände wissenschaftlich untersucht und sagt: "Insbesondere waren die hohen Temperaturen und die Trockenheit wichtige Faktoren für die Größe der verbrannten Fläche in Portugal. Der robuste Zusammenhang zwischen der Brandfläche und diesen Faktoren lässt darauf schließen, dass der Prozess, durch den das Klima die Brandfläche beeinflusst, im Großen und Ganzen einfach ist: Trockenere und wärmere Bedingungen führen zu größeren Waldbränden."
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Auch der portugiesische Forscher und Feuerexperte Paulo Fernandes sieht einen direkten Zusammenhang als nachgewiesen an, sagt er ZDF frontal:
Die Bundesregierung gesteht zwar ein, dass der Klimawandel ganz allgemein für häufigere und heftigere Hitzeextreme und Dürren sorgt; aber welchen Anteil daran Deutschlands Emissionen im konkreten Fall Portugal haben, sei "wissenschaftlich nicht darstellbar".
Stimmt das? Ausgestoßene Treibhausgase vermischen sich in der Atmosphäre und dadurch hängen alle Emissionen anteilig mit allen Auswirkungen zusammen, sagt der Klimawissenschaftler Wolfgang Lucht und daher habe "jede Emission einen Anteil an jedem Schaden". Das heißt: Die Treibhausgase, die Deutschland ausstößt, haben auch einen Anteil an Klimaschäden, die in Portugal entstanden sind.
Bundesregierung: keine Verpflichtung, Pariser Klimaziele "sicherzustellen"
Auch an anderer Stelle in dem Papier lehnt die Bundesregierung eine Verantwortung ab: Für das Erreichen des Pariser Klimaziels, eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad zu verhindern. Das Pariser Klimaabkommen verpflichte Deutschland nicht, "die Einhaltung der Temperaturobergrenze von 1,5 oder 2 Grad sicherzustellen". Auf Anfrage von ZDF frontal bestätigt dies das Bundesjustizministerium.
Wolfgang Lucht sieht dennoch eine Verpflichtung der Bundesregierung: Zwar könne diese nicht sicherstellen, dass alle Regierungen der Welt ihren Verpflichtungen nachkommen, aber die Bundesregierung sei verpflichtet, einen "ausreichenden und gerechten eigenen Anteil zur Einhaltung der Klimagrenzen des Übereinkommens von Paris zu leisten."
Diesen Anteil an Emissionen, die Deutschland zustehen, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, hat Lucht für den Sachverständigenrat für Umweltfragen berechnet. Das jüngste Update dieser Berechnungen zeigt: Deutschlands fairer Anteil, um eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern, wurde bereits im Jahr 2023 aufgebraucht.
Am Dienstag wird sich zeigen, wie der Europäische Gerichtshof diese Fragen bewertet. Dann wird das Urteil in dem Prozess der jungen Portugiesinnen und Portugiesen gegen Deutschland und 31 weitere Staaten erwartet.
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