Kommunen am Limit: "Man ist in Berlin in einer anderen Welt"

    Kommunen am Limit:Landrätin sieht Berlin in einer anderen Welt

    von Pierre Winkler
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    Der Bund verspricht, was die Kommunen nicht umsetzen können – diesen Vorwurf erheben Vertreter der Basis bei "Markus Lanz". Das beschädige das Verhältnis von Bürger und Staat.

    Markus Lanz vom 28. März 2024: Markus Lanz, Bettina Dickes, Felix Schwenke, Christine Herntier, Katja Wolf
    Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 28. März in voller Länge.28.03.2024 | 75:07 min
    Bettina Dickes sieht wegen einer Berliner Entscheidung Ärger auf sich im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach zukommen. "Wir kriegen als letzte in der Fresskette tatsächlich immer mehr Aufgaben zugewiesen, die unendlich viel Geld kosten", sagte die Landrätin am Donnerstagabend bei "Markus Lanz".
    "Ich nehme mal das Thema Ganztagsfördergesetz", fuhr die CDU-Politikerin fort. Im September 2021 hatte die Große Koalition kurz vor der Bundestagswahl noch ein Gesetz durchs Parlament gebracht, das besagt: Ab 2026 haben alle Grundschulkinder in Deutschland an Werktagen das Recht auf Ganztagsbetreuung. Hinzu kommt ein Anspruch auf Ferienbetreuung.

    Landrätin warnt vor Klagen wegen Versprechen des Bundes

    Laut Dickes sei das nicht zu stemmen. "Ich habe weder das Geld noch irgendeine Form von Personal", sagte sie. "Der Bund hat es den Eltern versprochen, die Eltern werden das auch einfordern, werden frustriert sein."
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    Dabei sei auch damit zu rechnen, dass Eltern klagen – und zwar eben nicht beim Bund, sondern bei Dickes vor Ort. "Klar, die haben ja den Rechtsanspruch", sagte die Landrätin. "Die Begründung des Bundesfamilienministeriums im Gespräch war: 'Ja, Frau Dickes, aber die Eltern wollen das doch. Und dann liegt es an Ihnen, wenn Sie es nicht umsetzen.'"

    Ich glaube, man ist in Berlin in einer anderen Welt.

    Bettina Dickes, CDU-Politikerin

    Ein Beispiel, das laut Dickes zeige, welche negativen Auswirkungen der Umgang des Staats mit den Bürgern aktuell habe. "Die Erwartungshaltung der Bürger ist auf der einen Seite: Der Staat, der verspricht, der soll noch mehr versprechen", sagte sie.
    "Das heißt, ich erwarte vom Staat immer mehr und mehr, denn er hat mir ja gesagt, er kümmert sich um alles. Und erlebe parallel, dass das, was er versprochen hat, nicht mehr funktioniert. Und das ist schon eine ganz gravierende Schere."

    OB von Eisenach: Bund lädt Aufgaben bei Kommunen ab

    Auch die Beziehung zwischen Berlin und den Kommunen sei auf politischer Ebene gestört, merkte Katja Wolf an, Oberbürgermeisterin in Eisenach. Sie habe das Gefühl die Bundesregierung habe "den Blick für das große Ganze" verloren und überfrachte die Kommunen mit immer mehr Aufgaben, "ohne die Finanzierung dafür durchzureichen".
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    So gerate aus dem Blick, "in welchem Modus die Kommunen gerade sind, und das ist ein Krisenmodus", sagte die Politikerin des Bündnis Sahra Wagenknecht.

    Kommunen müssen sich über Nachrichten informieren

    Welche neuen Aufgaben sie in Eisenach aufgrund von Berliner Entscheidungen übernehmen müsse, erfahre Wolf eher selten durch direkte Kommunikation:

    Meistens ist es tatsächlich, dass auch wir darauf angewiesen sind, Nachrichten zu hören, die 'Tagesschau' und das 'heute journal' zu verfolgen, uns die Informationen zusammenzusammeln.

    Katja Wolf, Oberbürgermeisterin in Eisenach

    Das bestätigte auch Landrätin Dickes. "Das meiste erfahren wir nicht mit einem Anschreiben an uns, sondern, indem wir politische Debatten verfolgen", sagte sie.

    "Menschen leben nun mal nicht im Bundestag"

    Christine Herntier, parteilose Bürgermeisterin der Stadt Spremberg in Brandenburg, relativierte: "Das gehört ja dazu, dass man Nachrichten schaut und dass man dranbleibt." Sie werde über den Städte- und Gemeindebund "sehr zeitnah informiert".
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    Allerdings beobachte auch Herntier eine größer werdende Belastung. "Die Menschen leben nun mal nicht in den Landtagen und nicht im Bundestag", sagte sie.
    "Die leben in unseren Städten und Dörfern." Wenn Bürgerinnen und Bürger etwas in den Nachrichten gehört hätten, kämen sie mit ihren Fragen und Ansprüchen "natürlich ins Rathaus".

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