Ausbildung statt Studium: Karriere machen ohne Uniabschluss

"Das Studium ist irgendwie sehr monoton, ich muss einfach irgendwas Praktisches machen." Ein Satz, der Esin Karagöz im Hörsaal immer öfter durch den Kopf ging. Seit mehreren Semestern zog sie ihr Studium schon durch. Doch immer größer wurden ihre Zweifel, ob es für sie am Ende das Richtige ist.

Esin war schon als junges Mädchen ehrgeizig. In ihrer Familie war sie eine der wenigen, die ein Studium begonnen hatten: Deutsch und Biologie auf Lehramt. Hätte sie durchgezogen, wäre sie jetzt im Referendariat an einem Gymnasium. Doch dann kam die Pandemie. Die 24-jährige verlor bei dem vielen Onlineunterricht die Lust am Studium.

Nach vier Semestern bricht Esin ihr Studium ab und entscheidet sich für eine Ausbildung zur Köchin. "Der innere Prozess war eigentlich, dass ich nicht wusste: Ist es jetzt die richtige Entscheidung, mach' ich jetzt was falsch? Kann es vielleicht sogar schief gehen, werde ich es bereuen?"

Für die Universitäten sind die Karrierewege ihrer Studierenden nicht eindeutig nachvollziehbar. Knapp ein Drittel aller Studierenden in Deutschland beendet das Studium ohne Abschluss, so die letzten Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Jahr 2022.

28 Prozent der Bachelorstudierenden brechen vorzeitig ab, bei den Master-Studierenden sind es 21 Prozent.

Gründe für Studienzweifel sind vor allem Leistungsdruck und mangelndes Interesse am Studienfach, aber auch finanzielle beziehungsweise familiäre Schwierigkeiten. Auch das Fehlen praktischer Arbeit wird als Grund genannt.

"Das Thema Studienabbruch ist viel verbreiteter als man denkt. Ich selbst kann sagen, ich habe in meinem Studium auf jeden Fall gezweifelt", sagt Francesca Hermani vom Beratungswerk 'Queraufstieg'.

Sie veranstaltet regelmäßig sogenannte "Fuck-Up Nights", bei denen Studierenden, die mit der Uni hadern oder Angst vorm Scheitern haben, Alternativen aufgezeigt werden sollen.

Auf der Bühne stehen unter anderem junge Menschen, die selbst ein Studium abgebrochen haben. Zum Beispiel Felix, 33, der aktuell seinen Meister zum Heizungsbauer macht. Er will Mut machen und ruft von der Bühne:

Die Veranstaltungen finden häufig auf Jobmessen statt, wo junge Menschen Orientierung für ihren weiteren Berufsweg suchen.

Auch für Handwerksbetriebe bietet die Messe die Möglichkeit, Lehrlinge über den Quereinstieg zu finden. Allein in diesem Jahr fehlen im Handwerk deutschlandweit rund 20.000 Auszubildende.

Auch Restaurantbetreiber Robert Mangold sucht händeringend Auszubildende für seine Betriebe. Für Mangold haben Auszubildende, die vorher schon etwas anderes gemacht haben, einen klaren Vorteil. Sie stehen alle schon ein wenig mehr im Leben.

Auch ein Grund, warum er Esin Karagöz sofort bei sich als Auszubildende eingestellt hat. Dass Esin Studienabbrecherin ist, hat den 62-jährigen Geschäftsmann nicht abgeschreckt, im Gegenteil. "Scheitern gehört für mich dazu. Das ist natürlich eine Disziplin, die in Deutschland nicht allzu ausgeprägt ist. Für unsere Branche ist es aber wichtig, sehr mündige, qualifizierte, wissensdurstige und kenntnisreiche Mitarbeiter zu haben."

Esin Karagöz hat in der gehobenen Gastronomie ihren Platz gefunden. Vor eineinhalb Jahren hat sie ihre Lehre als Patissière abgeschlossen. Jetzt kreiert sie im Restaurant 'Lafleur' perfekte Desserts.

2022 nahm Esin an einem Gastronomie-Wettbewerb teil und wurde als bestes Nachwuchstalent in der Patisserie ausgezeichnet.

Inzwischen ist die 24-jährige zur Konditorin in der Gourmetküche aufgestiegen. Den Neustart nach dem Studium hat sie nicht bereut. Und ihr Chef wünscht sich sogar, dass mehr Studierende den Mut zum Wechsel in die Praxis haben.