Ukraine-Perspektive für 2023: Russland wird weiter angreifen

    Ausblick auf 2023:Ukraine-Krieg: Russland wird weiter angreifen

    von Christian Mölling, András Rácz
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    Russland wird im Donbass weiter angreifen, während es an anderen Fronten verteidigt. Verluste lassen die russische Armee ausbluten, eine weitere Mobilisierung ist wahrscheinlich.

    T-90M Proryv-Panzerbesatzungen werden in der Zone der russischen Spezialoperation trainiert
    Auch 2023 geht Russlands Krieg gegen die Ukraine weiter.
    Quelle: epa

    Russland wird seinen Krieg gegen die Ukraine auch im Jahr 2023 fortsetzen. Ausgehend von den - absichtlich widersprüchlichen - Erklärungen der russischen Führung hat Moskau sein Bestreben, die Ukraine vollständig zu unterwerfen oder, falls dies nicht mehr möglich ist, zumindest große Teile ihres Territoriums zu erobern, nicht aufgegeben.

    Donbass wird Priorität

    Die Eroberung der von der Ukraine gehaltenen Teile der Donbass-Region dürfte in den kommenden Monaten Moskaus Hauptpriorität sein. Während Russland im Donbass trotz der massiven Verluste seiner Streitkräfte seine Offensive fortsetzen wird, wird es an anderen Abschnitten der Frontlinie zumindest im Winter eine weitgehend defensive Haltung einnehmen.
    Beide Seiten rechnen im Frühjahr mit einer größeren Eskalation. Bis dahin wird Russland die Ausbildung seiner mobilisierten Soldaten (so weit wie möglich) abschließen und wahrscheinlich auch die Engpässe bei Munition und schweren Waffen beseitigen.

    Schwere Verluste lassen Armee ausbluten

    Eine größere russische Offensive ist vor dem Frühjahr unwahrscheinlich, da die russischen Streitkräfte in den fast elf Monaten des Krieges schwere Verluste erlitten haben. Laut Hervé Bléjean, dem Leiter des EU-Militärstabs, hat Moskau unter Berücksichtigung der getöteten und verwundeten Soldaten mindestens 250.000 Soldaten (davon etwa 60 - 65.000 Gefallene), etwa 60 Prozent (!) seiner Panzer, 40 Prozent seiner gepanzerten Mannschaftswagen verloren.
    Das bedeutet, dass die russische Armee, zumindest ihr Kern, in der Ukraine allmählich ausblutet. Folglich kann Russland die derzeitige Intensität der Kämpfe nur für eine begrenzte Zeit aufrechterhalten.

    Mit der militärischen Schwäche kann der Waffenstillstand kommen

    Es kann also durchaus sein, dass nach dem Ende der Frühjahrsoffensiven auch die Bereitschaft Russlands zu Waffenstillstandsverhandlungen zunimmt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil in der ersten Hälfte des Jahres 2024 in Russland Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen und es unwahrscheinlich ist, dass Putin seinen Wahlkampf während eines hochintensiven und zunehmend unpopulären Kriegs bestreiten will.
    Unterdessen ist es sehr wahrscheinlich, dass die russische Teilmobilisierung, wie im September/Oktober vorausgesagt, noch nicht abgeschlossen ist - trotz ihres offiziellen Endes am 31. Oktober. Aufgrund der zunehmenden Verluste in der Ukraine wird Russland höchstwahrscheinlich entweder offen eine weitere Mobilisierungswelle durchführen oder die verdeckten Bemühungen um die Rekrutierung weiterer Personen für die Streitkräfte verstärken.

    Russland setzt auf Kriegswirtschaft

    Um die Kriegsanstrengungen zu unterstützen, wird der Kreml höchstwahrscheinlich die russische Wirtschaft weiter auf Kriegsmodus stellen. Dazu gehört auch die Ausweitung der Möglichkeiten des Staates, in die Produktionsprozesse und die Arbeitskraftströme ziviler Unternehmen einzugreifen, sowie eine stärkere und direktere staatliche Kontrolle über die Wirtschaft als Ganzes.



    Die russische Wirtschaft wird 2023 und auch 2024 weiter schrumpfen. Dieser Rückgang wird jedoch höchstwahrscheinlich kontrolliert verlaufen. Mit einer umsichtigen makroökonomischen Politik kann der Zusammenbruch der Wirtschaft trotz der schrumpfenden Einnahmen aus dem Energieexport vermieden werden.
    Anstelle eines plötzlichen Zusammenbruchs erwartet die russische Wirtschaft im Jahr 2023 also eine dauerhafte Verschlechterung. Dies wird zu einem sinkenden Lebensstandard und möglicherweise zu gelegentlichen, lokal begrenzten Unruhen führen.

    Christian Mölling bei maybrit illner
    Quelle: ZDF/Svea Pietschmann

    ... ist seit Februar 2017 stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er beschäftigt sich unter anderem mit der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von EU und Nato.

    Russischer Repressionsapparat im Innern noch intakt

    Trotz der enormen militärischen Verluste in der Ukraine ist der russische Repressionsapparat im Innern noch intakt. Die Nationalgarde (Rosgwardija) verfügt noch über die meisten ihrer rund 400.000 (!) Mitarbeiter, obwohl auch sie in der Ukraine einige Verluste hinnehmen musste. Die Inlandsgeheimdienste werden immer mächtiger, und auch der Propagandaapparat ist intakt.
    Daher kann man davon ausgehen, dass der Kreml in der Lage sein wird, jegliche Unruhen oder Proteste zu bewältigen - sprich: niederzuschlagen -, wenn er sich dazu entschließt. Sollte es also zu einem plötzlichen politischen Wandel in Russland kommen, so wird dieser sicherlich nicht von unten nach oben erfolgen.
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