Energiekrise: Rückschlag für Frankreichs Atomstrom

    Frankreichs Energiekrise:Die AKWs haben Risse - die Atompolitik nicht

    von Luis Jachmann
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    Die Korrosionsschäden in Frankreichs Atommeilern sind gravierender als bisher angenommen. Am Bau neuer Meiler hält Präsident Macron dennoch fest.

    Archiv: Kernkraftwerk Penly. Frankreich
    "Beeinträchtig die Sicherheit, was die Kühlung des Reaktors betrifft": Kernkraftwerk Penly in Frankreich.
    Quelle: picture alliance / abaca / Blondet Eliot

    15 Zentimeter haben in Frankreich eine Sicherheitsdebatte um seine Atommeiler entfacht. So lang ist der Riss, den der Betreiber EDF im AKW Penly 1 bei Wartungsarbeiten kürzlich entdeckt hat. Und auch im Nachbarmeiler hat EDF einen 55 Millimeter langen Riss gefunden. Diese Verschleißerscheinungen seien keine Seltenheit, versichert die französische Atomaufsichtsbehörde. Im Fall von Reaktor Penly 1 sei der Rohrschaden aber gravierend.
    Der Vorfall habe keine Folge für das Personal vor Ort oder die Natur, aber "er beeinträchtigt die Sicherheit, was die Kühlung des Reaktors betrifft". Der Betreiber EDF räumt die Gefahr ein, spricht selbst "von einem erheblichen Schaden". Das AKW am Ärmelkanal ist derzeit außer Betrieb.

    Neues Gesetz soll Bau von AKWs beschleunigen

    Philipp Mante erwartet trotz der Enthüllungen kein Umdenken in Frankreich. Der grüne Energiepolitiker zeigt sich resigniert:

    Die Regierung setzt alles auf die Karte Atomenergie und rückt nicht davon ab. Dabei liegen die Probleme doch auf der Hand.

    Philipp Mante, Energiepolitiker

    Gefragt nach den Folgen für die Energiepolitik verweist das Energieministerium gegenüber dem ZDF auf die Verantwortung des Betreibers. Eine Abkehr von der Atomenergie schließt Präsident Emmanuel Macron aus. Im Gegenteil: seine Fraktion bringt gerade ein Gesetz ins Parlament ein, das den Bau von neuen AKW beschleunigen soll.

    Deal mit Deutschland wegen Stromknappheit

    Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Korrosionsschäden bekannt werden. In den vergangenen Monaten musste EDF mehr als ein Dutzend Meiler generalüberholen. Wirtschaftlich ein Desaster: EDF vermeldete für 2022 ein Rekordverlust von knapp 18 Milliarden Euro.
    Akw Fessenheim (Archiv)
    Hitze macht im Sommer auch Atomkraftwerken zu schaffen. Sie liefern über 70 Prozent des Stroms in Frankreich. Fast jedes zweite ist außer Betrieb, auch wegen Korrosion und Wartung.18.07.2022 | 2:16 min
    Bisher waren die dokumentierten Risse maximal einige Millimeter lang. Keine Gefahr, aber ein Ärgernis für die französische Regierung: über Wochen fehlte der Strom aus den gewarteten Kraftwerken im Netz - bis zu 30 Prozent.
    Die Stromknappheit zwang Macron im Herbst 2022 einen Deal einzufädeln: Deutschland hilft Frankreich mit Strom aus, im Gegenzug gibt es Gas. Die neuen Erkenntnisse vom AKW am Ärmelkanal verlängern nun die Abhängigkeit. Denn die Aufsichtsbehörde hat bereits angekündigt, weitere Meiler auf Risse hin zu kontrollieren.

    Mindestens sechs neue AKW in Frankreich

    Deren Ausfallzeiten durchkreuzen die Pläne der Regierung, wie gewünscht voll auf die Atomenergie setzen zu können. Macron sieht sie noch weit vor Offshore-Windparks und Photovoltaik als Schlüssel bei der angestrebten Energiewende. Weit über die Hälfte des französischen Stroms kommt aus den Atommeilern. Und Frankreichs Präsident möchte die Kernkraft noch ausbauen, spricht von "grüner Energie".
    Das Atomkraftwerk Emsland
    Auch in Deutschland müssen Stormkonzerne sich mit dem Weiterbetrieb der verbleibenden AKW beschäftigen. 18.10.2022 | 1:36 min
    EDF soll mindestens sechs AKW der neuesten Generation bauen. Dabei kann Macron auf den Rückhalt der Bevölkerung zählen. Windkraft etwa ist vielerorts umstritten. Viele Naturschützer sind Atombefürworter. Und auch die meisten Parteien werben für die Kernenergie - abgesehen von der linken Opposition und den Grünen.

    Auch Franzosen sparen Strom ein

    Noch im Dezember hatte der Wirtschaftsminister den Atommeiler Penly besucht, die Zukunft der Atomenergie gepriesen und das, obwohl die Korrosionsschäden seit zwei Jahren immer wieder Negativschlagzeilen macht. Frankreichs Atomproblem habe Folgen für den ganzen Kontinent, sagt Nicolas Berghmans, Politologe an Sciences Po Paris:

    Wir haben in Europa ein gemeinsames Stromnetz. Wenn Atomstrom fehlt, setzt Frankreich verstärkt auf Gas. Das ist aber teuer. Also betreffen die Engpässe hier in Europa alle und treiben die Energiepreise in die Höhe.

    Nicolas Berghmans, Politologe an Sciences Po Paris

    Dass es noch nicht zu Stromausfällen gekommen sei, habe man auch den Französinnen und Franzosen zu verdanken, so Berghmans. Gemeinsam mit den Unternehmen haben diese in den letzten Monaten neun Prozent Strom gegenüber dem Vorjahr eingespart - und helfen der Regierung so ein wenig aus der Patsche.

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