Seit Monaten streitet Europa über einen Gaspreisdeckel. Auch morgen wieder, beim Sondertreffen der Energieminister. Warum Europa sich im Deckel-Streit verhakt hat.
Es war eine eigentlich einfache Frage, die der Energiekommissarin Kadri Simson am Dienstag in Straßburg gestellt wurde. Und zwar gleich mehrfach. Hätte der Gaspreisdeckel, den die EU-Kommission nun vorschlägt, im August 2022 - als der Gaspreis seine bisherigen Höchststände erreichte - eben diesen Preis tatsächlich gesenkt? Also wie ein echter Deckel funktioniert? Doch Kadri Simson, die estnische EU-Kommissarin, wich wieder und wieder aus.
Erst später stellte der Pressedienst der EU-Kommission klar: Ja, der Gaspreisdeckel von 275 Euro, den man da vorschlage, solle zwar exzessive Preise deckeln. Aber die Höchstpreise im August 2022, als eine Megawattstunde an der Gasbörse TTF deutlich über 300 Euro gekostet hatte? Nein, da wäre dieser Gaspreisdeckel nicht ausgelöst worden. Weil einige der Bedingungen nicht erfüllt worden wären.
Bereits im Oktober wurde auf EU-Ebene über den Gaspreisdeckel diskutiert.
EU-Gaspreisdeckel: "Fanatische Vier" gegen "vorsichtige Fünf"
Ein Gaspreisdeckel, der nicht mal in Extremsituationen greift: Es ist die vielleicht absurdeste Episode einer mittlerweile unendlichen Debatte. Seit einer gefühlten Ewigkeit streiten Europas Regierungen, ob ein Deckel – also ein Höchstpreis auf das Gas, das Europa anderswo einkauft – eine sinnvolle Maßnahme ist. Seit mindestens einem Jahr gibt es keine Lösung.
Es gibt jene, die den Gaspreisdeckel immer vehementer fordern. Und jene, die ihn ebenso vehement ablehnen. Es gibt, im abkürzungs- und titelverliebten EU-Kosmos von Brüssel, neue Bezeichnungen: wie die "fanatischen Vier" für jene Staaten, die den Gaspreisdeckel unbedingt fordern (Belgien, Italien, Griechenland und Polen). Und die "vorsichtigen Fünf" der Staaten, die sich vor den Folgen eines solchen Markteingriffs fürchten – nämlich, dass Gas-Exporteure ihr Gas dann lieber anderswohin verkaufen (Deutschland, Dänemark, Österreich, Niederlande und Ungarn).
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Mehrheitsentscheid? Die Doppelmoral der Bundesregierung
Was es bei alldem weiter nicht gibt: eine Lösung. Zumal, zu allem Überfluss, der EU-Gipfel im Oktober auf Drängen Deutschlands vereinbart hatte, dass die EU einen solchen Eingriff "einvernehmlich" beschließen müsse. Sprich: Nicht per Mehrheitsentscheidung, was in diesem Fall rechtlich schon möglich wäre.
Auf nationaler Ebene sollte in Deutschland die Energiepreisbremse erst ab März 2023 greifen, nun auch rückwirkend ab Januar. Die Preisgrenze für Strom und Gas soll Endverbraucher entlasten. Kritik kommt von der Opposition.
Und so offenbart der Streit am Rande auch die Doppelmoral der deutschen Bundesregierung: die sich sonst mit großem Pathos für Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene einsetzt – nur nicht in diesem Fall, wo sie überstimmt werden könnte.
Europas Glück: aktuell bezahlbare Gaspreise
Das alles führt dazu, dass der Streit um den Gaspreisdeckel auch beim morgigen Treffen der Energieminister nicht entschieden wird – so viel, sagen EU-Diplomaten übereinstimmend, steht vorher schon fest. Mit dem Vorschlag der Kommission sind weder die Fans noch die Gegner des Vorschlags zufrieden. Die einen, die den Gaspreisdeckel ablehnen, halten einen Markteingriff weiterhin für eine "extrem schlechte Idee".
Das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten haben sich Mitte November auf den Haushalt für nächstes Jahr geeinigt. Ausgaben von mehr als 186 Milliarden sind geplant.
Befürworter hingegen fühlen sich vom Vorschlag der Kommission veralbert – und drohen sogar damit, andere Beschlüsse zu blockieren. Und Beobachter, etwa aus dem EU-Parlament, kommen aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus: "Es ist ein Armutszeugnis: Bald ist Dezember und es wird immer noch lieber über mögliche Modelle diskutiert, als sie umzusetzen", sagt Claudia Gamon, österreichische EU-Abgeordnete der liberalen NEOS zu ZDFheute.
Das einzig Gute an der aktuellen Lage ist dabei: dass Europas Gasspeicher derzeit so gut gefüllt sind, dass Europa sich diesen Streit gerade noch leisten kann. Doch das dürfte sich schneller ändern, als es den Energieministern lieb ist.
Florian Neuhann berichtet als Korrespondent aus dem ZDF-Studio Brüssel über europäische Themen.
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