Kanzler auf Indien-Reise: Headhunter Olaf Scholz

    Olaf Scholz als Headhunter:Rettet Indien den deutschen Arbeitsmarkt?

    Peter Kunz, Studioleiter des ZDF-Landesstudios Niedersachsen in Hannover.
    von Peter Kunz
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    Alle 20 Jahre wieder wirbt Deutschland um IT-Fachkräfte aus Indien. Kanzler Olaf Scholz reist dafür persönlich als Headhunter in das bald bevölkerungsreichste Land der Welt.

    Indien, Bengaluru: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im Matti Café mit Fachkräften, die vor der Ausreise nach Deutschland stehen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht in Bangalore mit indischen Fachkräften, die vor der Ausreise nach Deutschland stehen.
    Quelle: dpa

    Indien und Deutschland sind sich in einer Hinsicht ähnlich: Beiden steht bei der Gestaltung der Zukunft oft eine überbordende, hinderliche Bürokratie im Weg. Bundeskanzler Scholz weiß, wovon er redet, wenn er beim Fischen nach indischem Talent dieser Tage den nötigen Abbau bürokratischer Hürden betont.

    Olaf Scholz ist unterwegs in Bangalore und Neu-Delhi, auf Werbetour für den Standort Deutschland. Ingenieure und IT-Fachkräfte, die in rauen Mengen aus Indien nach Berlin oder Halle einwandern, das wäre der Wunsch - der aber viel zu schön ist, um wahr zu werden.

    Zuletzt hatte ein anderer SPD-Kanzler Ähnliches versucht. Gerhard Schröder legte im Jahr 2000 die "Greencard" auf, mit der indische Computerexperten leichter nach Deutschland einreisen sollten. Leider endete das Programm als Flop und wurde nach vier Jahren eingestellt. Deutschland attraktiv? No, Sir!

    Deutschland ist nicht Zielland Nummer eins

    Indien, das mit seinem Bevölkerungswachstum vor Jahren schon eine Million junge Leute pro Monat auf den eigenen Arbeitsmarkt warf, bleibt weltweit Auswanderungsland Nummer eins. Gut ausgebildete Inder schauen allerdings Richtung Amerika, Kanada, Großbritannien.
    Warum soll man in ein Land wie Deutschland gehen, wo man neben der "lingua franca" Englisch noch eine neue Sprache lernen muss? Wo einen die Leute womöglich noch schief ansehen, wenn man sichtbar aus dem globalen Süden kommt?

    Deutsche Unternehmen ergreifen selbst die Initiative

    Knapp 3.000 indische Talente entschieden sich im letzten Jahresschnitt für Deutschland. Das reicht nicht, um die nationale Fachkräftelücke zu füllen. Tatsächlich haben deutsche Unternehmen schon längst den umgekehrten Weg angetreten: Sie setzen auf indische Fachkräfte in Indien, verbünden sich mit indischen Unternehmen und gründen Joint Ventures, bei denen die internationale Marktmacht großer indischer IT-Firmen den deutschen Partnern einen größeren Fußabdruck verschafft.

    Der Hannoveraner TUI-Konzern hat sich beispielsweise mit dem indischen Sonata-Konzern zusammengetan. Vor drei Monaten erst durchschnitt der deutsche TUI-Vorstandschef in Bangalore das Einweihungsband für ein neues Sonata-Entwicklungszentrum. Wenn man die Spezialisten nicht nach Deutschland holen kann, dann geht Deutschland eben nach Indien.

    Hürden für niedrig ausgebildetes Personal

    Im Frühjahr soll hierzulande die Gesetzgebung zur Fachkräfteinwanderung aus Drittstaaten erweitert werden. Im Falle Indien kann es dabei kaum nur um die besser Ausgebildeten gehen. Die Hürden müssten niedriger liegen für nicht oder nur teilweise ausgebildetes Personal. Krankenpflege, Gastronomie, Handwerk, da wird händeringend gesucht.
    Aber da klafft auch in Indien selbst eine Lücke - zwischen den Absolventen der großen Ingenieursschulen des südasiatischen Landes und Abermillionen von Menschen, die gerade so lesen und schreiben können. Eine Mehrheit auf dem aufsteigenden Subkontinent lebt immer noch arm und weitgehend ungebildet.

    Was Olaf Scholz und den Deutschen in ihrer Fachkräftenot vielleicht helfen kann: Die indische Antragsschlange für Arbeitsvisa in den USA ist so lang, dass man "150 Jahre ansteht", so lässt sich ein Bewerber zitieren. Wenn der Zugang nach Deutschland einfacher würde, greift mancher vielleicht eher nach dem Spatz in der Hand statt nach den Sternen.
    Auch hilft die Liebe vieler Inder zu deutschen Dichtern, Denkern und deutscher Kultur: Die Goethe-Institute verzeichnen einen Ansturm junger Leute aus Indiens wachsender Mittelschicht. Deutsche Studienplätze sind gefragt.

    Mit hohen Gehältern kann Deutschland nicht punkten

    Die Charmeoffensive gegenüber indischen Arbeitskräften wird Deutschland kaum von jetzt auf sofort entlasten. Erleichtertes Studium, Aus- oder Weiterbildung hier, damit kann man wohl locken. Mit einem gutem Gehalt eher weniger. Denn was hier zu verdienen ist, zieht einen indischen High Performer nicht aus dem Schwellen- ins Hochsteuerland.

    Eine gut ausgebildete IT-Fachkraft aus Indien kommt als Berufsanfänger oder -anfängerin in Bangalore heute auf 2.000 bis 4.000 Euro im Monat, später dann 5.000 Euro und mehr. Da lockt das mittlere Einkommen der Inder, die bereits in Deutschland wohnen und arbeiten, nicht wirklich. Es lag laut Bundesagentur für Arbeit im Jahre 2021 bei 4.974 Euro brutto im Monat. Obwohl die Summe vielleicht viele Deutsche sofort neidisch werden lässt (der Median-Lohn 2021 betrug in der Bundesrepublik insgesamt 3.643 Euro): Headhunter müssten für ihren grenzüberschreitenden Erfolg sicherlich noch einiges drauflegen.
    Peter Kunz war von 2003 bis 2016 Süd- und Südostasien-Korrespondent des ZDF.

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