Chef von Unicef-Deutschland über Kinder im Ukraine-Krieg

    Interview

    Chef von Unicef Deutschland:"Die große Kraft der Kinder macht Hoffnung"

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    Kein Kind in der Ukraine kann dem Krieg ganz entkommen, sagt Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. Der nahende Winter bringe neue Herausforderungen.

    Zwei Kinder gehen in der ukrainischen Stadt Dnipro an einem mit Sandsäcken gesicherten Shoppingcenter vorbei.
    UNICEF-Deutschland-Chef: "Wir wissen aus anderen Kriegs- und Krisengebieten, dass die überwiegende Zahl der Kinder durch einen geregelten Alltag vieles hinter sich lassen kann."
    Quelle: epa

    Besonders betroffen von Angst und Unsicherheit im Ukraine-Krieg sind die Kinder, die im Land geblieben sind. Ein Team von Unicef Deutschland war eine Woche lang in der Ukraine unterwegs, von Lwiw bis Odessa - mit besonderem Augenmerk auf die Kinder. Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland, war dabei.
    ZDFheute: Herr Schneider, was war ihr eindrücklichstes Erlebnis während Ihrer Reise durch die Ukraine?
    Christian Schneider: Das war in Charkiw bei einem Besuch eines sogenannten "Spilno"-Spots, das heißt in etwa "Zusammen". Von diesen Kinderzentren gibt es mittlerweile etwa einhundert in der Ukraine. Kinder können dort spielen und werden betreut - auch von ausgebildeten Psychologen.
    Der "Spilno"-Spot in Charkiw ist in einer Metro-Station, der Strom war ausgefallen. Trotzdem haben bei Handylicht etwa hundert Kinder zusammen gespielt, getobt und sich Zauberkunststücke angesehen. Gleichzeitig ging der Sirenenalarm auf der Warn-App auf dem Handy ständig an, weil weiter oben die Raketenangriffe wieder losgingen.

    Diese Diskrepanz zwischen dem greifbaren Krieg über der Erde und diesem Moment geschützter Kindheit in der Metro-Station - das werde ich nie vergessen.

    Christian Schneider, Geschäftsführer UNICEF Deutschland

    Tweet von Christian Schneider, UNICEF Deutschland
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    ZDFheute: Wie erleben die Kinder in der Ukraine diesen Krieg?
    Schneider: Nach vielen Monaten Krieg ist klar, dass kein Kind in der Ukraine - egal wo es unter welchen Umständen lebt - dem Krieg ganz entkommen kann. Es gibt viele Kinder, die unmittelbar getroffen wurden durch die Zerstörung ihres Zuhauses, indem sie fliehen mussten oder ihre Väter und Brüder in den Krieg zogen.

    Die psychologischen Folgen für die Kinder sind in jeder Familie allgegenwärtig.

    Wir wissen aus anderen Zusammenhängen aus Kriegs- und Krisengebieten, dass die überwiegende Zahl der Kinder durch einen geregelten Alltag etwa mit Schulunterricht oder Spielangeboten vieles hinter sich lassen kann - das wird heute oft Resilienz genannt.
    Doch es gibt auch Kinder, die psychologische Hilfe brauchen. Jugendliche haben mir erzählt, dass unter ihnen viele sehr depressiv und niedergeschlagen sind. Ein Problem ist, dass es an vielen Orten nicht genügend Fachkräfte gibt und wir die Kinder nicht überall erreichen können.

    • 3,3 Millionen Kinder in der Ukraine sind auf humanitäre Hilfe angewiesen
    • 92 Millionen Euro für die UNICEF-Hilfe haben Menschen aus Deutschland für Kinder in der Ukraine und geflüchtete Kinder in den Nachbarländern bis Anfang November gespendet
    • Über 12.000 Tonnen Hilfsgüter wie Medikamente, Hygieneartikel, Kleidung und Spiel- und Lernmaterialien hat UNICEF bis Ende September geliefert
    • 857.000 Kinder haben seit Februar an Bildungsangeboten von UNICEF teilgenommen

    Quelle: UNICEF Deutschland (Stand: 18.11.2022)

    ZDFheute: Bis Anfang November haben Menschen in Deutschland mehr als 92 Millionen Euro für Hilfen über UNICEF Deutschland gespendet. Wie wurde dieses Geld bislang eingesetzt?
    Schneider: Wir haben viele Hilfsgüter geliefert: Medikamente, medizinische Geräte etwa für die Geburtshilfe, aber auch Trinkwasser, dort wo die Versorgung zerstört wurde sowie Lernmaterial für Schulen oder Bargeldhilfen für Familien mit Kindern. Überwiegend wird das Geld direkt in der Ukraine eingesetzt - ein Teil fließt in ähnliche Angebote in Anrainerstaaten wie Moldawien, Polen und Rumänien.
    Ukraine: "Versorgungslage katastrophal"
    "Nach der sechsten Welle schwerer Raketenangriffe auf die ukrainische Infrastruktur", seien zehn Millionen Menschen ohne Strom, so ZDF-Korrespondent Henner Hebestreit. Der Winter verschärfe die Situation.18.11.2022 | 1:56 min
    ZDFheute: Bringt der nahende Winter neue Herausforderungen für die humanitäre Hilfe in der Ukraine mit sich?
    Schneider: In Kiew und in anderen Städten liegt jetzt der erste Schnee, wie wir gesehen haben. Es wird sehr schnell sehr kalt und wir wollen viele Kinder mit Winterkleidung versorgen. Dann müssen wir schauen, dass über Generatoren und alles, was irgendwie wärmt, Schulen und andere Einrichtungen für Kinder weiter funktionieren können. Das ist angesichts der Angriffe auf die Energieversorgung in der letzten Zeit keine leichte Aufgabe.
    ZDFheute: Die Situation der Menschen in der Ukraine bleibt also weiter schwierig. Haben Sie auf Ihrer Reise etwas erlebt, das Ihnen Hoffnung macht?
    Schneider: Die große Kraft der Kinder und Jugendlichen, den Krieg und das, was sie erlebt haben, hinter sich zu lassen, sich auf die Schule zu freuen, Pläne zu schmieden - das ist schon enorm. Viele sind voller Tatendrang und Energie und sehnen nur den Tag herbei, an dem wieder Frieden ist - das ist überall spürbar.
    Das Interview führte David Metzmacher.



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