Moor for Future: Klimarettung aus den Sümpfen

    Interview

    Moor for Future:Klimarettung aus den Sümpfen

    von Katrin Kleemann
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    Moore speichern natürlich CO2 - trockengelegt schaden sie dem Klima. Im ZDF-Interview erklärt Moorforscherin Sabine Wichmann, welche Rolle die Landwirtschaft dabei spielt.

    Finnland ist das Land der Seen und Moore. Nirgendwo sonst in Europa gibt es davon eine so große Fläche.
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    Die Bedeutung von nassen Mooren für den Klimaschutz ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker in das Bewusstsein von Politik und Forschung gerückt. Im vergangenen Jahr beschloss die Ampel-Regierung eine nationale Moorstrategie.
    Im ZDF-Interview erklärt Forscherin Sabine Wichmann vom Greifswalder Moor Centrum, wie alternative Landwirtschaftformen bei einer Wiedervernässung aussehen und welches Potential in den Sumpfgebieten schlummert.
    ZDFheute: Frau Wichmann, wie steht es um die deutschen Moore?
    Sabine Wichmann: In Deutschland gibt es 1,8 Millionen Hektar Moore, das sind fast fünf Prozent der Landfläche. Allerdings sind nur noch Restflächen in einem naturnahen nassen Zustand, wie man sich eigentlich ein Moor vorstellt. Der Großteil der Moorböden - circa 95 Prozent - wurde trockengelegt und wird vor allem als Wiesen, Weiden und Ackerland genutzt. Der im Torf über Jahrtausende gespeicherte Kohlenstoff wird oxidiert und gelangt als Treibhausgas Treibhausgas Kohlendioxid in die Atmosphäre.
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    ZDFheute: Stichwort Paludikultur: Was bedeutet das und welches Potenzial schreiben sie der landwirtschaftlichen Nutzung der Moore zu?
    Wichmann: Paludikultur bedeutet, Landwirtschaft komplett neu zu denken. In vielerlei Hinsicht - sowohl was die Wasserstände angeht als auch die Verwertung der Biomasse. Die landwirtschaftlich genutzten Moorflächen nehmen nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ein, sind aber verantwortlich für 40 Prozent der Treibhausgasemissionen aus den Sektoren Landwirtschaft und landwirtschaftliche Bodennutzung. Und das zeigt einfach, dass das eine riesige Chance ist, zusammen mit der Landwirtschaft Klimaschutz zu machen.

    Der Begriff Paludikultur leitet sich aus dem lateinischen „Palus“, „Sumpf, Morast“ ab und bezeichnet die land- und forstwirtschaftliche Nutzung von nassen Mooren. Typische Paludikultur-Pflanzen sind Schilf, Torfmoos oder Rohrkolben. Im Vordergrund stehen nachwachsende Rohstoffe, die zum Beispiel als Bau- oder Dämmstoffe verwendet werden. Der Anbau von Schilf für Dachreet ist ein traditionelles Beispiel. Die Kultivierung von Torfmoosen kann als Torfersatz für den Gartenbau dienen, Moorgras wiederum wird zur energetischen Verwertung verwendet.

    ZDFheute: Jahrelang galt: trocken ist gut. Heute sollen Landwirt:innen den Gegenkurs einschlagen. Wie kann der "Paradigmenwechsel" gelingen?
    Wichmann: Man muss an vielen Stellen der Wertschöpfungskette den ersten Schritt gleichzeitig machen. Zum Beispiel beim Rohrkolbenanbau. Wir wissen, wie es funktioniert und es gibt viele Verwendungsmöglichkeiten und marktreife Produkte. Aber es gibt eben auch noch keine Verwertungsanlagen für die Biomasse. Die Verwertungsanlagen werden aber auch nicht gebaut, weil die Biomasse nicht verfügbar ist.
    Und das ist so dieses Henne-Ei-Problem, dass das eine nicht existiert, weil das andere nicht existiert. Deshalb braucht es Unterstützung bei der Wiedervernässung, beim Bau von Verwertungsanlagen und bei der Zertifizierung.
    Dass das keiner alleine machen kann, ist klar. Es war ja auch bei der Entwässerung so, dass das immer politisch motiviert war und das nicht in Eigenregie passierte, sondern weil es dort Anreize gab von der Obrigkeit.
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    ZDFheute: Was wünschen Sie sich von der Politik?
    Wichmann: Die Bedeutung der Moore wird inzwischen auch durch die Bundespolitik anerkannt. Das zeigen zum Beispiel die vom Bundeskabinett beschlossene Nationale Moorschutzstrategie 2022 und das Aktionsprogramm "Natürlicher Klimaschutz" in diesem Jahr.

    Mit dieser neuen Aufmerksamkeit ist auch eine bisher beispiellose Bereitstellung von öffentlichen Geldern für den Schutz und die Wiedervernässung von Mooren verbunden. Herausforderung ist nun aber, dass dieses Geld tatsächlich vor Ort in den Moorregionen wirksam wird und einen Transformationsprozess anstößt.

    Sabine Wichmann, Forscherin am Greifswalder Moor Centrum

    Gleichzeitig muss die Politik langfristige Perspektiven, insbesondere für Moorlandwirte aufzeigen, zum Beispiel durch die Honorierung der Klimaschutzleistung bei Wiedervernässung.

    Sabine Wichmann forscht am Greifswalder MoorCentrum zu Paludikultur.
    Quelle: Kevin Keiner

    ... arbeitet seit 2008 am Greifswalder Moor Centrum. Außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Greifswald. 2022 wurde Sabine Wichmann für ihre Dissertation mit dem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Sie forscht zur landwirtschaftlichen Nutzung von wiedervernässten Moore, der sogenannt Paludikultur. Ihr Schwerpunkt liegt auf der ökonomischen Bewertung der neuen Nutzungsmöglichkeiten.

    ZDFheute: Warum sind Moore so wichtig?
    Wichmann: Moore sind faszinierende Ökosysteme, sie sind Multitalente. Allein die Biodiversität, die ja was ganz Besonderes ist, aber auch eben ihre Funktion als Kohlenstoffspeicher. Sie sind außerdem enorme Archive in der Landschaft und Wasserspeicher.
    ZDFheute: Was zeichnet Ihre Forschung aus und warum ist sie für Sie so wichtig?
    Sabine Wichmann: Ich finde es sehr spannend, an einem Thema zu arbeiten, das wirklich gesellschaftliche Relevanz hat. Und bei dem ich überzeugt bin, dass uns das helfen kann, die Herausforderungen der heutigen Zeit - in erster Linie auch die Klimakrise - zu bewältigen.
    ZDF: Was kann auch der oder die Einzelne tun, um die Moore zu schützen?
    Wichmann: Wenn man jetzt für den eigenen Garten einkauft, dann sollte man schon gucken, dass man torffreie Erde kauft. Oder auch mal nachfragen, wenn man Blumen kauft, wie sie denn kultiviert wurden. Sind die torfreduziert oder torffrei produziert? Und da können die schon sehr viel machen. Auch indem wir zum Beispiel bereit sind, ein bisschen mehr dafür zu bezahlen.
    Anmerkung der Redaktion: In vielen Mooren wird nach wie vor Torf abgebaut, zur Energiegeginnung oder zur Herstellung von Blumenerde, was die Ökosysteme zerstört und große Mengen CO2 ausstößt.
    ZDF: Was bedeutet Ihnen das Moor persönlich?
    Sabine Wichmann: Ich hatte das Glück, natürliche Moore in Sibirien und Karelien als ungestörte Landschaften mit weitem Himmel, großer Stille und als komplexe Ökosysteme erleben zu dürfen. Das war eine sehr prägende und bereichernde Erfahrung. Tatsächlich ist mir das Ausmaß der Trockenlegung unserer Moore in Deutschland und die Folgen auch erst später bewusst geworden. Hier nun an der Schnittstelle von Wissenschaft, Praxis und Politik zukunftsfähige Perspektiven für die Wiedervernässung von Mooren erarbeiten zu dürfen, finde ich persönlich eine herausfordernde, spannende und sehr sinnvolle Aufgabe.
    ZDF: Was wünschen Sie sich für Ihre Forschung?
    Sabine Wichmann: Ich würde mir mehr Kontinuität in der Unterstützung von Forschungsprojekten wünschen, die ja meist auf drei Jahre oder auch kürzer beschränkt werden. Ich sehe auch einen großen Bedarf für ein stärkeres Engagement sowohl von klassischen landwirtschaftlichen Forschungsinstitutionen, zum Beispiel im Bereich Landtechnik und Züchtung, als auch von größeren Praxispartnern aus Landwirtschaft, Verwertung und der Wirtschaft als sogenannte aufnehmende Hand für Moor-Biomasse.

    Paludikultur wird immer noch als Nische wahrgenommen. Damit sich das ändert und auch unsere Forschungsergebnisse tatsächlich in die Praxis kommen können, braucht es aber in erster Linie eine weitere Umgestaltung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.

    Sabine Wichmann, Forscherin am Greifswalder Moor Centrum

    Das Interview führte Katrin Kleemann.

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