Debatte um Nato-Erweiterung: Das lange Warten auf Erdogan

    Erdogan und Nato-Erweiterung:Ein bisher undenkbares Szenario wird möglich

    Florian Neuhann
    von Florian Neuhann
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    Wie die Türkei bei der Nato-Erweiterung um Schweden und Finnland pokert – und wer dabei auf der Strecke bleiben könnte.

    Das Erdbeben, das die Türkei erschüttert hat, ist zehn Tage her, da reist an diesem Donnerstag der Nato-Generalsekretär in das Land.
    Jens Stoltenberg bringt sein Mitgefühl mit, spricht von der schwersten Naturkatastrophe auf Nato-Gebiet seit Gründung der Allianz. Und verspricht weitere Hilfe.
    Und er hat ein Anliegen dabei: Die Türkei soll endlich ihre Blockade aufgeben. Und den Weg freimachen für die historische Nord-Erweiterung der Nato um Schweden und Finnland.

    Die Mahnung des Nato-Generalsekretärs

    Ein anderes Datum nämlich ist an diesem Donnerstag 233 Tage her: der 28. Juni, als der türkische Präsident Erdoğan beim Nato-Gipfel in Madrid ein Memorandum signierte, das den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands besiegeln sollte.
    An die dort festgelegten Auflagen, etwa den Kampf gegen kurdische Terroristen zu verschärfen oder die Beschränkungen bei der Waffenlieferung zu lockern, haben sich die beiden Beitrittskandidaten gehalten – so sehen sie es in Schweden, Finnland und im Nato-Hauptquartier. "Der Zeitpunkt zu ratifizieren ist jetzt", mahnt der Nato-Generalsekretär die Türkei an diesem Donnerstag.

    Koran-Verbrennung sorgt für riesigen Ärger

    Mit Finnland habe man ja "keine großen Probleme", antwortet der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf einer Pressekonferenz am Morgen. Mit Schweden dafür umso mehr.
    Erst recht, nachdem ein Rechtsextremist Ende Januar in Schweden eine Koranausgabe verbrannt hatte. Ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sei das, wettert Cavusoglu. Eine schnelle Ratifizierung des schwedischen Beitritts scheint ausgeschlossen.

    Getrennter Beitritt?

    Und so rückt ein bisher undenkbares Szenario in den Fokus: dass beide Länder nicht gemeinsam der Nato beitreten. Am Dienstag, vor Beginn des Nato-Verteidigungsministertreffens war Jens Stoltenberg erstmals öffentlich von diesem Prinzip abgerückt. Zwar sei die Allianz dafür, beide Länder zugleich aufzunehmen – aber über die Reihenfolge entscheide allein die Türkei.
    Im Klartext: Schweden könnte vorerst auf der Strecke bleiben. In den Reihen der Allianz wird darauf verwiesen, dass Finnland ohnehin sehr viel direkter durch Russland gefährdet sei – durch eine mehr als 1.300 Kilometer lange Landgrenze mit Russland.

    Hoffnung auf die Präsidentenwahl

    Und so setzen Brüssel und Stockholm auf ein Datum: den 14. Mai 2023, Tag der Präsidentschaftswahl in der Türkei. Danach sei das Thema aus dem Wahlkampf. Und könne hoffentlich vor dem nächsten Nato-Gipfel im Juli in Vilnius gelöst sein.
    Eine Wette darauf eingehen will aber kaum ein Nato-Diplomat. Schon kursieren in Hintergrundgesprächen Vergleiche wie dieser: Griechenland habe ja – wegen eines vergleichsweise simplen Namensstreits – den Beitritt von Nord-Mazedonien zur Nato ganze elf Jahre lang blockiert.
    Zumal im Windschatten der Türkei ja noch eine weitere Ratifizierung fehlt – aus Ungarn. Das soll zwar nun im Februar geschehen, so kündigte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Ende letzten Jahres an.
    Doch wer weiß schon, ob nicht auch Orban pokert.

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