Bundeswehr-Abzug aus Mali: "Ortskräfte bleiben zurück"

    Interview

    Abzug der UN-Mission:Bundeswehr in Mali: Hilferuf der Ortskräfte

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    Die Bundeswehr zieht aus Mali ab - doch ihre Ortskräfte könnten mal wieder vergessen werden, fürchtet der Soldat Marcus Grotian. Ein ähnliches Debakel wie in Afghanistan droht.

    Bundeswehrsoldaten stehen in Gao in Mali im Feldlager Camp Castor an ihren Fahrzeugen. (Archivbild)
    Bis Ende des Jahres soll der Rückzug der Bundeswehr aus Mali beendet sein. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Die Bundeswehr zieht sich gerade aus Mali zurück - die dortige Regierung will die UN-Blauhelmmission nicht mehr im Land haben, lieber mit russischen Wagner-Söldnern zusammenarbeiten. Dadurch geraten wieder die Ortskräfte zwischen die Fronten - also Einheimische, die für die Deutschen gearbeitet haben. In einem Brief wenden sich Übersetzer, die für die Bundeswehr tätig sind, an die Bundesregierung und bitten um Schutz.
    In dem Schreiben, aus dem der "Spiegel" zitiert, heißt es: "Da wir mit den Soldatinnen und Soldaten vor Ort zusammenarbeiten, stellt das eine Gefahr für uns und unsere Familien dar", so das "Team der Sprachmittler des deutschen Kontingents". Man fürchte, dass es nach dem Abzug "zu einer sehr beunruhigenden Sicherheitslage" kommen werde.
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    Der Soldat Marcus Grotian leitet das Patenschaftsnetzwerk, das sich für afghanische Ortskräfte einsetzt. Nach dem Debakel in Afghanistan traut er der Bundesregierung auch in Mali nicht zu, die Ortskräfte ausreichend zu schützen.
    ZDFheute: Heute vor genau zwei Jahren übernahmen die Taliban in Kabul die Macht. Die Bundeswehr musste damals überstürzt abziehen. Was hat die deutsche Regierung daraus gelernt?
    Marcus Grotian: Ich fürchte, nicht viel. Es gibt überhaupt kein Verfahren, wie wir unsere Ortskräfte aus Mali retten können. Ein Ortskräfteverfahren gibt es nur für Afghanistan. Und auch da dauert es viel zu lange, viele Ortskräfte sitzen noch immer in dem Land fest, in dem jetzt die Taliban reagieren.

    Grotian, Markus - Deutscher Soldat spricht über Afghanistan 2021
    Quelle: AP

    ... war selbst 2011 als Soldat in Afghanistan stationiert. 2015 gründete er die Organisation "Patenschaftsnetzwerk afghanischer Ortskräfte". Schon vor dem überhasteten Abzug der Bundeswehr im Jahr 2021 setzte er sich dafür ein, dass Ortskräften geholfen wird.

    Dass sich die Ministerien in einer Krise besser abstimmen als in Afghanistan, halte ich für nicht realistisch. Die sind dann damit beschäftigt, Deutsche und Europäer zu retten.

    Die Ortskräfte bleiben erst einmal zurück.

    Marcus Grotian, Patenschaftsnetzwerk

    ZDFheute: Grundsätzlich ist jedes Ministerium für seine eigenen Ortskräfte zuständig. Wozu führt das?
    Grotian: Das haben wir vor Kurzem im Sudan gesehen. In der akuten Krise wusste das eine Ministerium vor Ort wieder nicht, was das andere macht - wie schon in Afghanistan.
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    Aus dem Sudan wurden nach dem Putsch auch nur Deutsche von der Bundeswehr ausgeflogen wurden. Nicht eine sudanesische Ortskraft saß bei der Evakuierung im Flieger. Durch meine Kontakte wusste ich, dass 31 der 34 Ortskräfte der Deutschen Botschaft evakuiert werden wollten. Doch man hat sie zurückgelassen. Erst Wochen später konnten sie die Hauptstadt Khartum verlassen.
    Den sudanesischen Ortskräften danach weiter Gehalt zu bezahlen, bringt auch wenig, wenn die Banken nicht mehr geöffnet haben.
    ZDFheute: Geht es Ihnen darum, die Menschen nach Deutschland zu holen?
    Grotian: Es geht nicht darum, alle Leute nach Deutschland zu holen. Mit einem Pass kann man auch erst einmal in ein sicheres Land in der Region fliehen.

    Es geht mir darum, dass diese Menschen, die uns geholfen haben, am Leben bleiben.

    Marcus Grotian, Patenschaftsnetzwerk

    ZDFheute: Bis Ende des Jahres soll die Bundeswehr aus Mali abgezogen sein. Laut "Spiegel" geht es potenziell um 400 Ortskräfte. Bleibt noch genug Zeit, um ihnen zu helfen?
    Grotian: Aus Afghanistan wissen wir, wie schnell die Lage kippen kann.

    Die deutschen Ministerien müssen sich besser vorbereiten und viel mehr untereinander abstimmen. Nur zu hoffen, dass es nicht zu einer Krise kommt, hilft nicht.

    Marcus Grotian, Patenschaftsnetzwerk

    Es braucht mehr Ad-hoc-Bereitschaft, aber auch eine bessere Vorbereitung. Das ist für Deutschland, das sehr bürokratisch funktioniert, essenziell.
    Das Interview führte Julia Klaus.

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