Kriegsangst: In Polen üben Zivilisten den Ernstfall

    "Trainier für den Krieg!":In Polen üben Zivilisten den Ernstfall

    Natalie Steger in Warschau
    von Natalie Steger
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    In Polen geht die Kriegsangst um. Die Regierung bietet Wochenendkurse an, wirbt in Videos mit donnernder Musik für militärische Schulungen - nicht nur Waffennarren machen mit.

    Polen, Breslau: Zivilisten erlernen den Umgang mit Waffen bei einem eintägigen Kurs «Trainiere mit der Armee».
    Polen, Breslau: Zivilisten erlernen den Umgang mit Waffen bei einem eintägigen Kurs "Trainiere mit der Armee".
    Quelle: Krzysztof Zatycki/ZUMA Press Wire/dpa

    "Willst du für einen Tag Fahrer des Schützenpanzers Rosomak werden?" "Wir lehren dich, wie man sicher Waffen benutzt und schießt!" - das sind nur zwei Slogans in einem Video des polnischen Verteidigungsministeriums. Denn in Polen geht wegen des Krieges in der Ukraine die Kriegsangst um.
    Was für viele in Deutschland eher befremdlich wirken dürfte, findet in Polen durchaus Zuspruch - die ersten Kurse im Herbst waren rappelvoll.

    Mehr Bewerber als Plätze für die Freiwilligenkurse

    Laut Verteidigungsminister gab es mehr Bewerber als Plätze. Jetzt findet bis Ende Februar die zweite Ausgabe der Schulungen statt. Bei der ersten Schulung sind es unter anderem Lehrer, Handwerker oder wie Agata, Buchhalter, die am Schießstand stehen.
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    "Meine Hände zittern die ganze Zeit", sagt sie. "Weil du zu fest hältst", sagt der Soldat. Der nächste Schuss sitzt. "Sehr gut, die Waffe hat sich kaum bewegt".

    Vaterland, Familie, Angehörige schützen - das ist die Pflicht eines Soldaten, sich in einer solchen Situation verhalten zu können - mein großer Traum.

    Agata

    Schießtraining, Handgranaten werfen, erste Hilfe und auch Überleben im Gelände üben sie. Der Soldat führt den Nahkampf vor - von hinten im Klammergriff, leichte Drehung und dann mit dem Ellbogen voll ins Gesicht des Gegners.

    Polen will mit Schießübungen auch für Armee werben

    Die meisten, die da draußen trainieren, haben keine Erfahrung mit Waffen. Doch sie wollen einen Tag scheinbar sich und das Land verteidigen. "Es wäre gut, wenn Zivilisten mit Waffen umgehen könnten", sagt Leutnant Lukasz Ilczuk.

    Wir haben derzeit keine Wehrpflicht in Polen, daher ist eine solche Ausbildung unbedingt zu empfehlen.

    Lukasz Ilczuk, Leutnant

    Mit den kostenlosen Kursen will Polen auch dafür werben, den Streitkräften beizutreten. Deshalb sind jetzt erstmals auch explizit Schüler zugelassen - Frauen und Männer von 16 bis 65 können Krieg üben.
    In Polen gibt es neben den Berufssoldaten auch den Heimatschutz, eine Freiwilligen-Armee, die bereits dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Von 110.000 Berufssoldaten und 30.000 Freiwilligen soll es hoch gehen auf 250.000 und auf 50.000 - die Streitkräfte also verdoppeln ist das ambitionierte Ziel.

    Militärische Trainings auch schon für Schüler

    In der Schule können Teenager dieses Schuljahr Jahr zur Waffe greifen - "Sicherheitsausbildung" steht auch beim Lyceum Nr. 47 in Lodz auf dem Lehrplan. "Wir trainieren mit einem Sportgewehr, 5,6 Millimeter", erklärt Maciej Wozniak, Lehrer und zugleich Schießtrainer. Die Munition ist natürlich nicht echt.
    Sie sind in der 8. oder 9. Klasse, legen an, feuern. Die Schüler sollen, so das Bildungsministerium, auf die Bedingungen, die auf Polen zukommen könnten, vorbereitet sein. Marianna (16), Wiktoria (16) und Kasandra (17) schießen im Schulsaal. "Ich fühlte mich gerade frei, mein Kopf war leer, so würd ich das sagen", sagt Marianna.

    Es wäre jetzt wahrscheinlich nicht so ein Zusammenstoß mit der Realität, denn ich wüsste nun, was ich mit der Waffe anfangen soll. Ich bin darauf vorbereitet.

    Marianna, Schülerin

    Entschlossenheit und Wille zur Selbstverteidigung groß

    Wiktoria fühlt sich "sicher, wenn ich das Gewehr in der Hand halte". Kasandra wiederum findet Schießen für alle Kinder problematisch: "Es scheint mir, dass solche Kurse für diejenigen sein sollten, die bereit sind. Aufgrund der mentalen Verfassung von Kindern kann nicht jeder in solchen Kursen vorbereitet werden und es sollte individuell sein."

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    Bei den Erwachsenen hat die militärische Schulung auch etwas von Klassenausflug. Abenteuercharakter, es wird auch gelacht - aber immer dabei sind auch echte Sorgen. "Soll ich stehen bleiben und warten", sagt eine Teilnehmerin, während sie in der Pause im Gelände aus dem Alunapf isst, "bis sie töten oder vergewaltigen? Ich werde schießen".
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    Natalie Steger ist Leiterin des ZDF-Auslandsstudios in Warschau.



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