Wie Russland Härte an der 13-jährigen Mascha demonstriert

    13-Jährige malt Anti-Kriegsbild:Wie Russland Härte an einem Kind demonstriert

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    Mascha hat ein Bild gemalt und darauf den Krieg in der Ukraine kritisiert. Ihr Vater wurde festgenommen und sie kam in ein Kinderheim. Jetzt soll er das Sorgerecht verlieren.

    Mascha
    Die 13-jährige Mascha hat im Kunstunterricht in der Schule ein Bild gemalt - jetzt lebt sie im Waisenhaus.

    Es ist eine Geschichte, die sich wie ausgedacht liest - wie aus einem Roman über die stalinistische Zeit, bei dem man denkt: Wahnsinn, was da in der Sowjetunion passiert ist. Es ist die tragische Geschichte der 13-jährigen Mascha und die ihres alleinerziehenden Vaters Alexej Moskaljow, die jetzt beide ihr Zuhause verloren haben. Im heutigen Russland. Wegen eines Bildes, das Mascha in der Schule gemalt hat.
    Mascha ging in der Stadt Efremov in der Region Tula zur Schule. 320 Kilometer sind es von dort bis nach Moskau, vier Stunden mit dem Auto. Die Gegend ist provinziell und konservativ. Präsident Wladimir Putin hat hier viele Anhänger.

    Maschas Kunstlehrerin schwärzte sie an

    Im April vergangenen Jahres sollte Mascha im Kunstunterricht ein Bild malen, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine zu unterstützen. Doch Mascha malte ein anderes Bild. Darauf sind Raketen zu sehen, die Richtung Ukraine fliegen. Auf der ukrainischen Flagge steht: "Ruhm für die Ukraine" und auf der russischen Flagge "Nein zu Putin, nein zum Krieg".
    Gemaltes Bild
    Wegen dieses Bildes, das Mascha im Kunstunterricht gemalt hat, steht ihr Leben jetzt Kopf.

    Maschas Kunstlehrerin, eine 87-jährige Frau, die die Zeiten Stalins noch aktiv mitbekommen hat, ging damit zum Schulleiter und der rief die Polizei. Was folgte, zeigt exemplarisch, wie unbarmherzig Russlands Behörden mittlerweile gegen jeden vorgehen, der es wagt, den Krieg und die Streitkräfte zu kritisieren.

    Zuerst Geldstrafe, dann FSB-Verhör und Verhaftung

    Maschas Vater Alexej Moskaljow wurde mehrfach verhört, genau wie Mascha. In einem schnell anberaumten Prozess verurteilte ein lokales Gericht ihn zu einer Geldstrafe von 32.000 Rubel. Das sind umgerechnet rund 368 Euro.
    Bildcollage: Wladimir Putin (rechts im Bild), Satellit im Weltall (links im Bild)
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    Dem russischen Online-Portal OWD-Info berichtete er über den Tag des Prozesses:

    Wir verließen abends das Gericht. Meine Tochter hatte Hunger und weinte, sie zitterte. Ich sagte zu ihr: 'Maschenka, beruhige dich. Der Prozess hat stattgefunden, ich wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, jetzt lassen sie uns in Ruhe. Wir haben es hinter uns.'

    Alexej Moskaljow, Vater von Mascha

    Doch es kam schlimmer. Denn nur kurze Zeit später schaltete sich der russische Inlandsgeheimdienst FSB ein. Erneut wurden Vater und Tochter stundenlang verhört. Die Begründung: Alexej Moskaljow habe sich auf Social Media kritisch über die Streitkräfte geäußert. Es wurde ein Strafverfahren wegen wiederholter "Diskreditierung" der Armee eingeleitet.

    Gewalt und psychische Folter in Haft

    Alexej Moskaljow berichtete von Gewalt bei den Verhören und psychischer Folter. Man warf ihm vor, seine Tochter falsch zu erziehen. Anfang März 2023 wurde Alexej schließlich festgenommen, angeklagt und unter Hausarrest gestellt. Mascha brachten die Behörden in ein Waisenhaus.
    Die Kommission für Jugendangelegenheiten reichte zudem eine Klage ein, um Alexej das Sorgerecht zu entziehen. Der Fall erregte im ganzen Land Aufmerksamkeit. Die in Russland verbotene Menschenrechtsorganisation Memorial erklärte, sie betrachte Alexej als politischen Gefangenen.

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    Olga Podolskaja ist eine Abgeordnete der Oppositionspartei "Jabloko" aus Efremov, sie war am ersten Tag der Verhandlung dabei und beobachtete Alexej während des Prozesses. Dem ZDF sagte sie:

    Alexej machte bei der Verhandlung einen verlorenen Eindruck, er hatte einen erloschenen Blick, weil es keine Gerechtigkeit gibt. Das drückte sein Gesicht aus. Hoffnungslosigkeit. Wir haben versucht, ihm mit den Augen zu zeigen, dass wir ihn unterstützen. Es war unmöglich, mit ihm zu sprechen.

    Olga Podolskaja, Jabloko-Abgeordnete aus Efremov

    Nach der Flucht nach Russland ausgeliefert

    In der Nacht vor dem zweiten Verhandlungstag fasste sich Alexej ein Herz und entkam aus dem Hausarrest. In Abwesenheit wurde er am 28. März zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nur kurze Zeit später fassten ihn belarussische Behörden in Minsk und lieferten ihn nach Russland aus.
    Bevor am 6. April der zweite Gerichtstermin startet, bei dem es um das Sorgerecht von Alexej für Mascha gehen soll, veröffentlichten Alexejs Anwälte einen Brief, den Mascha ihm aus dem Waisenhaus geschrieben hat:

    Ich liebe dich sehr, danke für alles, was du für mich tust. Wenn du dich schlecht fühlst oder dir Sorgen machst, wird mir schlecht und ich fühle mich sehr schlecht. Ich glaube, dass alles gut wird und wir zusammen sein werden.

    Mascha in einem Brief an ihren Vater

    Mascha kommt zu ihrer Mutter

    Scheinbar ist Mascha kein Einzelfall. Das Portal OWD-Info listet mehrere Fälle auf, bei denen Kinder und Jugendliche wegen kritischer Äußerungen über den Krieg verhört worden seien. Doch der Fall Mascha hat mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit erzeugt, auch international.
    Darauf reagierten jetzt die Behörden. Eigentlich sollte für Mascha eine Pflegefamilie gesucht werden, doch am Abend vor der Verhandlung um das Sorgerecht von Alexej wurde bekannt, dass Mascha nun doch zu ihrer Mutter kommen soll. Die Lokalzeitung Tulskie Izwestia veröffentlichte Fotos vom Zusammentreffen der Mutter mit Mascha.
    Mascha sitzt mit ihrer Mutter an einem Tisch und isst ein Brot.
    Die Mutter Olga Sitschichina hatte bisher wenig Interesse an ihrer Tochter Mascha gezeigt.
    Quelle: Tulskie Izwestia

    Fürchten Behörden negative Schlagzeilen?

    Es scheint, als wollten die Behörden verhindern, dass am Verhandlungstag die Nachricht um die Welt geht, dass der Vater ins Gefängnis und die Tochter daraufhin ins Waisenhaus kommt. Die Mutter Olga Sitschichina hatte bisher allerdings wenig Interesse an ihrer Tochter gezeigt. Als Mascha drei war, hatte sie die Familie für einen neuen Mann verlassen und bis vor kurzem gesagt, sie wolle Mascha nicht zu sich nehmen.
    Doch die Behörden scheinen sie überzeugt zu haben. Lokale Medien berichten gar, dass der Gouverneur der Region Tula sie gezwungen habe, ihre Tochter zu sich zu nehmen. Olga Sitschichina jedenfalls erklärte, dass sie von nun an verhindern werde, dass Mascha antipropagandistische Zeichnungen anfertigt. Ihren Vater dürfe Mascha natürlich in der Gefängnis-Kolonie besuchen.
    Der Fall Mascha bleibt selbst für russische Verhältnisse ein Ungewöhnlicher. Es ist zu erwarten, dass Alexej heute sein Sorgerecht für Mascha verliert. Am Ende bleibt das Ergebnis: Ein alleinerziehender Vater muss ins Gefängnis und ein Mädchen verliert sein Zuhause. Mutmaßlich für kritische Kommentare im Internet.
    Sebastian Ehm berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien

    "Hallo Papa, ich bitte dich, nicht krank zu werden und dir keine Sorgen zu machen. Bei mir ist alles in Ordnung, ich liebe dich sehr und weiß, dass du an nichts schuld bist, ich bin immer für dich. Und alles, was du tust, ist richtig.

    Ich liebe dich sehr, danke für alles, was du für mich tust. Wenn du dich schlecht fühlst oder dir Sorgen machst, wird mir schlecht und ich fühle mich sehr schlecht. Ich glaube, dass alles gut wird und wir zusammen sein werden. Hoffe das Beste und hab dich sehr lieb.

    Papa, weißt du, wie mir eine Frau schrieb, du musst glauben, hoffen und lieben, denn nur wer glaubt, hofft und liebt, gewinnt.

    Wisst, dass wir gewinnen werden, dass der Sieg unser sein wird, egal was passiert, wir sind zusammen, wir sind ein Team, ihr seid die Besten. Du bist mein Papa, der klügste, schönste, beste Papa der Welt. Wisse – es gibt keinen Besseren als dich.

    Bitte, gib einfach nicht auf. Glaube, hoffe und liebe. Eines Tages werden wir uns an den Tisch setzen und uns an alles erinnern. Ich liebe dich, ich hoffe nicht, ich weiß, dass du nicht aufgeben wirst, du bist stark, wir sind stark, wir können und ich werde für dich und für uns beten, Papa.

    Ich bin stolz. Ja, Papa, ich kann sagen, dass ich stolz auf meinen Vater bin. Stolz, klug, gutaussehend, stur und der seine Tochter so sehr liebt.

    Wenn wir uns endlich treffen, gebe ich dir ein großes schönes Geschenk. Papa, ich möchte nicht über meine Gesundheit und Stimmung schreiben, ich möchte dich nicht verärgern, aber ich habe die bittere Wahrheit besser verstanden als die süße Lüge. Wenn wir uns treffen, erzähle ich dir alles.

    Hier ist ein Antikriegszeichen, ich werde dir diesen Anhänger als dem mutigsten Mann der Welt geben! Ich liebe dich, du bist ein Held. Mein Held."

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