UN-Vorsitz: Warum das Ansehen der Schweiz Risse bekommt

    Ukraine-Krieg und Bankenkrise:Warum das Ansehen der Schweiz Risse bekommt

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    Die Schweiz übernimmt heute erstmals den Vorsitz im UN-Weltsicherheitsrat. Doch das Ansehen des traditionell neutralen Landes hat seit Beginn des Ukraine-Kriegs gelitten.

    Schweizer Flagge vor blauem Himmel im Wind
    Die Schweiz hat in Umfragen einen guten Ruf. Das Image scheint aber zu bröckeln.
    Quelle: mev

    Die Schweiz hat an diesem Montag erstmals den Vorsitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) übernommen. Das Land will in dieser Rolle seinem Ruf als Vermittler und Brückenbauer gerecht werden, wie UN-Botschafterin Pascale Baeriswyl gegenüber Medien sagte - aber das Ansehen der traditionell neutralen Schweiz hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gelitten.
    "Unsere Nachbarn werden sich in Zukunft noch stärker fragen, wie weit man der Schweiz politisch entgegenkommen will", sagt Politikwissenschaftler Christoph Frei von der Universität St. Gallen.

    Wir sind auf dem Weg, Freunde zu verlieren.

    Christoph Frei, Universität St. Gallen

    Kritikpunkte an der Schweiz

    Was bei den Nachbarn für Kritik sorgt:
    • Sanktionen gegen Russland: Als der Krieg in der Ukraine begann, meinte die Regierung in Bern erst, die Schweiz sei neutral und werde nicht mitmachen. Auf Druck aus dem Ausland kam schnell die Kehrtwende, auch wenn Politologe Frei sagt, sie ziehe nur halbwegs mit. "Zum Beispiel beim Rohstoffhandel tun die Behörden so, als wüssten sie nicht, wie wichtig der Handel über die Schweiz für Russland ist", sagt er der Deutschen Presse-Agentur.
    • Oligarchengelder: Bis Ende 2022 wurden knapp acht Milliarden Franken von Russen blockiert, die Präsident Wladimir Putin nahestehen. Es werden aber viele weitere Milliarden in der Schweiz vermutet.
    In Berlin ist auch das Durchwinken von Migranten nach Deutschland sauer aufgestoßen, in der Finanzwelt das Aushebeln der Aktionärsrechte bei der Rettung der Credit Suisse - zahlreiche Klagen laufen.

    Schweizer Außenministerium weist Image-Schaden zurück

    Kritische Töne will das Schweizer Außenministerium aber nur in den Medien wahrgenommen haben. "Die Medien haben zwar einen gewissen Einfluss auf das Image eines Landes, doch ist dies nicht der einzige Faktor", teilt es auf Anfrage mit.

    Bislang haben wir keine Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung unserer Gesamtwahrnehmung, die nachhaltige negative Folgen hätte.

    Schweizer Außenministerium

    Dabei kommt die Kritik aus prominenten Ecken: Etwa Jens Stoltenberg, Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses Nato: "Es geht nicht um Neutralität. Es geht um das Recht auf Selbstverteidigung", sagte er im Januar in Davos.

    "Die Neutralität stammt aus meiner Sicht aus dem vergangenen Jahrhundert"
    (Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz: Er fordert: Die Schweiz müsse helfen, die internationale Rechtsordnung zu verteidigen.)

    "Sanktionen sind nur so stark wie der politische Wille dahinter"
    (US-Botschafter Scott Miller in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Er ist überzeugt: Die Schweiz könnte bei Oligarchengeldern sicher 50 oder 100 Milliarden Franken mehr blockieren.)

    "Wir erwarten von der Schweiz, dass sie in bestimmten Stellen über ihren neutralistischen Schatten springt"
    (Der
    deutsche Botschafter Michael Flügger in einem Interview im Schweizer Fernsehen.)

    "Die Schweiz hat ihren Ruf massakriert"
    (
    Schweizer Grünen-Abgeordneter Gerhard Andrey über den Beschluss des Parlaments, das Verbot der Munitionsweiterleitung an die Ukraine nicht aufzuheben.)

    (Quelle: dpa)

    Die Sonderrolle der Schweiz

    Die Schweiz nimmt eine Sonderrolle für sich in Anspruch. Sie macht politisch gerne ihr eigenes Ding - außer, wenn es um die Wirtschaft und Marktzugänge geht. In die Vereinten Nationen trat sie erst 2002 ein.
    Mitten in Europa gelegen lehnt sie einen Beitritt zur EU ab und hat 2021 jahrelange Verhandlungen über eine Aktualisierung der bilateralen Verträge abgebrochen. "Wir sind vom Sonderfall zum Störfall geworden und müssen aufpassen, mit unserem Klammern an Geschichten von gestern nicht zum Sozialfall zu werden", warnt Frei.
    Schweizer Panzer
    Die Schweiz liefert aus Neutralitätsgründen keine Waffen an Kriegsparteien – weder direkt noch indirekt.10.02.2023 | 2:17 min

    Expertin: Banken-Debakel färbt auf Image der Schweiz ab

    Auch das Debakel um die Credit Suisse, bei der Aktionärsrechte per Notrecht ausgehebelt wurden, könne das Image beeinträchtigen, sagt Diana Ingenhoff, Professorin für Organisationskommunikation und Public Diplomacy an der Schweizer Universität Freiburg. "Es gibt Transfer-Effekte: Die Schweiz positioniert sich als starker Finanzplatz, die Schweizer Banken profitieren vom Image der Schweiz."

    Die Credit Suisse trug den Landesnamen sogar im Titel. Wenn dann etwas schief geht, färbt das auch auf das Image des Landes ab.

    Diana Ingenhoff, Universität Freiburg (Schweiz)

    In selbst durchgeführten Umfragen steht die Schweiz weiter hoch im Kurs. Die Abteilung Präsenz Schweiz im Außenministerium, die für die Förderung des Images der Schweiz im Ausland zuständig ist, meldetet positive Ergebnisse nach der jüngsten Umfrage im Dezember 2022. Demnach liege die Schweiz vor Deutschland, Schweden, Großbritannien und anderen an der Spitze.

    In der Ipsos-Umfrage zur Wahrnehmungen von Ländern in aller Welt stand Deutschland im November 2022 an der Spitze, die Schweiz auf Platz 7.

    Johanna Gollnhofer, Direktorin des Instituts für Marketing der Universität St. Gallen, sagt dagegen: "Der Ruf einer Marke oder eines Landes, das sind Assoziationen im Kopf. Die verändern sich sehr langsam, da müsste über Jahre etwas passieren, sonst bleibt am Ende wenig hängen.

    Man kennt die Schweiz als sicheren Hafen, als naturverbunden und verlässlich, das wird nicht kurzfristig zerstört werden.

    Johanna Gollnhofer, Universität St. Gallen

    Politologe wirbt für Schweizer Beitrag zur Nato

    Frei sieht jedoch Handlungsbedarf: "Als wohlhabendes, vielfach privilegiertes Land müssen wir endlich deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, sowohl für humanitäre Hilfe als auch für Sicherheit." Er wirbt für einen Schweizer Beitrag zur Nato.
    Die Schweiz profitiere davon, dass die Nato rundum die Sicherheit finanziere. "Die Nato ist gewissermaßen ein Donut - und die Schweiz das Loch in der Mitte", meinte der US-Botschafter.

    Wir müssten vom hohen Ross runterkommen und akzeptieren, dass auch wir auf dem Weg sind, ein normales europäisches Land zu werden.

    Christoph Frei, Politikwissenschaftler

    Quelle: Christiane Oelrich, dpa

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