Waffenlieferung an Ukraine: Die Schweizer Neutralität wankt

    Waffenlieferungen an Kiew:Ukraine-Krieg: Schweizer Neutralität wankt

    ZDF-Studioleiterin Baden-Württemberg Eva Schiller
    von Eva Schiller
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    Es bahnt sich eine Sensation an - in der Schweiz. Das Land erwägt, das Neutralitätsrecht aufzuweichen, damit Länder wie Deutschland Schweizer Waffen in die Ukraine liefern können.

    Schweizer Panzer
    Die Schweiz liefert aus Neutralitätsgründen keine Waffen an Kriegsparteien – weder direkt noch indirekt. Doch das könnte sich jetzt ändern, denn die Schweiz fürchtet um ihre Rüstungsindustrie.10.02.2023 | 2:17 min
    Die Produktionshalle der Firma Mowag in der Schweiz: Mitarbeiter schrauben an grünen Panzerfahrzeugen, die eigentlich in europäische Länder verkauft werden sollen. Aber Panzer made in Switzerland sind zum Ladenhüter geworden und das hat einen einfachen Grund: Kriegsgerät aus der neutralen Schweiz darf nicht an die Ukraine weitergegeben werden.
    Die Rüstungsbranche des Landes, die zu den 15 größten der Welt zählt, zittert um Aufträge. Ein Lobbyist der Waffenindustrie, sonst total verschwiegen, plaudert plötzlich aus dem Nähkästchen:
    "Ich weiß von den zwölf größten Rüstungsunternehmen, dass von ihnen Garantien verlangt werden. Garantien, dass der Empfängerstaat die Waffen weiterreichen darf, und Garantien, dass der Empfängerstaat auch beliefert wird, wenn er in einen Konflikt verwickelt ist", so Matthias Zoller, Generalsekretär für Rüstungsindustrie bei Swissmem.

    Die Garantie kann kein Schweizer Unternehmen geben.

    Matthias Zoller, Generalsekretär für Rüstungsindustrie Swissmem

    Neutralitätsrecht verbietet, Kriegspartei zu bevorzugen

    Zweimal schon hat Deutschland den Antrag gestellt, in der Schweiz hergestellte, vor Längerem gekaufte Munition in die Ukraine zu liefern. Doch die Schweizer Regierung hat beide Anträge abgelehnt. Genauso erging es Dänemark.
    Der Grund: Das Neutralitätsrecht verbietet es, eine Kriegspartei zu bevorzugen. Wenn Schweizer Waffen von der Ukraine eingesetzt werden, müsste auch Russland welche bekommen. Und: Erst kürzlich wurde das Kriegsmaterialgesetz verschärft, das verbietet, Waffen an Länder zu liefern, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind.

    Nato und europäische Regierungen erhöhen Druck

    Jetzt wächst der Druck auf die Schweiz, Gesetze zu ändern. Nicht nur von der Rüstungsindustrie, sondern auch von der Nato und europäischen Regierungen. Und so bahnt sich in der Schweiz eine Sensation an: In einem Land, für das Neutralität seit über hundert Jahren zur Identität gehört, will plötzlich eine Mehrheit der Menschen das Neutralitätsrecht aufweichen.
    Umfragen zufolge befürworten mittlerweile 55 Prozent der Schweizer die Wiederausfuhr von Waffen in die Ukraine. Dieser Wert wäre bis vor Kurzem noch undenkbar gewesen.
    Und auch eine Partei nach der anderen wirft ihre Prinzipien über Bord. Sogar Teile der rechtskonservativen SVP, traditionell Verfechter der Neutralität, sind mittlerweile gespalten. Werner Salzmann von der SVP sagt:

    Die neutrale Schweiz will der Ukraine nicht direkt helfen. Aber sie sollte nicht blockieren, wenn andere helfen wollen.

    Werner Salzmann, SVP

    Er ist Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission im Parlament, die sich nun für folgenden Vorstoß ausgesprochen hat: Die Regierung soll die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen in Ausnahmefällen erlauben, wenn ein Konflikt von der UN-Vollversammlung als völkerrechtswidrig beurteilt wurde. Das wäre der Fall - beim Ukraine-Krieg.

    Völkerrechtler: Schweiz will weg von Schmuddel-Image

    Doch Völkerrechtler protestieren. Waffen verkaufen - und gleichzeitig neutral sein wollen: In Kriegszeiten funktioniere das nicht, sagt Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich. "Die Schweiz ist hier in einem Dilemma: Entweder sie unterstützt das Opfer durch Erteilung der Genehmigung und verletzt dabei das völkerrechtliche Neutralitätsrecht. Oder sie respektiert das Recht und erscheint damit als moralisch unbeteiligt", so Diggelmann.
    Der Grund für den Schweizer Meinungsumschwung liegt seiner Meinung nach tiefer. Die Schweiz wolle weg von ihrem Schmuddel-Image, von ihrem Ruf als Wohlfühloase russischer Oligarchen. "Also die Schweiz muss sich schon fragen: Warum ist dieser Druck so groß, wenn es doch offensichtlich nicht um so viel Kriegsmaterial geht?", sagt Diggelmann.

    Ich sehe dies in einem weiteren Kontext: Da ist das Geld von Autokraten und Kleptokraten, das immer wieder in der Schweiz auftaucht. Und die schwierige Beziehung zur EU.

    Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht Universität Zürich

    "Ich würde sagen: Da ist viel Ungehaltenheit im Spiel, die mit der Neutralität kaum etwas zu tun hat", findet der Völkerrechtler.
    Der Ball liegt jetzt bei der Regierung. Sie muss entscheiden, was der Schweiz wichtiger ist: die Neutralität - oder das europäische Miteinander gegen Russland.
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