WM: Frankreich spielt pragmatsich - wie beim Titel 2018

    Titelträger erreicht Halbfinale:Frankreich: Effizienz statt Spektakel

    von Frank Hellmann
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    Nicht immer spektakulär, aber enorm effizient: Pragmatische Franzosen stehen als Titelverteidiger im Halbfinale. Die Parallelen zum Turnier in Russland sind auffällig.

    Fußball: Olivier Giroud und Raphael Varane.
    Mal wieder Grund zum Jubeln: Olivier Giroud und Raphael Varane.
    Quelle: Reuters

    Immer und immer wieder strich sich Olivier Giroud hinterher durch die sorgsam gescheitelte Frisur. Als wolle einer ganz sichergehen, ob der blondierte Absatz noch an der richtigen Stelle sitzt nach einem wuchtigen Kopfstoß, der die Grande Nation verzückt hat. Ausgerechnet der beim Titelgewinn 2018 gänzlich erfolglose Torjäger köpfelte Frankreich gegen England (2:1) mit seinem bereits vierten Turniertor (78.) ins WM-Halbfinale.
    "Vorher hatte ich eine Möglichkeit, die ich nicht genutzt hatte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl", sagte der 36-Jährige. Die Erlösung nach einem packenden Schlagabtausch im Al Bayt-Stadium entlud sich nach Schlusspfiff: Drei-, viermal nahmen Giroud und Kollegen kräftig Anlauf, um mit weiten Freudengesprüngen und geballten Fäusten dem Anhang zu danken.

    Erinnerungen an 2018

    Der Matchwinner aus dem Sturmzentrum fühlte sich sogleich an das WM-Halbfinale 2018 erinnert, als die Equipe Tricolore auch nicht als das bessere, aber ausgebufftere Team rüberkam.

    Es war wie damals gegen Belgien. Wir haben gezeigt, dass wir unsere Chancen nutzen, wenn es drauf ankommt.

    Olivier Giroud

    Der französische Pragmatismus, die enorme Effizienz, der besondere Spirit, aber auch das bisschen Spielglück weisen in Katar gerade frappierende Ähnlichkeit mit den in Russland ausgespielten Trümpfen auf. "Das erinnert mich an die Mentalität und die Hingabe von 2018. Diese Gruppe verdient es, wieder so weit zu kommen", sagte auch Giroud.

    Ausfälle sind keine Schwächung

    Der Angreifer hat seinen Stammplatz diesmal nur dem Ausfall von Karim Benzema zu verdanken. Genau wie die Absage von Paul Pogba sind die Absenzen zweier zu Eitelkeiten, Alleingängen und Überheblichkeiten neigenden Stars kein Nachteil. Im Gegenteil: Die Gruppe ist seitdem geschlossener. Der erst 22 Jahre Mittelfeldspieler Aurélien Tchouaméni, der Pogbas Position übernommen hat, traf aus knapp 26 Metern zum 1:0 (17.).

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    Am Ende stürmten alle noch spontan durch ein von Trainer, Betreuern und Helfern geformtes Spalier, ehe in der Kabine eine Delegation um Verbandspräsident Noël Le Graët sowie die 1998er-Weltmeister Lilian Thuram und Claude Makélélé wartete. "Es wurde gesungen und getanzt. Es ist wunderbar, diese Gefühle in der Umkleide zu sehen", erzählte Giroud.

    Deschamps warnt vor Marokko

    Blankes Entsetzen herrschte bei den Engländern, bei denen Harry Kane zwar einen ersten (54.), nicht aber einen zweiten Foulelfmeter nutzte (84.). Als sein Schuss weit über die Latte flog, grinste Kylian Mbappé breit, der ansonsten gegen den bestens organisierten Kontrahenten wenig zu lachen hatte.
    Auch deshalb warnte Nationaltrainer Didier Deschamps eindringlich davor, den Halbfinalgegner Marokko (Mittwoch 20 Uhr) zu unterschätzen. Gegen Nachbar Tunesien hat seine Auswahl ihre einzige Niederlage kassiert, Marokko gebührt noch mehr Respekt.
    "Sie haben einige der besten Teams der Welt geschlagen. Sie haben diese Siege nicht gestohlen, sie haben es verdient", betonte Deschamps. "Das kann ihnen niemand mehr nehmen."

    Nur ans nächste Spiel denken

    Seine Auswahl kann beim nächsten Spiel eigentlich nur verlieren. Deschamps fand es daher wenig angemessen, nach dem "harten Spiel" gegen England bereits gefragt zu werden, ob Frankreich nach Brasilien 1962 der erste Weltmeister werde, der seinen Titel verteidige. Vor dem Halbfinale wollte er darauf nicht eingehen, setzte aber ein Augenzwinkern hintendran.
    Schließlich sind die "Bleus" unter seiner Anleitung - anders als die in der Vorrunde gestrauchelten Weltmeister Italien 2010, Spanien 2014 und Deutschland 2018 - weit gekommen. Deschamps wird zur Belohnung bereits aus präsidialen Kreisen eine Vertragsverlängerung angeboten, aber damit wollte sich einer partout (noch) nicht beschäftigen. "Es ist schön, wenn der Präsident froh ist, was wir erreicht haben. Aber es sind einige andere Menschen auch froh. Ich bin der Trainer fürs Halbfinale, danach schauen wir weiter."

    Nachrichten | Politik
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