Betrug im Skispringen? Mit dem "Wingsuit" in die Gefahr

    Betrugsdebatte im Skispringen:Mit dem "Wingsuit" in die Gefahr

    von Lars Becker
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    Wird beim Skispringen in Sachen Material betrogen? Ein Skispringer erhob anonym schwere Vorwürfe, und auch die Nordischen Kombinierer wundern sich. Was jetzt passieren soll.

    Timi Zajc
    Skispringer Timi Zajc überstand in diesem Winter einen Sturz zum Glück ohne schwere Verletzungen.
    Quelle: AP

    Seitdem ein aktiver Skispringer anonym über den vermeintlichen Material-Betrug im Skispringen ausgepackt hat ("zur Zeit kann man die Anzugskontrollen nicht ernst nehmen"), ist die Flieger-Szene in Aufruhr. Und nicht nur die: Auch die Nordischen Kombinierer beobachten die Auswüchse mit Blick auf die Nordische Ski-WM in Planica bei den Spezialisten mit Staunen.
    Ein prominentes Mitglied des deutschen Kombinierer-Teams sagt gegenüber ZDFheute.

    Wir haben das gleiche Reglement und können nicht verstehen, was die Spezialisten für Riesenanzüge springen können. Die sind ja fast mit Wingsuits unterwegs.

    Deutscher Kombinierer zu ZDFheute

    Er fügt hinzu: "Das ist gefährlich." Seit dem Olympia-Skandal von Peking, als einige Springerinnen inklusive der deutschen Vorfliegerin Katharina Althaus im Mixed-Wettbewerb wegen ihres zu großen Anzugs disqualifiziert worden waren, seien die Flughilfen "noch viel größer geworden".

    Mehr Tragfläche, mehr Risiko für die Springer

    Jeder Zentimeter Anzug-Stoff mehr - besonders im Schritt - bedeuten mehr Tragfläche in der Luft und damit potenziell weitere Flüge. Die größeren Anzüge bewirken aber auch, dass sich in der Luft jeder Unterschied bei den Windbedingungen viel stärker auswirkt.
    Was das für fatale Folgen haben kann, war beim heftigen Sturz des Slowenen Timi Zajc beim Weltcup in Willingen zu sehen, der von einer starken Böe vom Hang weggetragen worden war. Nur mit großem Glück entging er bei seiner Bruchlandung einer schweren Verletzung.

    DSV-Bundestrainer: Mit den Regeln zu genau genommen

    Auch DSV-Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher gibt gegenüber ZDFheute zu, dass das immer effektivere Material die Gefahr beim Skispringen derzeit erhöht:

    Es wird immer schwieriger für die Jury die Wettbewerbe zu managen. Ein kleiner Hauch Wind macht einen Riesenunterschied.

    DSV-Bundestrainer Stefan Horngacher

    Zum Thema Anzug-Schummelei gibt der Cheftrainer der DSV-Adler zu Protokoll, dass die deutschen Skispringer es zumindest beim Weltcup-Auftakt im polnischen Wisla mit den "Regeln zu genau" genommen hätten. Damals flogen die Deutschen hinterher.
    Doch nach einer ebenfalls verpatzten Vierschanzentournee sind die deutschen Ski-Flieger pünktlich zur Nordischen Ski-WM in Planica wieder konkurrenzfähig. Neben einer deutlich verbesserten Sprungform von Andreas Wellinger und Co. dürfte dabei auch die Auslegung des Material-Reglements bis in die tiefsten Grauzonen eine Rolle spielen.

    Neue Messmethode sorgt für Kritik

    Das "Wettrüsten" in Sachen Material ist offenbar von einer neuen Messmethode der Springer-Körper vor dem Wettkampf ausgelöst worden. Wenn sich der Springer dabei in der liegenden Position maximal klein macht und im Sitzen maximal groß, lassen sich nach Insider-Informationen besonders im Schritt bis zu fünf Zentimeter beim Anzug gewinnen - eine Welt in der Formel 1 der Lüfte, in der Kleinigkeiten über Sieg und Niederlage entscheiden.
    Der im Frühjahr 2021 zurückgetretene langjährige Chefkontrolleur im Skisprung-Weltcup Sepp Gratzer hatte immer im Stehen gemessen, um die Manipulations-Möglichkeiten zu minimieren.
    "Die komplette Neuvermessung mit neuen Methoden war ein Fehler, es hat sich vor diesem Winter einfach generell zu viel beim Thema Material verändert", sagt Bundestrainer Horngacher. Dem neuen Skisprung-Materialkontrolleur Christian Kathol ist die Brisanz des Problems offenbar bewusst. Genau wie dem Internationalen Skiverband (FIS) selbst. "Die FIS will es angehen", verrät Horngacher:

    Wir müssen einen anderen Ansatz finden: Nicht ausgehend von der Körpergröße, sondern wie viel Fläche jeder Springer in der Luft aus Ski und Anzug hat.

    Stefan Horngacher

    Die internen Gespräche darüber sind weit fortgeschritten. Schon im nächsten Winter soll es Regel-Anpassungen geben. Und vielleicht beendet am Ende laut Horngacher sogar Hightech die Betrugs-Diskussion im Skispringen:

    Es könnte irgendwann einen Körper-Scanner geben, der grünes Licht für die Springer gibt.

    DSV-Bundestrainer Horngacher

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