Chile, Kolumbien, Mexiko: Der Kampf um die 40-Stunden-Woche

    Chile, Kolumbien, Mexiko:Der Kampf um die 40-Stunden-Woche

    von Tobias Käufer
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    Während in Deutschland über mehr Freizeit durch eine Vier-Tage-Woche diskutiert wird, geht es in Chile und Kolumbien um grundsätzliche soziale Fortschritte.

    Arbeiter gehen in Schutzanzügen und mit Masken durch die Anlage zur Herstellung von Lithiumkarbonat des chilenischen Unternehmens SQM.
    Für Chiles Arbeiter sinkt die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden.
    Quelle: dpa

    Als die historische Entscheidung durch die Abstimmung im Parlament Realität wurde, hatte Camila Vallejo Tränen in den Augen. Die Kommunistin und ehemalige Studentenführerin, inzwischen Sprecherin der chilenischen Links-Regierung um Präsident Gabriel Boric, war maßgeblich an der Projektentwicklung beteiligt, die Wochenarbeitszeit in der Andennation bei vollem Lohnausgleich von derzeit 45 auf nun gesetzlich vorgeschriebene 40 Stunden zu reduzieren.
    Mit dem neuen Gesetz solle vor allem das soziale Leben gestärkt werden, erläutert Vallejo:

    Dies ist ein Erfolg und eine sehr gute Nachricht für die gesamte chilenische Bevölkerung.

    Camila Vallejo, Sprecherin chilenische Regierung

    "Für die Arbeitnehmer, für diejenigen, die Kinder unter 12 Jahren betreuen, für die LKW-Fahrer, für diejenigen, die in der Luftfahrt, in der Landwirtschaft oder auf See arbeiten," fügt Vallejo hinzu.

    Sorge um Wettbewerbsfähigkeit der chilenischen Wirtschaft

    In Chile werden rund 4,7 Millionen berufstätige Menschen von der neuen Regelung profitieren. Sie können sich über einen Lohnzuwachs von 12,5 Prozent freuen.
    Ex-Finanzminister Rodrigo Valdés sieht die Entwicklung dagegen kritisch: Priorität müsse haben, dass die chilenische Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität steigere.

    Soziale Gründe für Arbeitsverkürzung in Lateinamerika

    Während in Lateinamerika vor allem gesellschaftliche Begründungen im Vordergrund stehen, wie zum Beispiel die Möglichkeit für alleinerziehende Elternteile, mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, steht in Deutschland der Wunsch nach mehr Freizeit im Vordergrund. Die Realitäten in unterschiedlichen Ländern gehen weit auseinander.
    Chile nähert sich mit dem neuen Gesetz nun den gesetzlichen Vorgaben in Europa an, während in Deutschland, auch in Anbetracht des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels, eine Diskussion über eine Vier-Tage-Woche ausgebrochen ist.
    Zwei Handwerksberufe gegenübergestellt in deren Betrieb mittlerweile die 4-Tage-Woche eingeführt ist.
    Einige Handwerksfirmen haben die 4-Tage-Woche bereits eingeführt: Stundenzahl und Bezahlung bleiben gleich, aber die Arbeitszeit ist auf vier statt fünf Tage verteilt. Betriebe wollen so mehr Fachkräfte anwerben.31.01.2023 | 2:01 min

    Deutschland: Freizeit für Berufseinsteiger wichtiger als Lohn

    Einer Umfrage des Versicherungskonzerns HDI zufolge, würden mehr als drei Viertel aller Berufstätigen hierzulande der Einführung einer Vier-Tage-Woche positiv gegenüberstehen.
    Ein Teil sei im Gegenzug auch zu Lohnverzicht bereit, sagt Dr. Christopher Lohmann von HDI Deutschland. Erfahrungen aus der Corona-Pandemie hätten diese Einstellungen stark befördert.

    Besonders junge Berufstätige in Deutschland streben den Ergebnissen unserer Studie zufolge vehement nach mehr Freiräumen im Beruf.

    Christopher Lohmann, HDI Deutschland

    "Sie wollen mitbestimmen, wo, wann und wie lange sie arbeiten", so Lohmann weiter.
    ZDFzoom - Grauzone - Folge 5 Mehr Life, weniger Work - können wir uns das leisten?
    Noch nie waren so viele Stellen unbesetzt: an Flughäfen, in der Gastronomie, im Krankenhaus – erst recht seit Corona. Bis 2035 könnten fünf Millionen Erwerbstätige fehlen.13.12.2022 | 28:36 min

    In Kolumbien und Mexiko gilt noch die 48-Stunden-Woche

    Der Graben zwischen den reichen Ländern in Europa und zum Beispiel Lateinamerika ist nicht nur in der Entlohnung, sondern auch in der Frage der Arbeitszeit besonders groß.
    Laut "La Republica" belegt Kolumbien zusammen mit Mexiko mit 48 geregelten Arbeitsstunden den ersten Platz unter den Ländern mit der längsten Wochenarbeitszeit in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), gefolgt von Chile an dritter Stelle.
    In europäischen Staaten liegen die regulären Wochenarbeitszeiten unter denen in Chile, Kolumbien und Mexiko:
    Durchschnittliche Wochenarbeitszeit
    ZDFheute Infografik
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    Durch Proteste zu Änderungen bei der Wochenarbeitszeit

    In Kolumbien wird das nun geändert. Ab Mitte Juli dieses Jahres werden alle Arbeitnehmer eine Stunde weniger pro Woche arbeiten. Diese Verkürzung ist eine Konsequenz aus einer Gesetzesinitiative der damaligen konservativen Regierung von Präsident Ivan Duque aus dem Jahr 2021.
    Sie legt fest, dass der kolumbianische Arbeitstag schrittweise von 48 auf 42 Stunden bis ins Jahr 2026 reduziert wird; bei vollem Lohnausgleich. Die schrittweise Reduzierung soll mithelfen, einen sanften Übergang für die kolumbianische Wirtschaft zu ermöglichen. Das Gesetz war eine Reaktion auf die Sozialproteste, die das südamerikanische Land im Jahr 2021 erschütterte.
    In Kolumbien wie in Chile führte der gesellschaftliche Ruf nach sozialen Verbesserungen letztendlich auch zu politischen Machtwechseln. In Chile regiert mit Gabriel Boric, in Kolumbien mit Gustavo Petro seit 2022 ein linker Regierungschef.

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