DIW-Chef Fratzscher: Wirtschaftliche Lage ist "sehr ernst"

    Interview

    Fratzscher über Wirtschaftslage:"Für viele Menschen ist es dramatisch"

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    Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Rezession, die für viele Menschen "dramatisch ist", sagt DIW-Chef Fratzscher. Die wirtschaftliche Lage sei "sehr ernst".

    SGS zwischen Wehrmann und DIW-Chef Fratzscher am 25.05.2023
    DIW-Präsident Fratzscher zufolge ist die Lage für viele sehr ernst: Niedrige Kaufkraft, steigende Preise. Die Rezession schätzt er bei weitem nicht so schlimm ein, wie befürchtet.26.05.2023 | 3:16 min
    ZDF: Zwei Quartale in Folge im Minus - da sprechen Sie und Ihre Kollegen von einer Rezession. Wie ernst ist die Lage?
    Marcel Fratzscher: Sie ist einerseits nicht so schlimm, wie noch vor einem halben Jahr befürchtet. Wir haben letzten Sommer gerechnet, dass wir nach einem russischen Lieferstopp von Gas Minus vier, Minus fünf Prozent an Rezession haben könnten. Jetzt reden wir von Minus 0,3 Prozent im Januar, also es ist bei weitem nicht so schlimm gekommen.

    Aber für viele Menschen ist es dramatisch.

    DIW-Präsident Marcel Fratzscher

    Denn: Viele Menschen haben deutlich geringere Lohnsteigerungen gehabt als die Inflation war, viele haben Reallohnverluste von drei oder vier Prozent gehabt. Und das erklärt, wieso die wirtschaftliche Lage sehr ernst ist.
    Wir sehen einen Rückgang des privaten Konsums, weil eben viele Menschen ihren Konsum deutlich einschränken müssen.
    Zu sehen sind Fertiggerichte in einem Supermarktregal.
    Unter anderem weil weniger gekauft wird, befindet sich Deutschland erstmals seit Corona-Beginn offiziell in einer Rezession. Die Wirtschaft schrumpfte das zweite Quartal in Folge.25.05.2023 | 2:08 min
    ZDF: Die hohe Inflation wird mit einer Erhöhung der Zinsen bekämpft, etwa von der EZB, aber dadurch wird die derzeit lahmende Nachfrage ja auch nicht gerade angekurbelt?
    Fratzscher: Nein und genau das ist das Dilemma. Die EZB kann eigentlich an der hohen Inflation, die über die Energiepreise importiert wird, erst einmal kurzfristig wenig ändern. Das wird sich erst im kommenden Jahr, also 2024, wirklich dauerhaft und merklich auf die Inflation auswirken.
    Und bis dahin werden die höheren Zinsen die Investitionen der Unternehmen bremsen und damit letztlich auch die Wirtschaft abschwächen.

    Also wenig Wachstum, aber trotzdem hohe Inflation. Das ist eine Realität, die wir auch in diesem Jahr jetzt nochmals erleben werden.

    DIW-Präsident Marcel Fratzscher

    DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Archivbild
    Quelle: Daniel Naupold/dpa

    ... Jahrgang 1971, ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt als Autor regelmäßig zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen.

    Er ist unter anderem auch Mitglied des High-level Advisory Board der Vereinten Nationen zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs), Mitherausgeber des Journal of International Economics, Mitglied des Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums und Mitglied des Kuratoriums der Hertie School of Governance. Seine inhaltliche Arbeit fokussiert sich auf Themen der Makroökonomie, Verteilung und Integration Europas.

    ZDF: Sie haben von einer "unsozialen Rezession" gesprochen - mit Blick auf die Spreizung von Lohnentwicklung und Teuerungsrate. Manche Menschen sind sehr hart betroffen. Was könnte oder sollte die Bundesregierung tun, um diesen Menschen zu helfen?
    Fratzscher: Die Bundesregierung hat im letzten Jahr viel Geld ausgeschüttet, aber nicht sehr zielgenau - sondern eher per Gießkanne. Wichtig ist, dass die Bundesregierung den Menschen hilft, Menschen mit geringen Einkommen, auch Rentnern und Rentnerinnen, die Hilfe benötigen. Das könnte über direkte Transferzahlung geschehen oder einen höheren Mindestlohn. Auch das ist ein wichtiges Element, um eben dauerhaft Menschen gegen höhere Preisen zu schützen.
    Und es ist dringend. Denn wie gesagt, auch in diesem Jahr rechnen wir mit einer Inflation von sechs Prozent.

    Auch über die kommenden zwölf Monate werden viele Menschen mit geringen Einkommen den Gürtel eher noch mal enger schnallen müssen.

    DIW-Präsident Marcel Fratzscher

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    ZDF: Wann werden die Menschen wieder spürbar mehr Geld in den Taschen haben?
    Fratzscher: Ich befürchte, dass wir eine schwache wirtschaftliche Erholung haben. Auch im kommenden Jahr rechnen wir nur mit einem Prozent Wirtschaftswachstum. Und wenn man sich die Löhne anschaut, wird es auch für viele Menschen, gerade mit geringen Einkommen, bedeuten, dass man wahrscheinlich erst in vier bis fünf Jahren von der Kaufkraft der Löhne und Einkommen wieder da sein wird, wo man vor der Krise war.
    Also es ist eine lange Phase von Wohlstandsverlust, gerade für Menschen mit wenig Einkommen. Das ist eine Realität, auf die wir uns in den kommenden Jahren einrichten müssen.
    Die Fragen stellte Christopher Wehrmann im ZDF heute journal update

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