Orban und die EU: Ungarns "patriotische" Wirtschaftspolitik

    Budapest und die EU:Ungarns "patriotische" Wirtschaftspolitik

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert
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    Das EU-Mitglied Ungarn pflegt eine "patriotische" Wirtschaftspolitik, die dem Geist der EU kaum entspricht. Und ausländischen Unternehmern die Lust am Business verdirbt.

    The 2022 Conservative Political Action Conference (CPAC) is held in Dallas
    Ungarn gilt in der EU oft als Abweichler. Zum Beispiel in der Migrationspolitik. China will sich Ungarns Sonderrolle zunutze mache und seinen Einfluss in Europa ausbauen.26.07.2023 | 6:27 min
    Es klingt ein bisschen wie ein Mafia-Film: Erst wird das Geschäft durch "Umstände" unprofitabel gemacht, dann folgt ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. So fühlen sich ausländische Unternehmer in Ungarn dieser Tage. Doch nicht die Cosa Nostra bedrängt sie, sondern der ungarische Staat.

    Wirtschaftlicher Druck durch Notstandsdekrete

    Zum Beispiel die Zementindustrie: Es gibt drei große Werke in Ungarn. Alle gehören ausländischen Eignern. Seit der Corona-Zeit wird in Ungarn immer wieder der Notstand verhängt, inzwischen wegen des Kriegs in der Ukraine.
    Mit Notstandsdekreten werden der Zementindustrie immer höhere Sondersteuern auferlegt. Inzwischen machen die Werke Minus. Und siehe da: Aus dem Nichts erfolgt ein Angebot eines ungarischen Interessenten.
    Orban
    Ministerpräsident Viktor Orbán regiert Ungarn seit Jahren fast im Alleingang. ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert und ZDF-Korrespondent Wolf-Christian Ulrich treffen Unterstützer und Gegner des Ministerpräsidenten und des Oppositionskandidaten Márki-Zay.31.03.2022 | 43:13 min

    Experte: Ungarische Regierung macht Industrien "Leben schwer"

    Philipp Haußmann vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft ist der Einzige, der offen darüber spricht. Er betont, es gebe mehrere Branchen, die solche Erfahrungen machen:

    Das geht dann immer so, dass die ungarische Regierung diesen Industrien das Leben schwer macht und gleichzeitig kommen aus dem Umfeld der Regierung Konsortien, an deren Spitze landesbekannte Oligarchen stehen, die diesen Firmen Angebote machen zur Übernahme.

    Philipp Haußmann, Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft

    Die Immobilien- und die Baubranche sind in Ungarn stark konzentriert auf Eigner mit großer Nähe zu Viktor Orban: sein Freund aus Kindheitstagen Lörinc Meszaros zum Beispiel ist in Orbans Regierungszeit vor allem mit Bau zu einem der reichsten Männer Ungarns geworden.
    Jetzt vertieft sich der Einfluss der Orban-nahen Unternehmer: Vater Gyözö Orban hat vor einigen Jahren Anteile an einer Kiesgrube erworben. Die "Dolomit Kft." gehört zu den profitabelsten Baustofffirmen in Ungarn, auch dank staatlicher Aufträge. Und ihr Umsatz ist von der Größe, die eine Sondersteuer nicht erfasst.

    Orban will "strategische Branchen" in ungarischen Händen

    Es ist Orbans erklärtes politisches Ziel, die "strategischen Branchen" in ungarische Hände zu bekommen - und meist stehen die neuen Eigner Orban nahe. Was strategisch ist, definiert Viktor Orban. Seit seinem Regierungsantritt 2010 arbeitet er an dem Ziel, so legte er schon im Februar 2022 vor der heimischen Industrie- und Handelskammer dar:
    "14.000 ausländische Firmen sind heute in Ungarn tätig. Wenn ich aufgrund der Einnahmen rechne, dann gab es zwischen 2010 und 2020 eine spektakuläre Verbesserung des ungarischen Anteils in der Energie, auf dem Banksektor und in den Medien", so Orban.

    Aber der ungarische Anteil ist in einigen anderen Sektoren nicht gestiegen, es gibt Sektoren, da stehen wir nicht gut da. So einer ist der Versicherungssektor, der Fernmeldebereich, die Firmen der Baumaterialindustrie. Jetzt versuchen wir, hieran etwas zu ändern.

    Viktor Orban, ungarischer Ministerpräsident

    Die Baumaterialindustrie ist entsetzt. "Das ist wie früher im Kommunismus. Nur jetzt mit dem konservativen Mäntelchen darum", sagt einer. "Der europäische Binnenmarkt wird in Ungarn leider gerade zu Grabe getragen", sagt ein Kenner der Einzelhandelsbranche. Mit Namen will sich aber keiner so zitiert wissen. Man will es wohl nicht noch schlimmer machen.

    Wie Gesetzestexte in Ungarn gestaltet werden

    Es sind geschickte Juristen da in Budapest, erkennt man zähneknirschend an: Sie gestalten die Steuern so, dass es nur ausländische Firmen trifft, ohne dass es im Gesetzestext so steht.
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    Der Einzelhandel ist zum Beispiel in Ungarn zu rund 70 Prozent in ausländischer Hand: Lidl, Spar, Tesco, Aldi, Penny, Auchan sind die Umsatzriesen. Ein Notstandsdekret verfügt: Oberhalb eines bestimmten Umsatzes trifft den Einzelhandel eine Sondersteuer von über vier Prozent, das frisst praktisch die Profitmarge.
    Das Prinzip sei rechtens, urteilte sogar schon mal der EuGH, denn die Steuergestaltung sei Sache des Mitgliedsstaates. Dass es nur Ausländer trifft, ist in diesem Zusammenhang rechtlich nicht relevant.
    Trotzdem hat die EU angemahnt, die Sondersteuern mindestens zu senken oder auslaufen zu lassen. Das ist eine der vielen Bedingungen, die erfüllt werden müssen, um 27 Milliarden Euro an Fördergeldern zu bekommen, die eingefroren wurden wegen ungarischer Mängel an Demokratie und Recht.
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    Ungarische Regierung reagiert nicht auf EU-Mahnung

    Doch die ungarische Regierung reagiert nicht. Reagiert haben nur ungarische Oligarchen: In der Einzelhandelsbranche hat es mehrere Übernahmeangebote gegeben. Die Kette Auchan tritt nun wohl einen beträchtlichen Anteil ab. An Firmen mit Teilhabern, die Orban nahestehen.
    Medien, Telekommunikation, Bau, Banken, der Budapester Flughafen, Einzelhandel, Baustoffindustrie - die Liste der "strategischen Branchen" in Ungarn wird immer länger. Und das Investitionsklima immer schlechter: Kein Land in Osteuropa hat sich so schnell einen guten Ruf ruiniert, heißt es beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft.

    Die letzten Umfrage-Barometer der ungarischen Außenhandelskammer zeigen, dass die Zufriedenheit der deutschen Investoren in Ungarn deutlich abnimmt.

    Philipp Haußmann, Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft

    Zwar sind noch die wichtigsten deutschen Investoren, insbesondere in der Auto-Industrie, sehr zufrieden. Trotzdem mahnt Philipp Haußmann: "Die Investitionssicherheit ist gefährdet, und so ist die EU-Kommission aufgerufen, zu handeln." Für seinen Geschmack, so hat man den Eindruck, mahlen aber die Mühlen in Brüssel ein wenig zu langsam.

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    von Britta Hilpert
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