Gefahr für Fische in Oder: "Alge ist jetzt schon im System"

    Interview

    Gefahr für Fische in Oder:"Die Alge ist jetzt schon im System"

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    Nach der Katastrophe 2022 bräuchten die Fische in der Oder eine Erholungsphase. Doch die Salzkonzentrationen sind erhöht und das Wasser ist zu warm. Und noch etwas ist anders.

    Tote FIsche an der Oder
    Nach der Katastrophe im letzten Jahr droht auch in diesem Sommer ein Fischsterben in der Oder. Wir sprechen mit Gewässerökologe Martin Pusch.26.06.2023 | 4:35 min
    Im Sommer 2022 sorgte eine anthropogen erzeugte Verschlechterung des chemischen Zustands der Oder für eine Umweltkatastrophe. Ungefähr 400 Tonnen Fisch und Weichtiere verendeten. Die Oder befindet sich seit dieser Katastrophe in einer Erholungsphase. Doch wissenschaftliche Analysen zeigen, dass diese Erholung unterbrochen werden und ein erneutes Massensterben bevorstehen könnte.
    Der Salzgehalt in der Oder ist in diesem Jahr erneut besorgniserregend hoch, was schon jetzt ein verstärktes Wachstum der toxischen Mikroalge Prymnesium parvum verursacht. Eine überproportionale Vermehrung dieser Giftalge sorgte vergangen Sommer für das massenhafte Sterben von Fischen und Mollusken.
    Toter Fisch an der Oder
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    Martin Pusch vom Leibnizinstitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei blickt vor allem besorgt auf die polnischen Teile des Oder-Einzugsgebiets. Er leitet das Oder-Sonderuntersuchungsprogramm und analysiert die aktuellen Entwicklungen des chemischen Zustands der Oder.
    ZDFheute: Die Alge ist noch nicht gewachsen, aber die Bedingungen dafür sind schon da. Was ist denn anders als letzten Sommer?
    Martin Pusch: Die Alge ist jetzt schon im System drin. Während sie sich im letzten Sommer aus einem Rückhaltebecken entwickeln konnte und dann die Oder massenhaft besiedelt hat, ist sie jetzt schon im gesamten Oder-System verblieben. Aus der Massenentwicklung haben sich Dauerstadien festgesetzt, die überall in den Ufern und Auengewässern vorhanden sind, sodass wir auch heute etwa 500 Zellen pro Milliliter Oderwasser dieser giftigen Alge haben. In dieser Dichte noch nicht giftig.

    Wenn sie zu einer Massenentwicklung ansetzt, das heißt, wenn sich die Zellzahl noch mal vertausendfacht, würden wieder Fische und Mollusken, also Weichtiere, sterben.

    Dr. Martin Pusch, Leibnizinstitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei

    ZDFheute: Das heißt, das könnte jetzt unter Umständen recht schnell gehen. Wenn man an die Ursachen herangeht: Greenpeace hat im März einen Bericht herausgegeben und gesagt, es sind verschiedene Bergbauunternehmen, die zu salzhaltiges Wasser in die Flüsse einleiten. Ist denn an der Stelle irgendwas passiert?
    Pusch: Nach unseren Informationen nicht. Woran es auf offizieller Ebene mangelt, ist eine Bestandsaufnahme der Einleitung in das Odersystem. Und dass man sich auch auf offizieller Ebene über Möglichkeiten der Reduzierung unterhält. Was wir jetzt bisher vorliegen haben, sind Recherchen, die Umweltorganisationen oder andere Bürger angestellt haben.
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    ZDFheute: Wenn man sich die Zahlen anschaut, die Sie ermittelt haben - stellenweise 99 Prozent der Individuen gestorben, teilweise zwei Drittel: Hätte denn der Fischbestand überhaupt eine Chance sich zu erholen?
    Pusch: Fische sind grundsätzlich in Flüssen auf natürliche Störungen eingerichtet. Wenn es mal ein Hochwasser oder ein natürliches Niedrigwasser gibt, dann können sich Fische, wenn in den Jahren danach wieder günstige Bedingungen sind, schnell erholen. Genauso ist es in der Oder.

    Wenn die Oder ungestört bliebe - wenn die Einleitungen reduziert würden -, würde sich der Fischbestand in wenigen Jahren wieder auf die ursprüngliche Höhe erholen.

    Dr. Martin Pusch, Leibnizinstitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei

    Aber wir befürchten, dass diese Erholungsphase wieder unterbrochen wird.
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    ZDFheute: Sie untersuchen auch die Ökosystemleistung von Flüssen. Wie ist es damit um die Oder bestellt?
    Pusch: Die Oder ist in großen Teilen erfreulicherweise noch ein frei fließender Fluss, wie etwa auch die Elbe in Deutschland und der Mittelrhein/Niederrhein, während viele andere Flüsse aufgestaut sind. Freifließende Flüsse haben grundsätzlich mehr Ökosystemleistungen als Aufgestaute, weil sie das Hochwasser in ihren Auen zurückhalten können. Es muss kein aufwendiger Hochwasserschutz passieren. Sie können Belastungen zum gewissen Umfang auch selbst reinigen, die filtrierenden Organismen können Algen ausfiltrieren, Schadstoffe werden mikrobiell abgebaut und sie bieten viele Möglichkeiten für die Erholung und die Fischerei.
    An vielen natürlichen Flüssen gibt es begleitende Radwege. Auch den Oder-Neiße-Radweg gibt es, der sehr stark frequentiert wird. Sodass der Fluss auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die entsprechende Region ist, gerade für strukturschwache ländliche Gebiete.
    Das Interview führte 3satNANO-Moderator Gregor Steinbrenner am 26.6.2023.

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