Para-Kugelstoßerin Birgit Kober peilt am Freitagabend in Berlin ihre sechste EM-Goldmedaille an, gern mit Weltrekordweite. Doch sportlicher Erfolg ist bei ihr viel mehr als eine Sammlung an Medaillen und Rekorden.
Sie versteht sich aufs Siegen. Birgit Kober ist schon drei Mal Paralympics-Siegerin, fünf Mal Europameisterin und vier Mal Weltmeisterin geworden. Mit der Kugel und mit dem Speer, ab 2011 zunächst im Rollstuhl, seit 2016 in der stehenden Klasse und nur noch mit der Kugel. Aber es sind nicht die Medaillen, die die 47-Jährige vom TSV 1860 München glücklich machen – sondern vor allem das Gefühl, das ihr der Sport gibt.
"Wenn ich stoße, merke ich meine Behinderung nicht", sagte die Pädagogin im Vorfeld der EM in Berlin, bei der sie am Freitag ihren sechsten Sieg feiern will. "Für mich ist das eine richtig schnelle Bewegung, auch wenn das natürlich für andere aufgrund der Behinderung wie Slow Motion aussieht." Nach ihrem Paralympics-Sieg 2016 in Rio formulierte sie es so: "Als ich trotz meiner Epilepsie im Olympiastadion stand und dann die Kugel stieß, da habe ich etwas von dem Menschen zurückbekommen, der ich früher einmal war."
Durch den Sport zurück ins Leben
Seit ihrer Jugend leidet die gebürtige Münchnerin an epileptischen Anfällen. 2007, mit Mitte 30, hatte Kober einen besonders lang anhaltenden Anfall und wurde im Krankenhaus mit einer zu hohen Medikamentendosis behandelt. Seither leidet sie an einer Ataxie, einer Störung der Bewegungskoordination, und ist größtenteils auf den Rollstuhl angewiesen. Allerdings brachten ihr das Training in der Para-Leichtathletik nicht nur einen Medaillensegen, sondern auch genug Stabilität, um wieder stehen und kurze Strecken gehen zu können.
So entschied sie sich Anfang 2016 zu einem Wechsel der Startklasse. Eine Regeländerung schrieb damals vor, dass Athleten im Rollstuhl künftig so festgeschnallt sein müssen, dass sie keine Kraft mehr aus den Beinen generieren können. Kober stieß künftig stehend in der Startklasse F36 und kassierte Kritik. Es hieß: Wenn sie doch stehen könne, wieso sei sie dann vorher im Rollstuhl angetreten? "Ich sitze seit 2007 im Rollstuhl, 2009 hatte ich meinen ersten Wettkampf. Damals war nicht an Stehen zu denken. Erst fünf Jahre später, also nach London 2012, habe ich meine ersten freien Schritte gemacht", sagt Kober. Dass sie wieder laufen könne, verdanke sie ihrem Trainer.
Nach jedem Sturz wieder aufgestanden
Nachdem sie entschieden hatte, die Startklasse zu wechseln, sei sehr, sehr viel harte Arbeit nötig gewesen. Ausgestattet mit Knieschonern und Helm übte sie das stehende Stoßen. "Heute sieht das vielleicht leicht aus, aber ich zähle auch nicht mehr, wie oft ich gestürzt und wieder aufgestanden bin", sagt Kober. Eine Heilung sei die enorme Verbesserung ihrer Stabilität aber nicht. Und nach sechs stehenden Stößen sei sie völlig erledigt. "Ich strotze nicht vor Kraft, wie viele meinen, ich bin damit echt am Limit. Und Sprinterin werde ich auch nicht mehr."
Ihre Erfolgsserie konnte Kober jedoch fortsetzen. Nach zwei Goldmedaillen im Rollstuhl (Kugel und Speer) 2012 in London gewann sie 2016 in Rio stehend Kugelstoß-Gold. Und sie hält den Weltrekord in der Startklasse F36, bei den Deutschen Meisterschaften in diesem Jahr hat sie ihn um weitere vier Zentimeter nach oben geschraubt: 11,56 Meter. Kober hält allerdings auch zwölf Meter für möglich. Und sieht sich selbst längst nicht am Ende ihrer sportlichen Karriere angelangt. In ihrem Profil beim Deutschen Behindertensportverband (DBS) sind die Paralympics 2020 in Tokio als Ziel angegeben. Es wären ihre dritten Spiele. Eine weitere Möglichkeit, Medaillen zu sammeln – und Glücksgefühle.