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Wie Polens Justizreform den Rechtsstaat demontiert

Hintergründe zur heute-show vom 29.10.2021

Wie Polens Justizreform den Rechtsstaat demontiert
Der Streit zwischen Polen und der EU eskaliert gerade
Quelle: ZDF/Getty

Der Streit zwischen Polen und der EU eskaliert gerade: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in dieser Woche ein hohes Bußgeld von einer Millionen Euro pro Tag verhängt. Warum? Die Strafe sei nötig, «um gravierenden und irreparablen Schaden von der Rechtsordnung der Europäischen Union und von den Werten abzuwenden, auf denen die Union gegründet wurde, insbesondere jene der Rechtsstaatlichkeit». Der EuGH folgte damit einer Forderung der EU-Kommission nach Finanzsanktionen gegen Polen. Es sollten so lange Bußgelder verhängt werden, bis das Land die Arbeitsweise seines Obersten Gerichts verbessere und neue Gesetze aussetze, die die Unabhängigkeit der Justiz untergrüben, hieß es in dem Antrag vom September. Der ZDF Korrespondent in Brüssel berichtet, dass es innerhalb der EU viele positive Reaktionen gegeben habe, die polnische Seite dagegen von „Erpressung“ spricht.

Dabei steht die Rechtsstaatlichkeit eindeutig festgeschrieben in Artikel zwei des EU-Vertrags, den Polen so unterschrieben hat: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“

Die seit 2015 regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist schon seit Jahren dabei, einen quasi-autoritären Staat in Polen aufzubauen. Der Europäische Gerichtshof sieht darin einen Verstoß gegen EU-Recht. Seit dem Antritt der PiS hat das Parlament etwa im Rahmen einer Justizreform mehrere Gesetze zur Einflussnahme auf die Justiz verabschiedet. Der polnische Verfassungsrechtler Tomasz Tadeusz Koncewicz beschreibt das resigniert: „Natürlich gibt es einzelne Richter, die noch den Mut haben, sich gegen diese Regierung zu stellen. Aber institutionell gesehen sind sie Teil einer Justiz, die von der Regierung gekapert wurde. Das Recht spielt keine einhegende Rolle mehr, um die politische Mehrheit zu kontrollieren, sondern wird gewaltsam verbogen, um sich der Tagespolitik anzupassen.“

Der ARD-Weltspiegel berichtete vor kurzem über den polnischen regierungskritischen Richter Igor Tuleya. Der hatte er sich in der Vergangenheit nicht davor gescheut, die Regelwidrigkeiten im Umfeld der PiS-Regierung anzusprechen – und muss dafür jetzt büßen.

Nicht alle Umbauschritte in der Justiz gelangen der PiS reibungslos. So gab und gibt es massiven Protest, sowohl in Polen als auch europaweit. Die polnische Richterschaft ging auf die Straße, die EU-Kommission drohte. Dabei ging es immer wieder um den Streit um die polnische Disziplinarkammer, die mit Billigung der PiS Richterinnen und Richter maßregeln kann. Viele polnische Richterinnen und Richter sehen in dem Gremium ein Werkzeug, um Kollegen zu Urteilen im Sinne der Regierung zu drängen.

Auch die Pressefreiheit im Land wird zunehmend beschnitten. Polen liegt beim Presseranking von Reporter ohne Grenzen mittlerweile auf Platz 64. Seit ihrem Amtsantritt Ende 2015 habe die Regierung in Polen den öffentlichen Rundfunk zielstrebig zu einem Sprachrohr ihrer Politik umgebaut. Die taz schreibt, das Instrumentarium der PiS gegen die Pressefreiheit sei klein, aber effektiv: Gesetzgebung, finanzieller Druck, Klagen. Alle drei Mittel könnten je nach Bedarf hintereinander, parallel oder auch gezielt gegen einzelne Zeitungen oder Sender eingesetzt werden. Vorbilder für Polens Nationalpopulisten seien Russland und Ungarn, wo die Regierungen Medien schon weitgehend unter Kontrolle gebracht hätten.

Könnte dieser Streit zum „Polexit“ führen, also dem Austritt Polens aus der EU? Zumindest die Bevölkerung will das größtenteils nicht. Laut einer aktuellen Umfrage sehen gut 88 Prozent der Polinnen und Polen die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU positiv, nur gut neun Prozent bewerten sie negativ.

Die Tagesschau berichtete jüngst über die immer schärfer werdende Rhetorik der polnischen Machthaber gegen sexuelle Minderheiten: Tatsächlich hatte der Präsident Polens, Andrzej Duda, im Kampf um seine letztlich erfolgreiche Wiederwahl 2020, auf einem Marktplatz eine aus früheren Wahlkämpfen bekannte Rhetorik der PiS-Partei aufgegriffen. Demnach handele es sich bei den Ideen der LGBT-Bewegung um gefährliches Gedankengut. Es sei geeignet, den Bestand von Familien und das Kindeswohl in Polen zu zersetzen. LGBT sei sogar noch destruktiver als seinerzeit der Bolschewismus, behauptete Duda.

Auch in Ungarn haben es Minderheiten wie Schwule und Lesben immer schwerer. So war Anfang Juli 2021 ein umstrittenes Gesetz zum Verbot von „Werbung“ für Homo- und Transsexualität in Kraft getreten. Bücher zu diesem Thema müssen in Ungarn nun mit dem Hinweis „Verboten für unter 18-Jährige“ versehen werden, Filme dürfen nicht mehr zu Hauptsendezeiten ausgestrahlt werden. Dies wurde scharf kritisiert, Orban will jetzt das Gesetz über ein Referendum in der Bevölkerung legitimieren. Der Weltspiegel berichtet in einer langen Reportage über den Werdegang Orbans und die Entwicklung Ungarns. Die Geschichte des Viktor Orban habe die EU mit ermöglicht. „Die Mitgliedschaft in der EVP brachte ihn prestigeträchtig an den Tisch der Großen. Die Subventionsmilliarden sichern seine Herrschaft zuhause. Und die EU-Verträge mit all ihren Veto-Möglichkeiten geben Orban Macht, in Brüssel vieles zu erzwingen – rausschmeißen aber kann ihn niemand.“

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