Sie sind hier:

Zerrissen bleibst du immer

Gastarbeiter zwischen Heimat und Zuhause

von Anabel Münstermann

Viele Gastarbeiter wollen als Rentner zurückkehren in ihre Heimat. Das jahrzehntelange Heimweh soll ein Ende haben. Aber Kinder und Freunde leben in Deutschland. Bleiben oder gehen?

Videolänge:
28 min
Datum:
10.01.2023
:
UT - AD - DGS
Verfügbarkeit:
Video verfügbar bis 10.01.2028

Für die Gastarbeiter der ersten Generation waren die Jahrzehnte in Deutschland immer eine Durchgangsphase. Ihre Kinder, die Gastarbeiter der zweiten Generation, sind dort aufgewachsen, haben Freunde und eigene Kinder. Ist dann ihr Herkunftsland noch ihre Heimat?

Der Start vor 50 Jahren war hart

Sara ist zurückgekehrt nach Sizilien, um sich um ihre Mutter Accursia zu kümmern. Jetzt hat sie Heimweh nach Deutschland.
Sara (l.) ist zurückgekehrt nach Sizilien, um sich um ihre Mutter Accursia (r.) zu kümmern. Jetzt hat sie Heimweh nach Deutschland.
Quelle: ZDF/Vita Spieß

Sarah (62) ist vor 50 Jahren ihren Eltern aus Sizilien ins badische Singen gefolgt. Die Anfänge in Deutschland waren schwer. Die Eltern arbeiteten rund um die Uhr, Sarah und ihre Geschwister waren auf sich gestellt. Weder die kalten Winter noch die fremde Sprache machten ihnen das Ankommen leicht.

Für Sarahs Eltern war immer klar: Sie verdienen in Deutschland Geld und leben im Alter dann wieder in "ihrem Dorf", im sizilianischen Ribera. Nach über 30 Jahren in der Fabrik, in denen sie neben der Schichtarbeit und ihren Kindern kaum Zeit für das Erlernen der deutschen Sprache und wenig Sinn für Integration hatte, folgte Sarahs Mutter Accursia ihrem Plan und verbringt ihr Alter nun in Sizilien. Deutschland, das war für sie eine Jahrzehnte währende Übergangsstation. Mehr nicht.

Perspektivwechsel in der zweiten Generation

Auch für Sarah schien es lange selbstverständlich, genau wie die Mutter – der Vater hatte bald nach der Ankunft in Deutschland eine neue Familie gegründet – Grund und Boden in Italien zu kaufen, um später dort zu leben. Doch sowohl für Sarah als auch für ihren Bruder Franco änderte sich mit der Zeit die Perspektive. Ihre Kinder sind in Deutschland geboren, dort verwurzelt. Für sie, die dritte Generation, ist Italien nicht mehr "Heimat". Dort wären sie die Fremden, die mit deutschem Akzent Italienisch sprechen.

Von 14 Millionen Gastarbeitern, die im Rahmen des deutschen Anwerbeabkommens zwischen 1955 und 1970 nach Deutschland kamen, sind circa elf Millionen wieder zurückgekehrt. Lange folgten die Kinder der zweiten Generation dem Vorbild der Eltern, wohnten bescheiden zur Miete in Deutschland und steckten ihre Ersparnisse in die Immobilien in der Heimat.

Alte Heimat wird Urlaubsziel

Auch Sarahs Bruder Franco (56) hat lange so gelebt. Er ist Vater zweier Kinder, arbeitet als Hausmeister in einem Altenheim und ist seit Jahrzehnten ehrenamtlicher Fußballtrainer für jugendliche Migranten. "Wir haben in Sizilien ein Häuschen gekauft und dachten, die Kinder leben ihr Leben hier in Deutschland. Aber dann sind Enkelkinder gekommen, und jetzt glauben wir nicht mehr, dass wir noch nach Sizilien gehen."

Ribera, ein Urlaubsort, wo Accursia, die alte Mutter, jetzt lebt. Alle verstorbenen Verwandten liegen dort auf dem Friedhof in der Familiengruft. Einmal im Jahr, wenn alle in den Sommerfreien dorthin kommen, werden die Fensterläden der kleinen Stadthäuser geöffnet, herrscht wieder Leben in den Gassen.

Familienbande

5 Personen schauen untergehakt in die Kamera und lächeln, zwei Männer und drei Frauen mittleren Alters.
Eine sizilianische Großfamilie in Deutschland. Franco mir seiner Frau Tina und Schwester Sara mit ihrem Mann Vittorio und der Tochter Sabrina im deutschen Schrebergarten: Heimatgefühl.
Quelle: ZDF

Auch Sarah kennt dieses Gefühl, dass man dort sein möchte, wo die Enkel aufwachsen, dass man bei seiner Familie zu Hause ist. Aber sie folgte ihrem Verantwortungsgefühl für die alleinlebende Mutter, die inzwischen über 80 ist und keines der Kinder in der Nähe hat. Sie lässt die eigenen Kinder, den Lebenspartner und die Enkel zurück und baut sich ein neues Leben im Dorf ihrer Kindheit auf. Die Mutter, ein paar Bekannte, die Sonne und das Meer trösten nur scheinbar über ein nur allzu bekanntes Gefühl hinweg. Sarah hat Heimweh. Diesmal aber in die andere Richtung; es ist Heimweh nach Deutschland, nach ihrer Familie, nach ihrem Schrebergarten und der bescheidenen Mietwohnung am Stadtrand von Singen.

Mehrmals täglich telefoniert sie mit ihren Lieben über Facetime. Solang die Mutter lebt, will sie in Sizilien bleiben. Für Franco ist die pflichtbewusste ältere Schwester ein Segen. Als er Großvater geworden ist, hat er sich entschieden, in Deutschland zu bleiben. Da, wo seine Familie lebt, ist seine Heimat, basta.

Wäre da nicht die alte Mutter im weit entfernten Sizilien, wäre er mit sich im Reinen. So bleibt auch für Franco das Gefühl, zerrissen zu sein zwischen dem Leben hier und den Familienbanden dort; etwas zieht ihn immer zurück in das Land, das seine Heimat war.

Die sogenannten „Gastarbeiter“

Autorin Anabel Münstermann über ihren Film

Zur Merkliste hinzugefügt Merken beendet Bewertet! Bewertung entfernt Zur Merkliste hinzugefügt Merken beendet Embed-Code kopieren HTML-Code zum Einbetten des Videos in der Zwischenablage gespeichert.
Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen des ZDF.

Sie haben sich mit diesem Gerät ausgeloggt.

Sie haben sich von einem anderen Gerät aus ausgeloggt, Sie werden automatisch ausgeloggt.

Ihr Account wurde gelöscht, Sie werden automatisch ausgeloggt.

Um Sendungen mit einer Altersbeschränkung zu jeder Tageszeit anzuschauen, kannst du jetzt eine Altersprüfung durchführen. Dafür benötigst du dein Ausweisdokument.

Zur Altersprüfung

Du bist dabei, den Kinderbereich zu verlassen. Möchtest du das wirklich?

Wenn du den Kinderbereich verlässt, bewegst du dich mit dem Profil deiner Eltern in der ZDFmediathek.

Du wechselst in den Kinderbereich und bewegst dich mit deinem Kinderprofil weiter.

An dieser Stelle würden wir dir gerne die Datenschutzeinstellungen anzeigen. Entweder hast du einen Ad-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiviert, welcher dies verhindert, oder deine Internetverbindung ist derzeit gestört. Falls du die Datenschutzeinstellungen sehen und bearbeiten möchtest, prüfe, ob ein Ad-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiv ist und schalte es aus. So lange werden die standardmäßigen Einstellungen bei der Nutzung der ZDFmediathek verwendet. Dies bedeutet, das die Kategorien "Erforderlich" und "Erforderliche Erfolgsmessung" zugelassen sind. Weitere Details erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.

An dieser Stelle würden wir dir gerne die Datenschutzeinstellungen anzeigen. Möglicherweise hast du einen Ad/Script/CSS/Cookiebanner-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiviert, welcher dies verhindert. Falls du die Webseite ohne Einschränkungen nutzen möchtest, prüfe, ob ein Plugin oder ähnliches in deinem Browser aktiv ist und schalte es aus.