„Heute, am 23. Mai, beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes“, so lauteten die ersten Worte der Ansprache Konrad Adenauers zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949. Nur vier Jahre nach der Bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches wurde das Bonner Grundgesetz unterzeichnet. Die Staatsgeburt war auch von Skepsis begleitet. Würde Bonn wie Weimar werden? Als das Grundgesetz verkündet wurde, war von einem Provisorium die Rede, denn das Land blieb geteilt, die Wiedervereinigung als Staatsziel lag in unabsehbar weiter Ferne.
Vom Provisorium zum geeinten Deutschland
Damals litten in Deutschland und Europa immer noch Millionen Menschen unter den Folgen des Krieges und der Verbrechen, die von Deutschen verübt worden waren. Noch immer ragten Trümmer aus vielen Städten, die Wirtschaft kam erst allmählich in Gang. Doch dann nahm das Provisorium Formen an, der Aufstieg aus den Ruinen des Weltkriegs zum so genannten „Wirtschaftswunderland“ erfolgte in einem rasanten Tempo. Mit zunehmendem Wohlstand wuchs in Westdeutschland auch die Stabilität der Demokratie und ihre Akzeptanz.
Vierzig Jahre DDR bleiben als sozialistisches Gegenbild zur freiheitlichen Republik im Westen in Erinnerung. Wechselseitig haben beide deutsche Staaten aufeinander eingewirkt, eine gemeinsame und geteilte Geschichte geprägt.
Nachdem die DDR-Bürger 1989 die trennende Mauer durch eine friedliche Revolution überwunden hatten, gelang es wenig später, die Spaltung Deutschlands und Europas zu beenden.
Wachsende Herausforderungen
Standen bei früheren Jahrestagen eher Fragen zur inneren Vereinigung der Deutschen im Vordergrund, sind es heute zunächst vielschichtige globale Themen: Der Klimawandel, die Flüchtlingsfrage, instabile internationale Finanzmärkte, Spaltungstendenzen der EU und transatlantische Irritationen. Deutschland gilt als ökonomisches und politisches Schwergewicht, was unterschiedlich wahrgenommen wird: Einige Partner fürchten eine deutsche Dominanz, andere fordern ein, die Macht in der Mitte Europas solle mehr Verantwortung übernehmen – bei der Sicherung des Friedens, bei der Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte.
Doch auch innenpolitisch wachsen die Herausforderungen: Sieben Jahrzehnte nach Gründung der Bundesrepublik sehen manche Beobachter zumindest Anzeichen, die an „Weimarer Verhältnisse" erinnern. Der Stimmenverlust traditioneller Volksparteien, der Rechtsruck im Parteienspektrum, schwierige Regierungsbildungen, die Polarisierung politischer Lager in Krisenzeiten sowie „völkische“ und nationalistische Rhetorik, die den bisherigen Wertekonsens in Frage stellen. Wieweit dies wirklich die Stabilität der Demokratie gefährdet, ist offen. Dies zählt nach 70 Jahren ebenso zur Bilanz wie die Feststellung, dass die zurückliegenden Dekaden wohl insgesamt die friedlichsten und freiheitlichsten der deutschen Geschichte waren.