Benedikt XVI. ist tot: Ein Leben für Theologie und Kirche

    Benedikt XVI. ist tot:Ratzinger: Ein Leben für Theologie und Kirche

    Jürgen Erbacher
    von Jürgen Erbacher
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    Benedikt XVI. hat mit seinem Rücktritt vom Papstamt 2013 Geschichte geschrieben. Sein Versuch, das katholische Profil der Kirche zu schärfen, brachte ihm zeitlebens Kritik ein.

    Der kurz zuvor emeritierte Papst Benedikt XVI. im Jahr 2015 (Archivbild)
    Papst Benedikt XVI. kurz nach seiner Emeritierung im Jahr 2015 (Archivbild)
    Quelle: AP

    Wohl kaum ein Kirchenmann hat so viel Einfluss auf die Geschicke der katholischen Kirche in den vergangenen knapp 100 Jahren genommen wie Joseph Ratzinger. Zunächst zwei Jahrzehnte als Theologieprofessor, dann über 23 Jahre als Präfekt der mächtigen Glaubenskongregation im Vatikan an der Seite von Johannes Paul II. und schließlich knapp acht Jahre als Oberhaupt der katholischen Kirche, als Papst.
    Nun starb der emeritierte Papst Benedikt XVI." Schmerzerfüllt muss ich mitteilen, dass Benedikt XVI., Papst Emeritus, heute um 9:34 Uhr im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan verstorben ist", teilte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, mit. Der Gesundheitszustand des gebürtigen Bayers hatte sich zuletzt verschlechtert.
    Sein Wort hatte Gewicht, mit seinen Entscheidungen als Glaubenspräfekt und Papst entschied er über den Kurs der katholischen Kirche. Dabei ging es immer um die Frage, in welchem Verhältnis Kirche und Theologie einerseits und die immer stärker säkularisierte und kulturell vielfältiger werdende Welt andererseits zueinander stehen.
    Papst Benedikt XVI. wird am Sonntag (24.04.2005) auf dem Papamobil durch die Menge über den Petersplatz am Vatikan gefahren.
    Am 19. April 2005 ist Joseph Ratzinger als erster Deutscher seit fast 500 Jahren in das Papstamt gewählt worden. Das Verhältnis zu seinen Landsleuten war jedoch stets schwierig.31.12.2022 | 7:49 min

    Ausbleibende Reformen beschleunigten das Kirchensterben

    In einer Zeit, in der überall in der Welt Gewissheiten verschwinden und die Menschen nach Orientierung suchen, wollte er das Profil der katholischen Kirche schärfen. Die kleine Herde der hundertprozentig überzeugten Christen war ihm lieber als die "lauen Christen", die aus seiner Sicht das Bild der Kirche verunklarten. Dieser Kurs stieß bei vielen auf Kritik. Manche sehen in mangelnden Reformen die Ursache für den massenhaften Auszug der Menschen aus der Kirche.
    Als junger Theologe prägte Ratzinger die Arbeit des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) entscheidend mit. An der Seite des Kölner Kardinals Joseph Frings half er, dass die Vorgaben der Römischen Kurie zurückgedrängt und die Anliegen der Ortskirchen stärker berücksichtigt wurden. 1958 wurde er mit nur 31 Jahren Professor der Theologie in Freising. Es folgten Stationen in Bonn, Münster, Tübingen und schließlich Regensburg.

    Ratzingers Aufstieg als konservativer Hardliner

    Viele Beobachter sehen in der Erfahrung der Studentenproteste in Tübingen Ende der 1960er Jahre einen Bruch im theologischen Wirken Ratzingers, die Wende vom progressiven Theologen zum konservativen Hardliner. Er selbst wies das stets zurück und betonte, dass er sich immer treu geblieben sei vom Professor bis zum Papst.
    Nach nur fünf Jahren als Erzbischof von München und Freising geht Joseph Ratzinger 1982 nach Rom. Sein Wirken als Chef der Glaubenskongregation ist umstritten. Mit harter Hand geht er im Auftrag Johannes Pauls II. gegen die Befreiungstheologen in Lateinamerika vor. Mit Blick auf Deutschland stützt er den Kurs des Papstes, der die Bischöfe zwingt, aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung auszusteigen. Das führt zu scharfer Kritik vor allem vieler Laien und bringt ihm den Titel "Panzerkardinal" ein.
     Der emeritierte Papst Benedikt XVI. sitzt bei einer Messe im Petersdom.
    Joseph Ratzinger wird 1927 geboren. Er widmet sein Leben der Kirche und macht Karriere. Am 19. April 2005 wird er dann zum Papst gewählt. Er gibt sich den Namen "Benedikt XVI." 31.12.2022 | 3:21 min

    Widersprüchliche Haltung zu Ökumene

    Zwar ist Ratzinger die Ökumene, die Zusammenarbeit der christlichen Konfessionen, zeitlebens ein großes Anliegen. 1999 hat er entscheidenden Anteil an der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre", wird gar als "Motor der Ökumene" gepriesen. Ein Jahr später veröffentlichte er dann jedoch das Dokument "Dominus Iesus", in dem er den protestantischen Kirchen das Kirche-Sein abspricht.
    Einerseits sieht er die Notwendigkeit, dass die christlichen Kirchen angesichts der zunehmenden Säkularisierung mit einer Stimme sprechen. Andererseits kritisiert er, dass die Protestanten in vielen Fragen den ökumenischen Konsens verließen, etwa bei der Bewertung der Homosexualität.
    In Fragen der Sexualmoral setzt er als Papst den konservativen Kurs seines Vorgängers Johannes Paul II. fort, sieht die traditionelle Ehe von Mann und Frau in Gefahr. Oft spricht er vom Relativismus, der die christlichen Werte bedrohe, die er als Fundament Europas, gar der ganzen westlichen Zivilisation sieht. Er will auf dem Alten Kontinent die Gottesfrage wachhalten und den christlichen Werten zu neuer Geltung verhelfen.

    Reaktionen zu Benedikt XVI.
    :"Eine prägende Figur der katholischen Kirche"

    Nach dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. würdigen viele sein Lebenswerk. Doch auch einige kritische Worte gibt es. Die Reaktionen im Überblick.
    Vatikan: Emeritierter Papst Benedikt XVI. «sehr krank»

    Konflikte bestimmten Benedikts Dialog mit anderen Religionen

    Der größte Teil seiner 24 Auslandsreisen führt ihn in die Metropolen Europas, wo er eine Debatte über die Werte anstoßen will. Dabei setzt er sich vor allem für die Religionsfreiheit ein, die er auch bei seinen Reisen nach Afrika und Lateinamerika oder seinen Begegnungen mit Vertretern des Islams vehement einfordert.
    Die erste große Krise des knapp achtjährigen Pontifikats gibt es im Verhältnis zum Islam im Nachgang zur Regensburger Rede im September 2006. Das islamkritische Zitat eines byzantinischen Kaisers aus dem 15. Jahrhundert führt zu teils gewaltsamen Protesten. Benedikt XVI. hatte die politische Macht seiner Worte unterschätzt.
    Als er 2009 die vier exkommunizierten Bischöfe der Piusbruderschaft, darunter der Holocaustleugner Richard Williamson, rehabilitiert, kommt es zum Aufschrei in Israel und dem Judentum. Aber auch viele Katholiken sind beunruhigt, weil Benedikt XVI. die in die Kirche zurückholt, die die zentralen Reformen des II. Vatikanischen Konzils leugnen wie etwa die Reformen im Bereich der Liturgie oder auch die Öffnung für die Ökumene und den interreligiösen Dialog.

    Zu wenig getan in den Missbrauchs- und Finanzskandalen

    Die schwerste Herausforderung des Pontifikats ist der Missbrauchsskandal. Immer wieder werden kritische Stimmen laut, dass Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation über 20 Jahre nicht konsequent genug gehandelt habe. Als Papst verschärft er zwar die Regeln und fordert Null-Toleranz gegenüber den Tätern. Doch er kann diesen Kurs nicht wirklich durchsetzen. Die Widerstände an vielen Stellen der Weltkirche und in der römischen Zentrale sind zu groß.
    Das Vertrauen der Katholiken in die Institution Kirche hat durch den Missbrauchsskandal gelitten.
    Sexueller Missbrauch ist ein tiefsitzendes Problem der katholischen Kirche. Auch der Umgang von Benedikt XVI. mit dem Thema war ambivalent und stand immer wieder in der Kritik.31.12.2022 | 4:13 min
    Das gilt auch bei der Aufarbeitung der Finanzskandale, bei Korruption und Vetternwirtschaft im Vatikan. Als er sieht, dass die Kräfte nicht mehr ausreichen, tritt er 2013 zurück. Er selbst sei mit sich im Reinen, betonte er anschließend immer wieder.

    Rücktritt: Am Ende wurden ihm die Herausforderungen zu groß

    Joseph Ratzinger stellte sein Leben in den Dienst von Theologie und Kirche. Als Kardinal und Papst traute er sich nicht, große Reformen anzupacken, obwohl er dereinst als junger Theologe die alten Zöpfe der Theologie abschneiden wollte. Am Ende trug er als Präfekt und Papst dazu bei, dass es in der katholischen Kirche einen Reformstau gibt und dass die Herausforderungen zu groß wurden, als dass sie von einem einzelnen älteren Herrn alleine gemeistert werden könnten.
    Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus reichen sich die Hände im Vatikan.
    Der Rücktritt Benedikts XVI. 2013 kam überraschend und warf Kritik auf. Als emeritierter Papst war er nicht immer zurückhaltend, aber bis zuletzt zufrieden mit seiner Entscheidung.31.12.2022 | 4:13 min
    Damit hat er seinem Nachfolger eine schwere Hypothek hinterlassen. Der spektakuläre Rücktritt Ratzingers hat seine Wirkung noch nicht wirklich entfaltet. Vielleicht war er der erste Schritt zu einem neuen Papsttum, das weit weniger absolutistisch ist, als es bis zu seiner Amtszeit war.

    Papst Benedikt XVI. gestorben
    :60.000 Gläubige bei Totenmesse erwartet

    Der emeritierte deutsche Papst Benedikt XVI. ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Bei der Totenmesse auf dem Petersplatz in Rom werden 60.000 Gläubige erwartet.
    Papst Benedikt XVI. bei seiner letzten Generlaudienz in Rom

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