Eurovision Song Contest 2023:Wie politisch ist der ESC, Herr Urban?
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Der ESC und Peter Urban: Eine "Liebesbeziehung", die 2023 endet, denn nach Liverpool hört er auf. Im Interview erzählt er von seinem Abschied und der politischen Bedeutung des ESC.
25 Mal hat Peter Urban den Eurovision Song Contest moderiert. Jetzt will er aufhören.
Quelle: dpa
Peter Urban ist seit knapp 50 Jahren als Journalist, Musiker sowie Radiomoderator tätig - und seit 1997 auch "Mr. Eurovision". Dieses Jahr kommentiert er den Eurovision Song Contest (ESC) zum 25. und letzten Mal.
Bevor das Finale des ESC startet, spricht der TV-Kommentator im Interview mit ZDFheute über seine Jahre beim ESC, was Liverpool als Austragungsort zu bieten hat, wie politisch der ESC ist und über seine Prognose fürs Finale.
ZDFheute: Der ESC, der eigentlich in der Ukraine stattfinden sollte, wurde wegen des andauernden Kriegs stattdessen nach Liverpool verlegt. Was bedeutet das für die Stadt?
Urban: Es ist einfach unglaublich, wie toll Liverpool das macht und wie die BBC das macht, wie sie die Ukraine einbezieht. Aber man hat nicht das Gefühl, dass es so eine Art Wohltat ist, sondern es wird wirklich respektvoll zusammengearbeitet. Unglaublich harmonisch.
Es ist ein großartiger ESC. Ich bin begeistert, weil auch Liverpool eine so herzliche Stadt ist. Es ist meiner Meinung nach die beste Stadt für den ESC. Eine musikalische Stadt, eine temperamentvolle Stadt, eine Stadt, die feiern möchte und die auch unglaublich viel für die Ukraine tut.
ZDFheute: Wie politisch ist der ESC und hat sich das über die Jahre verändert?
Urban: Natürlich hat es sich verändert, auch durch die vielen Länder, die dazugekommen sind. Es gab aber immer schon mal wieder sicherlich politische oder wirtschaftliche Diskussionen mit Ländern. Aber beim Song Contest werden solche Sachen eigentlich vergessen. Aber du kannst Politik und das Leben außerhalb nicht ausschließen, also wenn politische Probleme sind.
Es gibt nun auch immer mehr Lieder, die politische Themen beinhalten. Die nicht nur Klischees von Friedensliedern sind, sondern konkrete Friedenslieder, die also gegen Krieg, gegen Ungleichheit, gegen Rassentrennung, aber auch für Female Empowerment sind. Die gesellschaftlichen Themen sind ganz stark, auch immer mehr in den ESC-Songs zu hören.
Quelle: dpa
Wer den Eurovision Song Contest schaut, kennt auch Peter Urban: Seit 1997 ist er "Mr. Eurovision" - die Stimme des Eurovision Song Contest (ESC). Der Wahl-Hamburger ist der Mann, der alle Beiträge kommentiert. Im April wurde er 75 Jahre alt.
Peter Urban ist ein deutscher freier Journalist, Musiker und Radiomoderator. Bevor er den ESC moderierte, war er bereits als Musikexperte im Radio aktiv und interviewte Größen wie Harry Belafonte, Joni Mitchell, Bruce Springsteen, Paul Simon, Elton John, Yoko Ono, Bob Marley, David Bowie und Eric Clapton.
Außerdem ist er ein Fachjournalist mit Doktortitel: Seine Doktorarbeit "Rollende Worte - Die Poesie des Rock" beendete er 1977.
2013 ging Urban als Redakteur in Rente, moderierte aber weiterhin einige Shows beim NDR sowie den ESC.
ZDFheute: Die Ukraine hat schon dreimal den ESC gewonnen - kann man in diesem Fall sagen, dass es viel mehr ist als Popkultur, sondern schon fast identitätsstiftend?
Urban: Also die Ukraine ist beim ESC sehr erfolgreich gewesen in den letzten Jahren. Sie hat nach 2003, dem ersten Mal als sie dabei waren, dreimal gewonnen. Das hat kaum ein anderes Land erreicht. Insofern lebt auch die Ukraine sehr für diesen ESC und er hat natürlich politische Bedeutung. 2016 hatte Jamala mit ihrem Lied gewonnen, was natürlich politischen Charakter hat.
Das hatte natürlich eine Verbindung zu der Annexion der Krim und es war großartig, dass dieses Lied dann so überlegen gewonnen hat, mit dieser unglaublichen leidenschaftlichen Art, wie diese Künstlerin gesungen hat. Das ist natürlich Politik. Aber dass die Ukraine sonst so gut beim ESC abschneidet, hat mit Politik sehr wenig zu tun, sondern mit großer Kunst und Kultur in dem Land und einem sehr lebendigen Gefühl für tolle Musik.
ZDFheute: Was kann der ESC in Sachen Einheit und Völkerverständigung leisten, und was nicht?
Urban: Er kann ein großes Symbol sein für Toleranz, Verständnis und Respekt untereinander. Auch wenn man das sieht hier aus allen Ländern: Die verstehen sich, die Künstler singen zusammen, die Kollegen sind miteinander befreundet, das hat mit Nationalitäten nichts zu tun. Insofern ist er ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Welt oder auch Europa sein könnten.
Er kann aber anklagen, er kann Botschaften senden, er kann sagen "ok hört auf mit diesen Gewalttaten", er kann trösten. Er ist kein Lösungsrezept für alle Fragen. Aber er ist ein super Symbol.
ZDFheute: Wer wird den ESC gewinnen und auf welchem Platz wird Deutschland landen?
Urban: Das ist immer das Allerschwierigste, das Voraussagen. Die Favoriten sind Schweden, Finnland, Norwegen, die werden sicherlich weit oben landen. Finnland hat, finde ich, eine große Chance, weil das Publikum Finnland liebt. Allerdings die Jurys, die auch im Finale abstimmen, die mögen das vielleicht nicht so, weil es doch ein sehr knallharter Elektro-Song ist. Also sehr schrill, aber auch extrem lustig. Loreen ist ein professioneller Auftritt für Schweden, die ihr Comeback feiert. Ob der Song gut genug ist, um zu gewinnen, weiß ich nicht.
Krieg, Inflation, Corona - die Zeiten sind schrecklich genug. Da schickt Finnland einen Song zum ESC, der so herrlich schräg ist, dass man einfach einmal lachen kann. Cha cha cha!
von Dominik Rzepka
Kommentar
Ich persönlich finde Spanien genial. Paloma Blanca, eine Sängerin, die Flamenco mit Elektro Beats mischt, und das ist eine sehr aufregende Mischung. Deutschland hoffe ich, wird so um Platz zehn landen, weil die Band Lord of the Lost einen sehr guten Auftritt machen wird, der sehr spektakulär aussieht. Und Rockmusik ist beim ESC mittlerweile auch sehr beliebt und man kann auch da gute Punkte erzielen.
ZDFheute: Was waren in all den Jahren denn Ihre persönlichen Höhepunkte und Tiefpunkte?
Urban: Natürlich gab es große Höhepunkte: 2010 mit Lenas Sieg in Oslo und anderen, sehr guten, deutschen Platzierungen. Aber meine Höhepunkte oder mein Spaß am ESC hängt nicht immer mit der deutschen Platzierung zusammen. Es gab großartige Events in Stockholm, zum Beispiel 2016 als Jamala für die Ukraine gewann und auch das andere Programm spektakulär war.
Es gab mal Dinge, darüber kann man nachher schmunzeln oder lachen. Ich habe mal auf Sender laut geflucht, weil etwas Unvorhergesehenes passiert ist, beispielsweise das Explodieren eines Feuerwerkskörpers vor meinem Fenster vor der Kabine. Das sollte ein Witz sein, vom Veranstalter in Kopenhagen. Und ich habe mich so erschrocken.
Mit der Startnummer 22 trat Lena Meyer-Landrut in Oslo an - und begeisterte Europa mit "Satellite"! Das Finale des Eurovision Song Contest 2010 noch einmal komplett zum Genießen.18.05.2020 | 200:45 min
Lenas Siegeslied 2010 zum Nachhören:
ZDFheute: Was bedeutet der Abschied für Sie?
Urban: Es ist eine wunderbare Veranstaltung für mich, und ich werde sie sehr vermissen. Für mich bedeutet das natürlich irgendwo ein Schlussstrich nach über 25 Jahren. Ich habe das jetzt gemerkt, als ich mein Buch geschrieben habe, dass ich ein Drittel dieses Lebens mit dem ESC zugebracht habe.
Es ist auch ein schmerzvoller Abschied. Ein bisschen traurig ist man natürlich. Aber ehrlich gesagt, ist es besser so aufzuhören, als irgendwann die Fragen zu hören: "Wann hört der alte Sack endlich auf?" So ist es dann doch angenehmer.
Quelle: Corinne Cumming / EBU
Das ESC-Finale ist komplett. Qualifiziert sind aus dem ersten Halbfinale: Kroatien, Moldau, Schweiz, Finnland, Tschechien, Israel, Portugal, Schweden, Serbien und Norwegen.
Im zweiten Halbfinale konnten sich qualifizieren: Österreich, Australien, Armenien, Litauen, Albanien, Zypern, Estland, Belgien, Polen und Slowenien.
Gesetzt sind außerdem die "Big 5" sowie der Titelverteidiger: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Vereinigtes Königreich und die Ukraine.
Das Interview führte Sharon Patrick aus dem ZDF-Auslandsstudio London.