Migrationsquote an deutschen Schulen? Das fordert der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Meidinger. Aber wie sinnvoll ist eine solche Quote? Was Expertinnen sagen.
Im Bildungsbereich hapert es an vielen Stellen: Neben einem akuten Lehrermangel sehen einige auch Sprachdefizite von Schülern als Problem. Diese "Lücke" aus dem Elternhaus könne in vielen Fällen nicht durch den Unterricht geschlossen werden, sagte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, in der ZDF-Sendung "Markus Lanz".
Betroffen seien Meidinger zufolge "in erster Linie Kinder mit Migrationsgeschichte", weshalb er eine "Migrationsquote" forderte. Diese solle den Migrationsanteil an einzelnen Schulen begrenzen und damit eine "Ballung" von Sprachdefiziten verhindern.
Zur Bildungs- und Energiepolitik, zur Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sowie zu Mängeln im Bildungssystem und dem Fehlen von Lehrkräften
Jana Gamper, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Gießen, hält von diesem Vorschlag allerdings nichts. Allein schon der Begriff Migrationshintergrund sei problematisch:
Was hinter dem Begriff "Migrationshintergrund" steckt
So könne sowohl bei Personen, die bereits seit mehreren Generationen in Deutschland leben, als auch bei erst kürzlich eingereisten Geflüchteten - zum Beispiel aus der Ukraine - von einem sogenannten Migrationshintergrund gesprochen werden, sagt Gamper.
Dementsprechend sei eine Quote, wie sie Meidinger anregt, nicht umsetzbar, sagt Gamper.
Gamper: Sozialer Hintergrund entscheidend
Zwar bestätigten Gamper zufolge Untersuchungen wie die letzte Pisa-Studie Bildungslücken in Deutschland. Davon seien aber auch Schüler ohne Migrationshintergrund betroffen.
Man verschiebe durch Forderungen wie die einer Quote nur die eigentliche Ursache "auf den Faktor Migration". "Es wird eine Stellvertreter-Debatte geführt", so Gamper. Die entscheidende Rolle spiele jedoch der soziale Hintergrund einer Person, also unter anderem die wirtschaftliche Situation der Eltern.
Wie lassen sich Sprachdefizite beheben?
Um die Schulsituation von Kindern zu verbessern, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, brauche es Gamper zufolge "die besten Fachkräfte". Diese müssten speziell für den Umgang mit Kindern, die sprachlich Schwächen aufweisen, geschult sein.
"Schule wird überfrachtet mit vielen, vielen Anforderungen", sagt Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD).
Gamper befürwortet auch regelmäßige Sprachtests für alle Schüler oder Kinder im Vorschulalter nach dem Motto "Wer steht wo?". Sie warnt jedoch davor, diese allein für bestimmte Gruppen festzuschreiben. "Ansonsten diskriminieren sie und unterbinden Partizipation."
Für diese Lösungsvorschläge brauche es zudem Lehrkräfte, die es aufgrund des Fachkräftemangels aber derzeit nur unzureichend gebe.
Professorin für Pädagogik: Meidingers Vorschlag nicht neu
Auch Meike Munser-Kiefer, Professorin für Pädagogik an der Universität Regensburg, sieht Meidingers Aussage kritisch. Was der Präsident des Deutschen Lehrerverbands vorschlage, sei keine neue Forderung. "Dieses Thema greift er immer wieder auf", sagt sie und findet zum Vorschlag einer Quote klare Worte:
Munser-Kiefer warnt vor einer Pauschalisierung. Wenn man in der Debatte um eine Migrationsquote an Schulen pauschal vom Migrationshintergrund spreche, rutsche man schnell in eine problematische Rhetorik ab. Unter dem Label des Migrationshintergrunds packe man unterschiedlichste Menschen stereotyp in eine vermeintliche Gruppe und verbinde Negatives damit.
Munser-Kiefer: Brauchen sprachliche Förderung für alle Kinder
In Bezug auf den Kompetenz-Abfall an deutschen Schulen betont die Professorin: "Wir haben tatsächlich Sprachdefizite in der Schule. Es sind aber viele Kinder und Jugendliche, die diese haben, nicht nur diejenigen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird."
Laut einer Studie sind die Defizite im Lesen, Schreiben, Rechnen und Zuhören besorgniserregend. Bundesweit erreichen 22 Prozent der Viertklässler nicht den Mindeststandard.
Munser-Kiefer spricht sich deshalb für eine allgemeine Sprachförderung aus. Dabei sollten alle Kinder in den Blick genommen und gefördert werden. Bedarfsorientiert könnten Kinder auch Zusatzangebote bekommen.
Hierfür brauche es Lehrkräfte, die für Sprachbildung im Unterricht und Sprachförderung in Zusatzangeboten ausgebildet seien. Darüber hinaus müssten Lehrkräfte "differenz- und diskriminierungssensibel" ausgebildet werden, damit es nicht zur Ausgrenzung komme.
Es brauche eine Kultur der Vielfalt in den Klassen, fasst die Pädagogin zusammen. Ein Fokus allein auf die Sprache reiche da nicht aus.
Bundesweit melden die Länder mehr als 12 000 unbesetzte Lehrer-Stellen an Schulen. Eine Expertengruppe der Kultusminister hat heute Empfehlungen vorgelegt.