Machtkampf im Sudan verschlimmert den humanitären Notstand

    Interview

    Machtkampf im Sudan:Gefechte verschlimmern humanitären Notstand

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    Die Kämpfe im Sudan gefährden das Leben von vielen Millionen Menschen, berichtet der Entwicklungshelfer Michael Gabriel. Er sieht das Land am Abgrund, hat aber noch eine Hoffnung.

    Menschen suchen nach Wasser in Khartoum, Sudan
    Wasser ist durch die Gefechte ein knappes Gut in der sudanesischen Hauptstadt Khartum.
    Quelle: Reuters

    ZDFheute: Millionen Menschen im Sudan hungern. Durch den Ausbruch der Kämpfe verschlechtert sich ihre Lage zusehends. Wie erleben Sie die Not?
    Michael Gabriel: Schon vor Beginn dieser Kämpfe am 15. April waren mehr als 15 Millionen Menschen im Sudan auf humanitäre Hilfe angewiesen, fast zwölf Millionen mit einer Ernährungsunsicherheit, die so schlimm ist, dass sie als Notstand eingestuft wird.

    Michael Gabriel, Landesdirektor Welthungerhilfe Sudan
    Quelle: Welthungerhilfe

    ... ist seit 2018 als Landesdirektor der Welthungerhilfe im Sudan. Der US-Amerikaner verfügt über langjährige Erfahrungen mit Entwicklungshilfeprojekten in Asien, dem Nahen Osten, Haiti und Afrika.

    Das Ausmaß der Unterernährung ist extrem hoch. Rund drei Millionen Kinder unter fünf Jahren und fast eine Million schwangere oder stillende Frauen benötigten humanitäre Hilfe, um ihren Ernährungsbedarf zu decken.

    Wegen der Kämpfe sind die humanitären Hilfsprogramme unterbrochen. Die Gefährdungen durch Hunger, Unterernährung und Krankheiten werden deshalb noch zunehmen.

    ZDFheute: Können Hilfsorganisationen die Menschen derzeit gar nicht mehr mit dem Allernötigsten versorgen?
    Gabriel: Wegen der Intensität der Kämpfe ist die Lage aktuell sehr gefährlich und wir sind in großer Sorge um das Leben unserer Mitarbeiter. Deshalb haben wir, wie andere Hilfsorganisationen auch, die Arbeit pausiert.
    ZDF-Nordafrika-Korrespondent Luc Walpot
    Im umkämpften nordafrikanischen Sudan bräuchte es "dringend einen Waffenstillstand, der kann nur mit internationalem Druck zustande kommen", so ZDF-Nordafrika-Korrespondent Luc Walpot.20.04.2023 | 1:54 min
    In den kommenden Tagen werden wir aber die Lage im Ostsudan frisch bewerten, damit wir unsere Arbeit dort möglicherweise wieder aufnehmen können. 
    ZDFheute: Wie steht es um die Hauptstadt Khartum und die Region Darfur?
    Gabriel: Aktuell ist es so, dass wegen der Intensität der Kämpfe in Darfur, Khartum und mehreren anderen Gebieten auch die lokalen Märkte geschlossen sind, wodurch für breite Teile der Bevölkerung der Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser blockiert ist.
    Hintergründe zur Lage im Sudan:
    ZDFheute: Wie erlebt Ihr Team diese Tage im Sudan? 
    Gabriel: Meine Kollegen, vor allem in Khartum und Darfur, wo die Kämpfe am schlimmsten sind, können ihr Zuhause nicht verlassen, um Lebensmittel und Wasser zu holen.

    Die Tagestemperaturen steigen bis auf 45 Grad Celsius, das macht die Lage noch prekärer.

    Einige Häuser haben Wasser aus einem Brunnen, aber Stromausfälle bedeuten, dass die Wasserpumpen nicht funktionieren. Explodierende Granaten erschüttern die Häuser - das ist für alle, vor allem aber für die Kinder eine schreckliche Situation.
    ZDF-Korrespondentin Golineh Atai
    ZDF-Korrespondentin Golineh Atai erklärt die politischen Hintergründe der aktuellen Kämpfe im Sudan.17.04.2023 | 2:59 min
    ZDFheute: Auf was stellen Sie sich ein in einer Konfliktsituation, in der auch humanitäre Helferinnen und Helfer zu menschlichen Zielscheiben werden?
    Gabriel: Unser Team ist es gewohnt, unter gefährlichen Bedingungen zu arbeiten, aber im Sudan waren sie in den vergangenen Jahren relativ sicher. Die aktuellen Kämpfe haben das geändert.

    Wir haben Berichte über Raubüberfälle, sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Helfer.

    In dem hitzigen Konflikt, den wir derzeit sehen, müssen wir sehr umsichtig sein.
    ZDFheute: Die Vereinten Nationen erwarten, dass etwa 16 Millionen Menschen im Sudan in diesem Jahr humanitäre Hilfe benötigen werden, um überleben zu können. Welches Schicksal droht dem sudanischen Volk, wenn sich die Kämpfe in die Länge ziehen sollten?
    Gabriel: Das Leid würde weiter zunehmen, die Unterernährungsrate in die Höhe schnellen. Sollten die Kämpfe noch viel länger andauern, wird es nötig sein, dass die internationale Gemeinschaft Zusagen von den Kriegsparteien einholt, dass Menschen sicher diesen städtischen Schlachtfeldern entkommen können.
    ZDFheute: Macht Ihnen etwas Hoffnung auf ein baldiges Ende der Gewalt?
    Gabriel: Das sudanesische Volk hat in jahrelangen Konflikten und politischen Unruhen große Widerstandsfähigkeit bewiesen - die Revolution von 2019 und ihre Reaktion auf den Putsch von 2021 sind ein Beweis dafür.
    Wenn es den Sudanesen erlaubt ist, sich friedlich zu organisieren und eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, haben sie die Kraft, Wärme und Weisheit, um für sich selbst zu sorgen. Aktuell erleben wir aber eine große Zerbrechlichkeit, großen Schmerz, eine humanitäre Tragödie.
    Das Interview führte Marcel Burkhardt.

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