Tempolimit - was wäre so schlimm daran? | Terra-X-Kolumne

Nur noch maximal 100 auf der Autobahn. Wer schneller ist, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Das Ganze wird rigoros überwacht.

Ein Horrorszenario? Nein: Realität, seit mittlerweile drei Jahren. Spätestens jetzt merken Sie: Die Rede ist NICHT von Deutschland. Das strikte Tempo 100 gilt in unserem Nachbarland, den Niederlanden. Und - kaum zu glauben: Es kommt gut an bei den Autofahrern.

Freiwillig haben die Niederländer das aber nicht gemacht. Ihre liberal-konservative Regierung fand es anfangs sogar eine "scheiß Maßnahme".

Entscheidend war ein Gerichtsurteil. Denn unsere Nachbarn reißen viel zu oft die Grenzwerte für Stickoxide in ihren Städten. Da geht es ihnen nicht anders als uns. Stickstoffverbindungen lagern sich unter anderem im Boden ab, was zu einer Versauerung führt. Die wiederum schadet dem Leben im Boden. Das oberste Verwaltungsgericht hat 2019 geurteilt: Solange die Luftqualität so schlecht ist, darf es keine weiteren Bauvorhaben geben, denn auch durch diese werden enorme Mengen Stickstoff ausgestoßen.

Einen Baustopp zu verhängen, kam für die niederländische Regierung nicht in Frage. Eine andere Lösung musste her: ein Tempolimit als Kompensation für Neubauten.

Stickoxide sind ein Punkt. Was noch für ein Tempolimit spricht, auch bei uns: der Energieverbrauch. Er steigt nicht linear, sondern mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Also: Wer doppelt so schnell fährt, verbraucht viermal so viel Treibstoff.

Welchen Effekt hätte ein Tempolimit auf den CO2-Ausstoß? Das hat ein Forschungsprojekt berechnet, das zwischen 2019 und 2023 durchgeführt wurde, unter der Leitung des Lehrstuhls für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik der Universität Stuttgart. Die ermittelten Zahlen: Tempo 120 auf Autobahnen würde die CO2-Emissionen um 4,2 Prozent senken, die Stickoxide um fast zehn Prozent.

Eine aktuelle Studie, die unter anderem Stefan Gössling von der School of Business and Economics der schwedischen Lund Universität verfasst hat, greift auf die gleichen Daten zurück; sie geht aber über die pure Physik hinaus. Sie will die Frage beantworten, ob ein Tempolimit gesamtgesellschaftlich Sinn macht.

Dafür erstellen die Autoren eine umfangreiche Kosten-Nutzen-Analyse. Letztlich rechnen sie positive und negative Faktoren gegeneinander auf. Also: Längere Fahrtzeiten bei einem Tempolimit stehen geringerem CO2-Ausstoß gegenüber. Außerdem fließen ein: Lieferkettenkosten, Einsparungen bei der Infrastruktur, Treibstoffkosten, Klimaschutzeffekte, Flächenverbrauch, Kosten für das Gesundheitssystem, weniger Unfälle und so weiter. Rechnet man alles zusammen, kommen die Forscher auf einen Wohlfahrtsgewinn von "mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr".

Wie belastbar ist diese Studie? Die Forscher haben sich bei der Auswahl der Daten eher auf die vorsichtigen Werte gestützt. Experten wie der Verkehrsökologe Udo Becker, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der Universität Dresden, sieht die Ergebnisse als "wissenschaftlich abgesichert". Alle Datengrundlagen seien belegt und nachprüfbar. Langsamer fahren und dabei Geld sparen - ob sich davon der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) überzeugen lässt?

Und in den Niederlanden? Dort hat man das Gerichtsurteil wieder gekippt. Nur ein geringer Teil der Stickstoffablagerungen im Boden stammt aus dem Verkehr. Ein Tempolimit dürfe also nicht als Kompensation für Bauprojekte hergenommen werden. Trotzdem gilt immer noch: Tempo 100 tagsüber. Tempo 130 nachts. Und (fast) alle finden’s gut: Regierung und Niederländer. 60 Prozent wären sogar für Tempo 90.

Was lernen wir daraus? Ein niederländischer Verkehrswissenschaftler sagt, dass Veränderungen nur am Anfang wehtun. Man könne ja ein Tempolimit auf Zeit einführen und dann entscheiden, ob es bleiben soll. Die Niederländer finden Autofahren mehrheitlich heute wesentlich entspannter.

Also Herr Wissing: einfach mal machen, wir könnten’s ja gut finden ...

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