Hohe Sterblichkeit:Tranq: Die USA und ihre neue "Zombie-Droge"
von Florian Fabricius, Washington
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Tiefe Wunden, starke Entzugserscheinungen, hohe Sterblichkeit: Eine neue Droge fordert die USA heraus. Deutschland blieb bislang verschont.
Drogensüchtige an einem Hilfsmobil im New Yorker Stadtteil Bronx.
Quelle: afp
Bilder von Männern, die in Trance über Bordsteinkanten hängen, und Frauen, die ohne Bewusstsein über Gehwege laufen: Seit einigen Monaten kursieren auf Social Media Videos von Menschen unter Einfluss von Tranq - umgangssprachlich auch als "Zombie-Droge" bezeichnet. Auf Plattformen wie TikTok gehen die Videos viral, erreichen bis zu 15 Millionen Klicks. Was steckt dahinter?
Der Wirkstoff Xylazin wurde ursprünglich dafür genutzt, Pferde, Hirsche und andere Tiere zu betäuben. Seit einigen Jahren wird er mit Drogen wie Heroin oder Fentanyl vermischt, um deren Wirkung zu verlängern. Der Straßenname dieser neuen Droge lautet Tranq.
Die Wirkungsdauer von gewöhnlichem Fentanyl beträgt bis zu einer Stunde. Wird Xylazin beigemischt, springt die Wirkungsdauer auf bis zu acht Stunden. Dieser "Zombie"-Effekt, der Kontrollverlust über Stunden oder Tage, macht Tranq so gefährlich.
Alle sieben Minuten stirbt in den USA ein Mensch an einer Überdosis Fentanyl. Für Drogenkartelle ist die Produktion hingegen ein Milliardengeschäft. 16.10.2022 | 2:01 min
Tranq frisst Wunden in die Körper
Dabei bleibt es aber nicht: Tranq frisst Wunden in die Körper seiner Opfer, die keine Chance haben zu verheilen und sich infizieren können. Nicht selten kommt es zu Amputationen. Joe D’Orazio, Arzt aus Philadelphia, sagt gegenüber ZDFheute:
Konventionelle Notfallmedikamente versagen bei Tranq und können den Tod an einer Überdosis nicht verhindern. Gleichzeitig gelten die Entzugserscheinungen als besonders hart. Entzugskliniken haben sich an die neue Situation noch nicht angepasst und noch keinen Weg gefunden, sie in den Griff zu bekommen.
Eine Krankenpflegerin versorgt eine offene Wunde einer Süchtigen.
Quelle: afp
Tranq-Epidemie landesweit verbreitet
Die Tranq-Epidemie begann in Philadelphia, wo mittlerweile 91 Prozent der Drogen Xylazin beigemischt wird, wie eine Untersuchung örtlicher Gesundheitsbehörden ergab. Von dort aus verbreitete sich die Tranq-Epidemie übers ganze Land. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC berichtet, dass Tranq mittlerweile in 48 von 50 Bundesstaaten verbreitet ist.
In Deutschland hingegen sind kaum Fälle bekannt. Burkhard Blienert, Drogenbeauftragter der Bundesregierung, erklärt auf Anfrage von ZDFheute:
Neuartige, synthetische Drogen wie Fentanyl oder Tranq scheinen sich in Deutschland schwerer verbreiten zu können. Zwar steigt der Konsum von Fentanyl auch hierzulande, die Dimensionen sind aber nicht vergleichbar: Jährlich sterben in den USA 1.000-mal so viele Menschen daran wie in Deutschland.
In den USA verbreitet sich die gefährliche Droge Fentanyl immer weiter. Diese ist 50-mal stärker als Heroin. Allein die Herstellung der Droge kann extremst gesundheitsschädigend und sogar tödlich sein.13.10.2022 | 12:24 min
Die USA: Eine betäubte Nation
Dabei ist Tranq das neueste Kapitel einer langen, traurigen Geschichte, die die USA schon seit Jahrzehnten erschüttert: Die Opioid-Krise begann in den 2000er Jahren mit dem Schmerzmittel Oxycontin, bevor der Drogenmarkt 2010 von Heroin überflutet wurde. 2013 verursachte Fentanyl dann die nächste Welle an Drogentoten.
Warum aber sind die USA so anfällig für Opioide? Ein wichtiger Faktor ist Big Pharma, die Pharmalobby, deren langer Arm amerikanische Politik und Kultur beeinflusst. 2020 erhielten etwa zwei Drittel aller Abgeordneten im Repräsentantenhaus und Senat Spenden von Pharmafirmen.
ZDF-Reporterin Nina Niebergall hat in Kalifornien mit Konsumierenden, Geschäftsleuten und Opfern im Cannabis-Milieu gesprochen. Auch in Deutschland könnte die Legalisierung kommen. Wie sieht der Cannabis-Deal in den USA genau aus?09.12.2021 | 16:02 min
Krieg gegen Drogen gescheitert?
Auch die starke Kriminalisierung von Drogen in den USA könnte zur aktuellen Situation beitragen:
In der Vergangenheit war die Antwort Washingtons auf solche Drogenwellen: Kriminalisieren, durchgreifen, bestrafen. Seit einigen Jahren stößt diese Strategie des "War on Drugs" jedoch vermehrt auf Widerstand: Jede Welle der Kriminalisierung bringe nur neue, noch gefährlichere Drogen auf den Markt, sagen Kritiker.
Erste Droge als "Bedrohung für die Nation" eingestuft
Die Regierung hat Tranq nun, als erste Droge in der Geschichte der USA, zu einer "Bedrohung für die Nation" erklärt. Hinter diesem lauten Titel verbirgt sich jedoch die leise Abkehr von einer Drogenpolitik, die sich auf Verbote, Gefängnisstrafen und Abschreckung beschränkt.
Das Weiße Haus um US-Präsident Joe Biden will verstärkt auf Behandlungs- und Therapieangebote und umfangreiche Forschung setzen, um die "Zombies" von der Straße zu holen.
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