Weltklimabericht: "Zehntelgrad macht einen Unterschied"

    Interview

    Weltklimabericht-Autor:"Jedes Zehntelgrad macht einen Unterschied"

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    Mehr Hitze, Starkregen und Dürren: Das droht laut Bericht des Weltklimarats. Mitautor Matthias Garschagen darüber, dass dem Klimaschutz die Zeit davonläuft.

    Ein Fischer geht in der irakischen Provinz Dhi Qar über ein trockenes Stück Land.
    Der Weltklimarat hat seinen sechsten Sachstandsbericht vorgelegt.
    Quelle: dpa

    Dem Klimaschutz läuft die Zeit davon. Zu diesem Ergebnis kommt der Weltklimarat (IPCC) in seinem Abschlussbericht, der am Montag veröffentlicht wurde. Der Bericht bündelt die Forschung von Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den vergangenen acht Jahren.
    Bereits jetzt seien die Auswirkungen des Klimawandels größer bislang angenommen. Bisherige Klimaschutzmaßnahmen reichten nicht mehr aus. Um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, müssten die Emissionen laut IPCC bis 2030 um die Hälfte gesenkt werden.
    ZDFheute: Herr Garschagen, wie stark hat sich die Erde bereits erwärmt und welche Auswirkungen hat das auch in Deutschland?
    Matthias Garschagen: Wir sehen, dass sich die Erde um rund 1,1 Grad im globalen Durchschnitt bereits erwärmt hat. Das hat jetzt schon zu massiven Veränderungen im Erdsystem geführt.

    Vieles von dem, was wir im Großen weltweit sehen, trifft uns auch in Deutschland.

    Matthias Garschagen

    Wir sehen die Häufung von extremen Ereignissen wie Hochwasserkatastrophen oder von extremen Trockenjahren bei uns in Deutschland, von denen sich Grundwasserspiegel gar nicht mehr erholen können.

    ... ist Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er gilt als einer der weltweit führenden Forscher für Wetterextreme. 2020 wurde Garschagen als einer von zwei deutschen Klimaforschern vom Weltklimarat in das Kernautorenteam für den Synthese-Bericht des Weltklimaberichts berufen.

    ZDFheute: Was für einen Unterschied macht es für die Auswirkungen des Klimawandels, ob sich die Erde im Durchschnitt um 1,5 um 2 oder um 3 Grad erwärmt?
    Garschagen: Die Unterschiede sind brachial. Denken Sie ans Artensterben, an Nahrungsmittelkrisen, denken Sie an kleine Inselstaaten, die unbewohnbar werden, wenn wir es nicht schaffen den Klimawandel zu reduzieren und damit auch den Meeresspiegelanstieg zu begrenzen.

    Jedes Zehntelgrad Erwärmung macht einen riesigen Unterschied in der Frage, mit welchen Risiken wir es zu tun bekommen.

    Matthias Garschagen

    Selbst wenn wir nur temporär über gewisse Grad-Marken hinausschießen. Gletscher schmelzen, Korallenriffe sterben ab. Das wären Schäden, die wären nicht mehr wiedergutzumachen.
    Abgestorbener Baum in der Hitze vor blauem Himmel
    Noch können wir umsteuern und zugleich die Wirtschaft ankurbeln und Gesundheitsschäden verringern. Das ist die Botschaft des neuen Syntheseberichts des Weltklimarats IPCC.20.03.2023 | 4:53 min
    ZDFheute: Auf welche Gradzahl steuern wir denn mit der aktuellen Politik zu?
    Garschagen: Mit dem, was momentan auf dem Tisch liegt – an Zielen und Politiken – wird es sehr schwierig sein, die 1,5 Grad zu halten. Deshalb ist dieser Klimabericht auch so wichtig. Darauf hinzuweisen: Noch haben wir es in der Hand, wenn wir jetzt massiv die Kehrtwende schaffen, tiefe Einschnitte in den Emissionen in den nächsten Jahren schaffen. Dann besteht noch eine Möglichkeit, eine geringe Möglichkeit, die Temperatur auf 1,5 Grad zu halten oder zumindest nicht stark darüber hinaus zu schießen.
    ZDFheute: Wie lange weiß man denn schon, dass es ein menschengemachter Klimawandel ist?
    Garschagen: Die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht ist, war eigentlich schon in den letzten Berichtszyklen klar. Die Evidenz hat sich nur noch weiter verstärkt.
    ZDFheute: Liegt das Stoppen oder Abmildern der Erwärmung überhaupt noch in der Hand der Menschheit?
    Garschagen: Absolut! Das ist das Positive. Wir haben es noch selbst in der Hand. Aber, um das auch ganz deutlich zu sagen:

    Wir haben die letzten Jahre geschludert, wir sind nicht schnell genug vorangekommen. Und das Fenster, wirklich starke Schäden abzuwenden, schrumpft.

    Matthias Garschagen

    Die Zeit läuft uns davon. Auch Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, wie neues Saatgut, Küstenschutz, Hochwasserschutz, funktionieren nur bis zu einem gewissen Grad. Daher müssen wir zügig loslegen. Wenn uns die Temperaturkurve davonläuft, werden die Schäden uns auch davongaloppieren.
    Klimawandel
    Prof. Hans-Otto Pörtner, Mitglied des Weltklimarats, sieht das 1,5 Grad-Klimaziel vor allem "durch Verzögerungsstrategien" gefährdet und fordert bessere Prioritätensetzung.20.03.2023 | 8:16 min
    ZDFheute: Ist weltweit denn überhaupt genug Geld da, um ausreichend Klimaschutz zu bezahlen?
    Garschagen: Der Bericht arbeitet sehr deutlich die momentane Finanzlage heraus. Geld ist global gesehen ausreichend vorhanden. Aber es wird noch nicht ausreichend in Klimaschutz und Klimawandelanpassungen gesteckt. Momentan sprechen wir zwar viel über die Finanzierung von erneuerbaren Energien – trotzdem sind Investitionen in die ganz traditionelle kohlenstoffbasierte Industrie und Energiewirtschaft noch größer. Das müssen wir ändern.
    ZDFheute: Macht es einen Unterschied, wenn hier in Deutschland etwas getan wird, obwohl wir nur ein Land dieser Erde sind?
    Garschagen: Definitiv ja! Wir haben historisch betrachtet einen großen Anteil an der Verursachung dieses Problems. Gleichzeitig haben wir im globalen Vergleich große Möglichkeiten, damit umzugehen. Daher schaut die Welt auf Länder wie Deutschland. Wir haben die Möglichkeiten, dieses Problem auch anzugehen, Finanzen umzuleiten. Wenn wir es nicht schaffen, wird es ganz schwierig sein, andere Erdteile davon zu überzeugen, da mitzuziehen.  Die starken Länder und die, die viel verursacht haben, müssen vorangehen.
    Das Interview führten Sonja Hößl und Elisa Miebach.

    Abschlussbericht des IPCC
    :Weltklimarat mahnt zu sofortigem Handeln

    Der Weltklimarat hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin fasst das Gremium die Erkenntnisse zum Klimawandel zusammen. Die Botschaft ist klar: Zum Zögern bleibt keine Zeit.
    von Jana Nieskes
    Rauch steigt aus Kühltürmen auf.
    mit Video
    Quelle: ZDF

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