Kliniken und der Pflegenotstand: Letzter Ausweg Zeitarbeit?

    Kliniken und Pflege:Pflegenotstand: Letzter Ausweg Zeitarbeit?

    Florence-Anne Kälble
    von Florence-Anne Kälble
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    Die Gesundheitsbranche steht kurz vor dem Zusammenbruch, Fachkräfte sind am Ende. Zeitarbeitsfirmen bringen personelle Entlastung - lösen aber keine strukturellen Probleme.

    Pflegerin auf einer Station.
    Warum Zeitarbeit eine Lösung, gleichzeitig aber auch Teil des Problems Personalmangel ist. 11.05.2023 | 5:09 min
    Ohne Zeitarbeit funktioniert das Gesundheitswesen in Deutschland nicht mehr. Da ist sich Stephan Kühn sicher. Er arbeitet als Prokurist der KBS Group, eines Personaldienstleisters im Gesundheitsbereich, und dass seine mehr als 1.400 Zeitarbeiter mehr als nur "Lastspitzen" abdecken, ist für ihn gelebte Realität. Sein Unternehmen halte, wie viele andere Zeitarbeitsfirmen, die Gesundheitsbranche am Laufen, meint Kühn.

    Wir bringen Fachkräfte dahin, wo sie am dringendsten benötigt werden. Dabei nehmen wir niemandem etwas weg, sondern sorgen für Entlastung.

    Stephan Kühn, KBS Group

    Während Covid gab es Kliniken, in denen sein Unternehmen zwei von drei Intensivstationen mit Zeitarbeits-Fachkräften komplett am Laufen gehalten habe. "Und dennoch wird immer nur über die Zeitarbeit geschimpft, anstatt zu hinterfragen, warum die Menschen über uns in Arbeitnehmerüberlassungen gehen." Seiner Erfahrung nach wurde seit Jahren versäumt, sich um das eigene Stammpersonal zu kümmern.
    Es gibt viele Gründe, warum die Menschen in die Zeitarbeit wechseln. Geregelte Einsatzzeiten, Mitspracherechte und Flexibilität zählen laut Kühn neben besserer Bezahlung und Wertschätzung zu den häufigsten Argumenten.
    Pflegekräfte bei der Arbeit
    Viele Zeitarbeitsfirmen locken Pflegekräfte mit höheren Gehältern. Für die Krankenhäuser wird das teuer - sie zahlen einen Aufpreis. 09.06.2022 | 1:48 min

    Wegen Missständen in Kliniken zur Zeitarbeit gewechselt

    Thomas Huck ist 2016 in die Zeitarbeit gewechselt. 16 Jahre war der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger davor in Kliniken angestellt. "Während ich als Angestellter Fehlzeiten von Kollegen kompensieren musste, immer da zu sein hatte und eher als Befehlsempfänger gesehen wurde, arbeite ich heute selbstbestimmt, habe Mitspracherecht bei der Dienstplan-Gestaltung und kann auch mal 'nein' sagen, wenn ich eine zusätzliche Aufgabe nicht übernehmen möchte".
    Was den 43-Jährigen am meisten stört, ist, dass sich seit seiner Ausbildung 1998 nichts zum Positiven verändert habe, denn bereits damals sei man für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren gegangen. Der Dialyse-Spezialist erklärt:

    Leute, die in der Pflege tätig sind, haben das Grundbedürfnis zu helfen, deshalb haben wir diese Berufe ergriffen und können nicht Nein sagen, obwohl wir bereits auf dem Zahnfleisch gehen, nur, damit die Patientenversorgung halbwegs gesichert ist.  

    Thomas Huck, Gesundheits- und Krankenpfleger

    Die Zeitarbeit setze am Kernproblem, dem Fachkräftemangel, an und halte schnelle Lösungen bereit. "Dass die Gehälter an die Zeitarbeiter angeglichen wurden, finde ich gut, aber es muss sich grundlegend etwas ändern", fügt Huck hinzu. Dennoch ist er sich sicher: "Ohne Zeitarbeit geht es im Gesundheitswesen überhaupt nicht mehr".

    Ärzte skeptisch: Zeitarbeit hilft nur temporär

    Hans-Jörg Freese von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund spricht von einem "strukturellen Problem", dem vernünftig begegnet werden müsse: "Personelle Löcher mit Zeitarbeitern zu stopfen hilft nur temporär." Die Patientenversorgung müsse dauerhaft gewährleistet sein.

    Gerade im Hinblick darauf, dass viele ältere Ärzte in den kommenden Jahren aus dem Beruf ausscheiden, muss die Anstellung als Klinikarzt attraktiv bleiben.

    Hans-Jörg Freese, Marburger Bund

    Ein Kritikpunkt des Marburger Bunds ist, dass die ärztlichen Personalkosten im Krankenhaus über das DRG-System (Diagnosis Related Group - Fallkostenpauschale) finanziert werden. "Als die Pflegepersonalkosten noch in den Fallpauschalen enthalten waren, wollte man hier sparen, jetzt befürchten wir, dass im ärztlichen Dienst gespart wird und Stellen nicht nachbesetzt werden". Auch deshalb fordere der Marburger Bund eine Abschaffung des DRG-Systems.

    Work-Life-Balance durch Zeitarbeit?

    Kritik an diesem System äußert auch Arzt Dennis Mäck: "An den Einführungstagen in der Klinik erhielten wir mehrere Stunden Einweisung, wie im System die Fälle zu verschlüsseln waren, um möglichst gewinnbringend und wirtschaftlich für die Klinik zu sein. Entsprechend steht das in den Arbeitsverträgen." Der Facharzt für Innere Medizin sieht darin ein Problem, denn der Mensch solle im Fokus stehen, nicht die Fallkosten.
    Neben der fehlenden Wertschätzung und einem Hang zum Abenteuer war das einer der Gründe, warum sich der 35-Jährige im Januar 2023 für die Zeitarbeit entschieden hat. "Heute habe ich eine echte Work-Life-Balance, kann Aufgaben annehmen, muss es aber nicht und bekomme von meinen Oberärzten Dankbarkeit für meine Unterstützung und Wertschätzung für meine Arbeit entgegengebracht", so der Mediziner.
    ZoomIn Zeitarbeit
    Mehr als eine Million Menschen arbeiten in Deutschland als Zeitarbeiter. Sind Sie nur Mitarbeiter zweiter Klasse? #zoomIN-Reporterin Anna Kleiser hat darüber mit unserem Autorin Bernd Weisener gesprochen. 15.05.2019 | 5:00 min

    Krankenkassen fordern attraktivere Arbeitsbedingungen

    Derzeit sind in deutschen Krankenhäusern 7.000 Arzt-Stellen deutschlandweit vakant. Das geht aus den Zahlen der Deutschen Krankenkassengesellschaft (DKG) hervor. Zur Lösung der personellen Krise sind dem DKG-Vorstandsvorsitzenden Gerald Gaß zufolge alle Akteure gefragt.

    Krankenhäuser müssen attraktive Arbeitsbedingungen bieten, etwa mit Wunschschichten, verlässlicher Dienstplanung mit garantierten freien Tagen, Kinderbetreuung und vielem mehr.

    Gerald Gaß, Deutsche Krankenkassengesellschaft

    Beispielsweise würden sich zunehmend mehr Kliniken bemühen interne Springer-Pools aufzubauen, um der drohenden Überlastung ihrer Mitarbeitenden erfolgreich entgegenzuwirken.

    Kliniken reduzieren Zeitarbeit durch Mitarbeiter-Pools

    Dass das funktionieren kann, zeigt das Ortenau-Klinikum. Der Einsatz von qualifizierten Leiharbeitern erfolgt nur noch in Einzelfällen und Spezialbereichen. "Die externen Fachkräfte werden bei kurzfristigen, nicht kompensierbaren Ausfällen zur Aufrechterhaltung der Patientenversorgung eingesetzt", erklärt ein Sprecher des Klinikums. Durch diese Strategie konnte der Anteil von Zeitarbeitern in den vergangenen Jahren deutlich reduziert werden.
    Daneben ist intern ein sogenannter Flex-Pool aufgebaut worden, durch den mittel- bis langfristige Ausfälle zeitnah kompensiert werden können. Die Beschäftigten des Flex-Pool erhalten eine entsprechend höhere Vergütung - je nach Einsatzflexibilität.
    Um ein Arbeiten auf Augenhöhe, unabhängig von Hierarchien, zu gewährleisten, gibt es darüber hinaus ein Teambording. Hier treffen sich täglich alle Berufsgruppen für zehn Minuten und besprechen Verbesserungsvorschläge. "Ziel ist", so ein Sprecher des Klinikums, "unnötige Abläufe und Störungen zu beseitigen und es funktioniert sehr gut, dass wir darüber eine höhere Entlastung der Pflegenden und eine bessere Motivation erzielen".

    ZDF-Umfrage
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    Zu wenig Gehalt, keine Wertschätzung, zu viel Stress: Eine exklusive ZDF-Umfrage zeigt, was die 25- bis 34-Jährigen in Deutschland über ihre Arbeitssituation denken.
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